Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
the bubbles in my beer«, bloß auf die Bläschen in meinem Bier starrend, und dabei fühlt er sich »as empty as the bubbles in my beer«. Da hilft vielleicht nur noch Jodeln, American Yodeling, und das beherrscht Jay Dalton so virtuos, daß man sich in den Alpen wähnt oder mitten unter Kojoten.
Nun nimmt er einen weiteren Schluck Buckaroo-Bier, das benannt ist nach den in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der hiesigen Gegend ansässig gewordenen baskischen Schäfern, den »vaqueros«. »I like beer, it makes me a jolly good fellow«, sagt Dalton, »ich mag Bier, das macht aus mir einen fröhlichen, guten Kerl«, und dann setzt er seinen Ritt durch den Reigen berühmter Cowboylieder, berühmter Weisen amerikanischer Kuhhirten und ihrer Panegyriker und Rhapsoden, fort, von Hank Williams über die Titelmelodie des Jahrhundertwesterns High Noon und »Ring Of Fire« bis zu einer glänzenden Willie-Nelson-Parodie.
Jay Dalton ist witzig, ist komisch, er erzählt Räuberpistolen und Grotesken über eine Stampede, über ein Rodeo in Elko, der nächsten Stadt Richtung Westen, er veralbert mitunter die Grasnarbenfolklore, und er beschließt den Abend, die Bierflasche in den wie auf einem Gemälde von Frederic E. Church oder Albert Bierstadt glühenden Himmel hebend, mit John Denvers Zeile »Sunshine on my shoulders makes me happy«.
Wie sagten die amerikanischen Kollegen während der Anreise von Salt Lake City über den Highway Interstate 80, der auch die legendären Siedler- und Goldsucherrouten California Trail und Oregon Trail touchiert? »Nevada is a drinking state« – Nevada ist ein Staat der Trinker. Yeah.
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Es fällt einem kein anderes Wort ein als: Weite. Der Himmel, die Weite. Eine Landschaft, die prähistorisch wirkt. Eine Kulturlandschaft jedoch, zum Teil zumindest. The Great Basin, Cowboy Country, das wahre, das unverfälschte. »The unspoiled drama of the West« – so bewirbt man den Nordosten Nevadas, den wilden, rauhen, das »Territorium des Bieres«, wie die amerikanischen Kollegen immer wieder anmerken, zumal jene aus Kalifornien, die beim Anblick einer glimmenden Zigarette gleich dem Vampir im Angesicht der Knoblauchzehen dreinschauen.
Wir kommen aus der faden Mormonenkapitale Salt Lake City. SLC, eine Abbreviatur der Lustfeindlichkeit. Die Stadt am Großen Salzsee, der quecksilbrig unterm tranig-quarkigen Himmel in seiner Pfanne vor sich hin schwappt. SLC, such a lust killing community. In Salt Lake City, der womöglich ernüchterndsten Stadt des Westens, sind Alkohol und Tabak des Teufels.
Graue Berge säumen den Horizont. Milchig-bläulich fläzt das Licht über strohig-blaßbrauner Vegetation. Der Wüstenbeifuß behauptet sich, dazwischen nichts, kein Haus, kein Mensch, kein Pferd. Die Wolken kleben am Himmel, als seien sie dort begraben. Zerfurchte, kahle Hänge hinter olivgrün gesprengselten Ebenen. Zwergsträucher, Krüppelbüsche, stille Prärie, ausgetrocknete Heide. Zementfarbene, endlose Flächen. In der High Desert seien sie auch noch nicht gewesen, gestehen die amerikanischen Kollegen und betonen, abgelegener, unberührter gehe es nicht.
Es tauchen die ersten Salzplacken auf, sie werden größer, dehnen sich aus, und plötzlich sind wir auf den Bonneville Salt Flats. Die Berge in der Ferne ragen kantig, spitz, schwarzbraun und abweisend auf, und davor liegt eine betonharte, wie gewalzte, gleißend weiße, tödliche Ebene, auf der mit Raketenautos Geschwindigkeitsweltrekorde en suite aufgestellt und in die vielerlei Namen von denen, die hier eine Rast einlegten, eingeritzt wurden – mit Bierflaschen, wie uns später ein Cowboy auf der 71 Ranch erklärt.
Die Cowboys der Landstraße, die Trucker, hetzen ihre Riesenkähne brummend und heulend über den schnurgeraden Asphalt. Ob Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit der Gütertransporteure das Äquivalent zum Pioniergeist des 19. Jahrhunderts sind? Die motorisierte Unentwegtheit den einstigen Eroberungsdrang beerbt? Zitiert? »24 hours truck wash«, lesen wir an einer Tankstelle, und am Heck eines Lkws steht: »Without Trucks America Stops«.
Und die Kollegin aus Kalifornien sagt: »Sarah Palin hat den Cowboy in sich. ›Bring it on!‹ – ›Mach hin!‹ Das fordert sie.«
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Wir halten in West Wendover, etwa hundertsiebzig Kilometer vor Elko und einen Fußbreit hinter der Grenze zwischen Utah und Nevada. Dort kann man, von einer Anhöhe aus und der Weite wegen, sehen, wie sich die Erde krümmt, in die Salzwüste hinein. Am Ortseingang grüßt die größte Neoncowboyfigur der Staaten, der »Wendover Will«, auf einem massiven Podest, mit, man glaubt es kaum, Zigarette im Mundwinkel. Lucky Luke, der rechtschaffene Widersacher der rund um Carson City ihr Unwesen treibenden Dalton-Brüder, darf das schon seit Jahren nicht mehr. Er kaut im Comic auf einem Strohhalm herum. Lustlos.
Seit 1931 ist das Glücksspiel in Nevada, dem »Silver State« mit seinen zahlreichen Gold- und anderen Edelerzminen, legal. West Wendover besteht im Grunde einzig aus Hotels mit Spielkasinos, das heißt aus vollklimatisierten Übernachtungsbunkern mit verspiegelt-labyrinthischen, in den grell-giftigsten, abscheulichsten Farbkombinationen gehaltenen Hallen und Foyers, in denen zwischen Roulettetischen, Restaurantbuchten und verchromten Bars Tausende von Spielautomaten jiepen, rattern, pfeifen, singen, klingeln, scheppern, schnarren. Tinnituspatienten sollten diese Orte meiden.
Gleich hinter den Rezeptionen öffnen sich die Höllenreiche, in denen Rentner, Trucker, Hausfrauen, Kettenraucher, Studenten, Geschäftsleute, Handelsreisende ihr materielles Glück suchen. Sie drücken die Knöpfe der in die Tresen eingelassenen Pokermaschinen, die die Pokertische in den verqualmten Saloonhinterzimmern ersetzt haben, und ordern per Fingerzeig schweigend Whisky und Bier. Die Cowboys an den Slot Machines, den Einarmigen Banditen, genießen nicht nur den Vorzug, von all den Restriktionen, Bevormundungen und Schikanen im Alltag verschont zu bleiben und ungestört-entspannt dicke Zigarren dampfen zu können; sie genießen obendrein die in solchen hochdemokratischen Instituten übliche Sonderbehandlung: Solange du vor einer bunten Kiste hockst und Münzen in sie versenkst, gehen Bier und sonstige Getränke in unbegrenzten Mengen aufs Haus.
Hier drinnen, in der überirdischen Katakombe, scheint die Sonne nie. Selbst die Zimmer sind weitenteils verdunkelt. Damit die Spieler das Gefühl für die Zeit verlieren und tagelang an den Geräten kleben, wenden die Kasinobetreiber diverse Tricks an. Die Spielhallen haben keine Fenster, nirgendwo hängt eine Uhr. Für die Teppiche wählt man die allerabstoßendsten Muster, so daß der Blick stets auf die Slot Machines gerichtet bleibt. Die wiederum werden in kurzen Abständen umgestellt, um zu suggerieren, es seien neue angeschafft worden. Eine außergewöhnlich sauerstoffreiche Luft sorgt für immens ausgedehnte Wachphasen.
Draußen stülpt sich eine erbarmungslose trokkene Hitze über eine Topographie, die man mit unbewohnten Planeten assoziiert. Daß auf der anderen Seite der Straße, auf der in den sechziger Jahren geschlossenen Wendover Air Force Base, die Besatzung der Enola Gay ausgebildet wurde, die die erste Atombombe über Hiroshima abwarf, dünkt einem nicht unschlüssig.
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Siebzig, sechzig Kilometer vor Elko beginnt es zu grünen. Vieh steht in der Landschaft herum, an den Berghängen vereinzelt niedrige Bäume. In Richtung Süden, auf die Ruby Mountains und das Ruby Lake National Wildlife Refuge zu, werden die gelblich leuchtenden Weiden immer saftiger und – wie von der Hand eines Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts dirigiert – gruppieren sich pechschwarze Angus-Rinder unter flockig am blauen Firmament arrangierten Schäfchenwolken.
Die »einzigartige, unermeßliche, wunderbare Landschaft« und »das grenzenlose Licht: die amerikanische Verheißung« (Robert Hughes: Bilder von Amerika, München 1997) – sie, diese Elemente eines unvergleichlichen Seelentableaus, wirken vollendet schön und überwältigend ein paar Meilen weiter im sonnenüberfluteten Lamoille Canyon mit seinen buntgescheckten Bergflanken. Auf der im späten 19. Jahrhundert errichteten, zweitausend Meter hochgelegenen 71 Ranch, gewissermaßen um die Ecke, gut vierzig Kilometer von Elko entfernt, versuchen wir nach einem Cowboyfrühstück mit Rührei, Kartoffeln, gegrillten Tomaten, stocktrockenem Speck, Geselchtem und Pfannkuchen mit Sirup, dem »folklife« auf den Grund zu gehen, die »working cowboy experience« zu machen, also zu erfahren, was es mit dem autarken »buckaroo way of life« auf sich hat, einem Lebensstil, den viele als Berufung verstehen oder verklären, etwa das Ranch & Country Magazine, das das »Leben in Harmonie mit der Natur« preist, »in dem die Erde tagein, tagaus als ein Ort des Friedens und der Sicherheit erscheint«, das