Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
von Ausbeutung strebt der Ökofeminismus eine neue Wirtschaft an, die grundlegend auf die Produktion und den Erhalt von Leben ausgerichtet ist. Anstelle von Ausbeutung werden die wirtschaftlichen Beziehungen von Gegenseitigkeit geprägt und nicht hierarchisch sein. Dies gilt sowohl für das zwischenmenschliche Verhältnis als auch für die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Deshalb werden kolonisierende dualistische Aufspaltungen wie etwa die zwischen Mann und Frau oder Menschheit und Natur genauso abgelehnt wie solche, die auf Klassenzugehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit beruhen. Ebenso wird die Vorstellung eines grenzenlosen Wachstums und Fortschritts als gefährliche Illusion durchschaut, die Ungleichheit und Zerstörung bewirkt. Die Erde wird als endlich akzeptiert, und die Menschheit strebt danach, in Harmonie mit ihr zu leben. (Mies 1989, 278)
Ein zentrales Element dieser neuen Sichtweise ist ein neues Verständnis der Arbeit. Ziel menschlicher Anstrengung ist nicht mehr ein Wachstum im Sinne einer quantitativen Zunahme zum Zweck der Kapitalakkumulation, sondern vielmehr die Stärkung von Lebensprozessen und die Förderung menschlichen Glücks. Das bedeutet auch, dass Arbeit nicht mehr als eine bloße Last betrachtet wird, sondern als ein Ganzes, das sich aus Freude und notwendiger Mühe zusammensetzt.
Innerhalb einer solchen Sichtweise erlangt Arbeit in direktem, sinnlichem Kontakt mit der Natur einen besonderen Wert. Maschinen und Technik können weiterhin ihre Rolle spielen, doch ihr Zweck ist es nicht mehr, uns von der organischen Materie, lebenden Organismen oder der materiellen Welt fernzuhalten. Arbeit muss zuerst und vor allem sinnvoll sein, muss etwas Nützliches und Notwendiges für die Produktion oder Erhaltung des Lebens darstellen. Das bedingt auch eine neue Auffassung von Zeit: Wir teilen sie nicht mehr in Arbeit und Freizeit auf, sondern verteilen eher beide in freier Weise.
Die Prozesse von Produktion und Konsum müssen wieder zu einer Einheit zusammengeführt werden, und Ortsgemeinden müssen auf regionaler Ebene eine Wirtschaft aufbauen, die sich im Wesentlichen selbst trägt und in der das, was von der Gemeinschaft produziert wird, auch von ihr konsumiert wird. Eine solche neue Form von Arbeit kann jedoch nicht entstehen, solange die bestehende, am Geschlecht orientierte Arbeitsteilung nicht beseitigt ist. Mies hält daran fest, dass die Umgestaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, wie sie derzeit existiert, tatsächlich im Zentrum des gesamten Prozesses eines Neuentwurfs der Ökonomie stehen muss:
„Jedes Streben nach ökologischer, wirtschaftlicher und politischer Autarkie (Selbst-Genügsamkeit) muss mit dem Respekt vor der Autonomie des Körpers der Frauen, ihres produktiven Vermögens, neues Leben zu schaffen und Leben durch Arbeit zu erhalten, und ihrer Sexualität beginnen. Eine Veränderung der bestehenden geschlechtlichen Arbeitsteilung würde zuallererst bedeuten, dass die Gewalt, welche das kapitalistisch-patriarchalische Mann-Frau-Verhältnis charakterisiert, weltweit abgeschafft würde, und zwar nicht durch Frauen, sondern durch die Männer.“ (1986, 222)
Rosemary Radford Ruether (1994) spricht nicht nur von der Notwendigkeit einer Neubewertung der sexuellen Arbeitsteilung, sondern der Geschlechterrollen allgemein. Frauen müssen Autonomie und Individualität in ihrem Leben stärken, doch dies sollte nicht mittels einer Praxis der Herrschaft (Selbstbehauptung auf Kosten anderer) geschehen, sondern vielmehr auf die Weise, dass man verbindende Wege findet, im Kontext einer Leben fördernden Gemeinschaft zugleich eine Person für andere und für sich selbst zu sein. Ruether stimmt mit Mies jedoch darin überein, dass sich die erste Veränderung in der Lebensweise der Männer vollziehen muss. Männer müssen „die Illusion eines autonomen Individualismus überwinden, samt dessen Ausweitung in die egozentrische Macht über andere, angefangen bei der Frau, mit der er verbunden ist“ (1994, 278). Die beste Art, dies zu bewerkstelligen, ist es ihrer Meinung nach, wenn Männer ohne Vorbehalte Leben fördernde Beziehungen mit Frauen eingehen und sich an Aufgaben wie der Sorge um die Kinder, Waschen, Kochen, Nähen und Saubermachen beteiligen:
„Nur wenn Männer voll in die Kultur des Alltagslebens eingebunden sind, können Männer und Frauen zusammen das größere System des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens umzugestalten beginnen. Sie können anfangen, ein neues kulturelles Bewusstsein und neue Organisationsstrukturen in den Blick zu bekommen, die diese größeren Systeme mit ihren Wurzeln in der Erde verbinden und die Erde von Tag zu Tag und von Generation zu Generation zu erhalten.“ (1994, 279)
Die Veränderung der Arbeit und der Geschlechterrollen muss auch mit einer tiefgreifenden Veränderung der Art und Weise einhergehen, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Vandana Shiva betont: „Der ‚rationale‘ Mann des Westens hat sich demaskiert: Er ist ein Ausbund an Irrationalität und bedroht selbst das Überleben der Menschheit.“ (Shiva 1989 a, 234) Sie hält daran fest: „Die Rückgewinnung des weiblichen Prinzips heißt: den Respekt für das Leben der Natur und das Leben der Gesellschaft wieder ins Leben zu rufen. Das ist der einzige mögliche Weg, der in die Zukunft führt.“ (Shiva 1989 a, 235)
Wenn das weibliche Prinzip bei den Frauen und in der Natur untergraben wird, dann wird es zu einem Prinzip der Passivität entstellt. Bei Männern bewirkt derselbe Prozess „eine Veränderung der Auffassung von Aktivität von Schöpfung zu Zerstörung und der Auffassung von Macht von Ermächtigung zu Beherrschung“. Wenn das weibliche Prinzip zugleich in den Männern, den Frauen und der Natur abstirbt, dann werden „Gewalt und Aggression die männlichen Modelle von Aktivität, und Frauen und die Natur werden zu passiven Objekten der Gewalt“ (Shiva 1989 b, 53).
Um diesen Prozess umzukehren, plädiert der von der Jung-Schule herkommende Theoretiker Gareth Hill für die Wiedererlangung des „dynamisch Weiblichen“ innerhalb der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang bezieht sich „weiblich“ nicht auf die Frauen als Geschlecht, sondern vielmehr auf ein Ensemble von Werten oder Eigenschaften, die vom Patriarchat systematisch negiert wurden. Das dynamisch Weibliche weist über das statische Bild von Ernähren und mütterlicher Fürsorge hinaus, obwohl es mit Sicherheit Eigenschaften wie Mitleid und den Wunsch, Leben zu erhalten, mit umfasst. Doch gleichzeitig hat das dynamisch Weibliche eine spielerische, vitale Seite an sich. Es ist zugleich aktiv und reaktiv, fruchtbar und beständig. Es erinnert an das Kapitel im Tao Te King, in dem von der Kraft des Wassers die Rede ist:
Nichts in der Welt
ist so sanft und ertragreich wie das Wasser.
Doch im Auflösen des Harten und Starren
ist es unübertroffen.
Das Weiche überwindet das Harte;
das Geschmeidige überwindet das Starre.
Jeder weiß, dass dies wahr ist,
doch nur wenige können das in ihrem Tun verwirklichen.
(§ 78)
Das dynamisch Weibliche ist auch schöpferisch und hat etwas von Chaos und Überraschendem an sich, das unvorhersehbar hervorbricht. Es steht in scharfem Gegensatz zu Herrschaft und Kontrolle (Gomes/Kanner 1995). Letztlich fordert uns die Integration des dynamisch Weiblichen in unser wirtschaftliches, politisches und kulturelles Handeln dazu heraus, Macht auf eine völlig andere Weise zu begreifen und auszuüben: nicht als Herrschaft, Ausbeutung und Kontrolle, sondern als etwas Positives und Schöpferisches.
Macht neu denken
Solange Macht in der Form von Herrschaft und Ausbeutung ausgeübt wird, wird das Patriarchat weiterhin verheerenden Schaden anrichten und die ökologischen und gesellschaftlichen Systeme untergraben, die das Leben erhalten. Wir bauchen ein völlig neues Verständnis und eine neue Praxis von Macht, damit das weibliche Prinzip in unserer Zeit erneuert werden und wiedererstarken kann.
Das Wort Macht ruft viele unterschiedliche Gedanken und Bilder hervor. In einigen Kreisen hat es einen rein negativen Klang bekommen. Macht wird schlicht als die Durchsetzung des Willens eines Einzelnen oder einer Gruppe auf Kosten der anderen gesehen. Doch im Gegensatz dazu ist die Wurzel des englischen Wortes power das lateinische Verb posse, das „können“ heißt. Auch das spanische Substantiv poder lässt diese Herkunft noch erkennen. Vom Wesen her ist Macht also das, was befähigt. Das Bild, das in dieser sprachlichen Wurzel enthalten ist, ist also nicht so sehr zerstörerisch, sondern vielmehr etwas Produktives oder sogar Schöpferisches.
In patriarchalischen Gesellschaften wurde Macht herkömmlicherweise als etwas gesehen, was eine Gruppe