Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
Zecher« Engels, den Marxens Schwiegersohn Paul Lafargue »den unergründlichen Verschlinger von Ale« taufte, auf Reisen Bier testete, haute Marx den zugesandten Wein um und berichtete Engels aber auch: »Außer dem Wein hatte ich täglich (bis zur Stunde) 1½ Quart vom stärksten Londoner Stout zu saufen. Es schien mir ein gutes Thema für eine Novelle.«
Erst Ernest Hemingway dröselte den Faden vom anderen Ende her auf: »Nun tranken die Burschen in meiner Story, und das machte mich durstig«, was H. L. Mencken, der erste amerikanische Nietzsche-Biograph und gefürchtete Kritiker, mit einer Eloge auf das »unique, incomparable, transcendental Bavarian Beer« konterte. In das grausame 20. Jahrhundert, längst jenseits der von Engels verlachten »unerschöpflichen Streit- und Parteifrage über die respectiven Vorzüge des alten Pilsener, des bürgerlichen und des Aktienbieres«, pflanzte Robert Walser ein bezauberndes Idyll, ein Stilleben, das sich der »Seelenruhe« und Geselligkeit verdankte, die das Bier stiftet: »Die Bierburschen haben momentan ein wenig Ruhe, aber nicht lange, denn es wälzt sich wieder von draußen herein und wirft sich durstig an die Quelle. […] Würde und Selbstbewußtsein wirken behaglich, auf mich wenigstens, und deshalb stehe ich so gern in irgendeinem von unseren Aschingerhäusern.«
Durchs Bier genas manch Denker, manch Dichter, am Bier labte sich noch auf dem Todeslager sehnsuchtsvoll Franz Kafka, und beim Sterben ließ er sich eins vortrinken. Beruhigt, hienieden erlöst: »Ich bin ja zum Biertrinken da«, formuliert Herbert Achternbusch die modernste aller Existenzphilosophien und Religionen, und Gottfried Benns funkelndste Verse huldigen weihevoll IHM, dem Bier. Aber: »Was schlimm ist: bei Hitze ein Bier sehen, das man nicht bezahlen kann.«
Was das Schlimmste wäre: bei Hitze das Kleingeld zusammenkramen und ein Bier vor dem inneren Auge sehen, das man nicht kaufen kann. Daher sei, bevor das Undenkbare, das Ende des Biers, eintritt, dem Deutschen Brauer-Bund die Frage gestellt: Was spräche gegen ein den Absatz ankurbelndes, bundesweit gehängtes Plakat mit jenem berühmten Photo, das Bertolt Brecht und Oskar Maria Graf beim beduselt-beherzten Krugstemmen am Kneipentisch zeigt – ergänzt um die Zeile: »Zwei deutsche Dichter – wer ist deutlich dichter?«
Nicht die Kaffeebohne spräche dagegen.
Ein Flecken
Nicht allzuweit nordwestlich von der global geachteten Brau- und Damenhochburg Bamberg, aber doch bereits recht abgeschieden, gebettet zwischen weich geschwungene Wiesenbuckel und säumende Waldstreifen, liegt am Rande der östlichen Haßberge ein ganz und gar einfältiger fränkischer Weiler. Nie käme einem Menschen, einem durchschnittlich welterfahrenen Menschen, in den Sinn, dieser kaum zweihundert Einwohner zählenden Ortschaft, diesem geduckten, aus einigen Höfen, einer kauernden Kirche und zwei Wirtschaften bestehenden Dorf eine Bedeutung beizumessen, irgendeine Bedeutung, wär’s eine für die Region, wär’s eine gar fürs Land oder für die Republik.
Bamberg, des Örtchens hinreichend entfernter großer und beschützender, alle neugiergeilen Fremden anziehender, ja fliegenpapiergleich anlockender Nachbar, tut sich verständlicherweise eher dicke mit den unterschiedlichsten Attraktionen und Traditionen, und deshalb mag unseren Ort oder dessen Bewohner auch bisweilen der Gram übermannen, daß es mit ihm und mit ihnen nicht recht voranmarschieren möcht’ in der Welt der Aufmerksamkeit und Sensationen.
In Bambergs berühmter Gaststube der Brauerei Fäßla, die selbstbewußt ihr vorzügliches Produkt bewirbt: »Fäßla Bier – bekannt, beliebt, bekömmlich«, in dieser schon um die Mittagszeit dramatisch gefüllten ehrwürdigen Lokalität imponieren »für vier« oder »für sechs« – also für »vier Bier« oder durchaus mehr, wie das einheimische Idiom preisgibt – künftige Bräute und edle Weibsbilder den gepiercten Stammtischlern. Sie offerieren Haxn-Bringdienste und servieren den mehrheitlich erbarmungswürdig verquollenen Männern Klopsteller mit Pfiff. Ein Bohei von erheblichen Ausmaßen ist Standard.
Schmachvoll verkümmert derweil schmählich schlummernd unser bescheidener Flecken unter den schwachen Sonnenstrahlen des neckenden Frühlings. Eine Kuh muht, ein Gockel kräht, ein Traktor brummt, das Gewöhnlichste geht hier vonstatten, ob es will oder nicht.
Drei Wandersleut’, ein Museumsdirektor, ein Bürgermeister eines multifunktionalen Mittelzentrums und ein Taugenichts, machten sich dennoch auf den Weg. In Baunach verließen sie, von Bamberg kommend, die Bimmelbahn, und bald öffnete sich ihren Blicken ein schönes, schlichtes Tal. Ein Fluß begleitete sie, und gegen Abend erreichten sie unsren Ort, der als ein Hort des Zauberhaften sich entpuppen sollte.
Appendorf durchzieht eine gefegte, kerzengerade Straße. Der Bürgermeister erspähte als erster an ihrem Ende die Brauerei Fößel-Batz. »Grüß Gott!« empfing der Wirt, ein sportlicher Mittvierziger, das Trio, »hereinspaziert!« ergänzte Yvonne, seine Frau.
Nun »in der Dorfschenke angelangt, wo sie völlig frei in perfekter Einsamkeit Platz finden konnten«, so erzählt es Alessandro Manzoni in seinem Roman Die Brautleute, »ließen sie sich das wenige bringen, was es gab«, etwas Sauerkraut, Bratwurst, graues Brot und ein brezelzart knisterndes Kellerbier, im Familienbetrieb gebraut wie eh und je.
So in sich versunken, waren sie es zufrieden, und der Bürgermeister begann gerade, einen Wurstzipfel zerfleischend, seine »kneipenorientierte Stärken-/ Schwächenanalyse« zu unterbreiten, als der Museumsdirektor gedämpft die Stimme hob: »Schaut mal, das gibt’s doch nicht! Was ist denn da los?«
Wie auf ein geheimes Zeichen traten aus verschiedenen Türen unpassend akkurat gekleidete Männer. Einer trug unter jedem Arm eine Trommel, ein anderer zwei Becken, ein dritter schleppte einen Kofferverstärker und eine feuerrote Gitarre herein. Sie bauten, ohne ein Wort zu wechseln, ihre Gerätschaften im ein wenig tiefer gelegenen Gesellschaftsraum auf, und währenddessen schritten weitere Männer in Westen durch die Eingangstür.
Den Schluß der Prozession bildete ein bäriger, graumelierter, geruhsamer Mann, der sich und seinen Kontrabaß in der Mitte der Tanzfläche postierte und sogleich vorsichtig einige Töne zupfte. An der hinteren, kunststoffverschalten hellbraunen Wand kauerte jetzt der weißbärtige Herr in fichtengrüner Kombi auf einem Stuhl und strich Akkorde, und der Schlagzeuger ditschte mal das Becken an, mal auf die Snare.
Der Bürgermeister schwieg, der Taugenichts schaute benommen, und der Museumsdirektor rieb sich die Augen. Plötzlich zog einer der drei, oder waren es vier, fünf?, Harmonikaspieler sein Schifferklavier auseinander, quetschte es zusammen, ein breiter, fetter Auftaktakkord erklang, und auf der Eins setzte diese aus dem Nichts erschaffene und vom Himmel gesandte Combo ein und erfüllte den Raum mit einem seelenheiteren Getön nur für unsere drei Wanderer.
Da hockten sie, tranken das dunkle Zwickelbier und lauschten betört. Vor ihnen bewegten sich, von unsichtbarer Hand choreographiert, acht, zehn Musikanten, geschmückt mit Zweireihern, manchmal einer bunten Kreppkappe oder Hosenträgern, und drehten Kreise um ihre Weisen, beglückt vom schieren Hier- und Beisammensein. Ihr Publikum, der Taugenichts, der Museumsdirektor und der Bürgermeister, applaudierte erst zaghaft, dann immer impulsiver nach jedem Lied, der Wirt bezapfte entspannt die alten Glaskrüge, Yvonne reichte sie mal diesem, mal jenem Spielmann, und sonst geschah einfach nichts – außer dem beständigen, gutmütigen, bedächtig rhythmisierten, betulich dynamisierten Ineinanderfließen des Bieres und der Musik.
Erst eine, vielleicht zwei Stunden später betraten andere Menschen den Brauereiausschank Fößel-Batz, Ortsansässige und Bekannte aus den umliegenden Dörfern, und längst hatte da den drei Wanderern der Geiger, der einzige Violinist des Appendorfer New Modern Dance & Swing Ensembles, erklärt, daß sich jeden Freitag hier, auf unserem begünstigten Flecken Erde, die Musikanten träfen, in zufälliger Formation, und aufspielten, daß es rassele, ja, er trinke heute Wasser, er müsse den Laden zusammenhalten, die Quetschkommodisten neigten zu vorgerückter Stunde zu recht freien Improvisationen, da sei einer vonnöten, der die Leitmelodie noch im Kopf habe, obschon sie ihn meist ja doch übertrumpften und niederschrubbten, er lachte verschmitzt, machte eine wegwerfende Geste und wandte sich, das Instrument unters Kinn schiebend, kurz dem Tresen zu, ja, daß es halt eine Freude sei und sie den Leuten hier eine Freude bereiteten, sagte der alte, sorgenfreie Mann mit seiner glänzenden Geige zu den drei Gästen, er hob den Bogen,