Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
Jahre »den neuen John Wayne gegeben« und die »Urban-Cow-boy-Welle« ausgelöst habe: »Das war die Zeit, als die Leute anfingen, gebrauchte Jeans zu tragen, komische große Hüte und alberne Stiefel.«
Johnny Carson entdeckte Baxter Black und andere Cowboydichter schließlich fürs Fernsehen. Seit 1984 tritt Baxter Black beim National Cowboy Poetry Gathering auf, und dann flicht er keine pseudometaphysischen Girlanden, sondern wendet sich, Metrik und Reim mitunter streng achtend und mit einer erstaunlichen Vielfalt an mimischen Ausdrucksformen, dem Cowboy als Witzfigur zu, etwa als Melker, der auf »die Kuh, das unbekannte Wesen«, trifft.
Abends verdrücken wir im Traditionsrestaurant The Star ein seraphisches, nach baskischer Art zubereitetes Achthundertgrammsteak, zugeschnitten in Herzform. Die Fleischfasern zerschmelzen auf der Zunge, der Knoblauch rundet die monumentale Feinheit aufs himmlischste ab. Danach trotten wir hinüber zu Stockmen’s, einem der zwei ältesten Kasinos in Elko. Auf einer Reklametafel an der Front des häßlichen Baus schräg gegenüber vom schmucken Backsteinquader des Western Folklife Centers wird ein Konzert der Asphalt Cowboys angekündigt, und am Tresen hängen beim Buckaroo-Bier tatsächlich ein paar echte Cattlemen rum. Ob sie die erste Zeile aus dem Song »National Park« von Wally McCrae, dem vielgerühmten und verehrten Cowboypoeten, präsent haben?
»One year with hangover …« – »Ein Jahr lang Kater …«
Kino
Freund M. und seine Frau A., Frau C. und ich waren im Kino, in einem richtig guten, schönen Kino mit bequemen, breiten Sitzen mit großer Beinfreiheit. Der Film war auch gut, Aki Kaurismäkis Der Mann ohne Vergangenheit. Gerade hatte der schöne Dialog stattgefunden, in dem der Protagonist sagt: »Danke für das Bier«, und der ältere, arme Mann, der ihm ein Bier spendiert hatte, antwortet sinngemäß: »Danke, daß du mir die Gelegenheit gegeben hast, acht Bier zu trinken«, als Freund M. aufstand und nach draußen verschwand. Vielleicht gefiel ihm der Film nicht, oder er mußte rauchen.
Nach ungefähr zehn Minuten tauchte Freund M. wieder auf, in meinem rechten Augenwinkel. Es war wie eine Erscheinung, als er plötzlich am Ende der Reihe in den von der Leinwand über die Sitze fallenden Schein trat, denn er trug vier leuchtende Weizenbierpokale bei sich, ja, er hatte sie mit beiden Armen vorsichtig – nicht wärmend, aber schützend – umschlungen wie einen Schatz oder wie ein Gotteskind, und als ich das sah, diese vier einträchtigen Weizenbiere, wie beschaffen und beschafft für uns, von ihm, dem Freund, da wußte ich, daß es keines weiteren Beweises mehr bedurfte für das wahre Gute in der Welt und in den Menschen. Sie müssen nur das Richtige im Kopf haben: Bier.
Kneipenkomik
Daß Kneipen nicht per se Orte des Komischen, aber sehr oft Bühnen für sehr, sehr komische, krumme, chaotisierende Charaktere sind, das lehren uns Literatur und Leben. Leider verschwinden zusehends jene simplen Gasthäuser, jene Rohkomikkabuffs, in denen sich das Publikum richtig mischt und eben erst diese Mischung die zuweilen irisierendsten Durcheinanderquatschereien von Vertretern der Bäcker-, der Fahrrad-, der Videoverleih- und der Bremsbelagbranche möglich macht. Wer mal zwei, drei triste Stunden in einem Aufsteiger-, Börsianer- und Werberschuppen vergammelt hat, weiß spätestens dann die angebliche Borniertheit der Normaltrinker und -schaffer zu schätzen. An deren teils großartig törichtem, widersprüchlichem, völlig gelöstem Gelaber entzünden sich unvermindert die schiefsten, dynamischsten, ungewollt artistischen, die wuchernden, ungeheure Satzverschachtelungen und Argumentationsverwirrungen erzeugenden Dialoge und Dramolette.
Manchmal reicht jedoch auch ein einzelner Satz, wenigstens mir, zum Beispiel eine herrlich grundlose, bündige Beleidigung. Eine solche landete formvollendet in der ausgerechnet dem FAZ-Personal als Speiselokal dienenden Frankfurter Zeitungsente ein mir Tag um Tag lieber werdender genialischer Bauunternehmer, schon tapfer weißweintequilaschorlebefeuert, gegen die Mitte des Raumes hin kreiselnd und die Journalistenmannschaft wunderbar düpierend: »Mein Name ist Wolfgang Stumpf, ich koch’ kaa Nudeln, verkauf’ kaa Auto, ihr könnt mich am Arsch lecken.«
Ich mußte sehr lachen. Ob da ein neuer Duschke heranwächst? Ich observiere weiter.
Die Gasthaushölle und die goldene Gerste
Einerseits hätten wir da: Ansbacher Hof, Hans Gruber Sommerkeller, Gaststätte Frank, Goldener Schwan, Wittelsbacher Hof, Wieland-Stubb, Schneiderskeller, Zur Linde, Grüner Baum, Gaststube Benaburger, Rotes Roß, Wirtschaft von Georg Schaffer, Zur Sonne, Bürgerbräu Stuben, Gasthof Herold, Zum Roten Ochsen, Lindenkrug, Brauereigasthof Weißes Roß, Zum Schwarzen Bären, Sonnenhof, Kreuzbergkeller, Landgasthof Rittmayer, Gasthaus Blauer Löwe, Zur schwarzen Katze, Zur Post, Zum goldenen Adler, Weißes Lamm, Schöne Müllerin, Schöne Aussicht, Krug zum Goldenen Kranz, Goldene Gerste, Brau-Gaststätte Mainlust, Solzer, Biergrund, Alte Mühle, Zum Hirschen, Zum Goldenen Stern, Goldene Krone.
Andererseits: Labyrinth, Lebensfreude pur, Fabrik, Living, Lüsterweibchen, Zum Häßlichen, Zwischendurch, Saftladen, Energy Eatery, Thomas-Mann-Stubb, Upper Westside, Weinstube Schampus (vgl. Bild, 11. Februar 2003: »Grünen-Chefin blau im TV?«, das heißt: »Hicks! Prost!« wegen »eines Glases Weißwein«: »Der Außenminister sieht sich gefesselt« [Beerlein]), Verona, Ambiente, APO, Oldtimerstübchen, Natur-Bar, Wunderbar, Hexen Häuschen, Himalajahaus, Historix, Holzkopp, Futterstadl, Pfefferdutt, Lobster, Gäulchen, Guck-Guck, Klick-Klack, Krawallschachtel, Mampf, D’Andrea, Joschis Pinte, Funny House, Die Gans, Die Spaßkneipe, Die Hölle .
Was klingt (nach einer) besser(en Welt)?
Das Verschwinden des dicken Luftraums
Wie sie da sitzen und bald nicht mehr sitzen werden – die vier Schafkopfer, seelenstumm in ihre spielerische Wirklichkeit versenkt, jeweils ein Halbliterglas Helles vor sich. Die Karten platschen auf die klebrige Tischplatte, die zerknitterten Gesichter verschwimmen im Zigarren- und Zigarettenrauch, das Lampenlicht durchdringt den dunkeldicken Qualm kaum.
Ein Endfünfziger bringt Bier – Stirn und Wangen eine Schluchten- und Kraterlandschaft, die Augen wäßrig und weich, Schildkrötenhaut bedeckt seine knochigen Finger. Das mache vier Euro zwanzig, sagt er, für zwei Halbe.
Das sei ja, würde der Metropolenmensch jetzt ausrufen, hätte er hierher gefunden, »fast geschenkt!« Bald aber wird man in Fürths Bahnhofsgaststätte wohl nichts mehr geschenkt bekommen, und man wird nicht mehr bewirtet werden von einem Mann, der dies sehr gut kann – ohne Sperenzchen, ohne Tamtam – und der wahrscheinlich nichts anderes kann, weil er wahrscheinlich nie etwas anderes werden konnte als Bedienung in der Bahnhofsgaststätte zu Fürth.
Auch die vier Schafkopfer werden ihre Raucherhölle verlassen müssen, in der sie niemand belästigt und in der sie sein können, was sie noch sein können, denn die Modernisierung der Bahnhöfe schreitet voran. Fürth, so steht zu vermuten, ist demnächst dran, in Nürnberg nebenan hat die »Unternehmensbereichsleitung DB Station&Service« ihr Werk ja schon vollendet und ganze Aufräumarbeit geleistet, nämlich ein an innerstädtische Einkaufspassagen erinnerndes, durch Securitykräfte geschütztes, luftig-lichtes Konsumparadies aus Boutiquen, Hot-Snack-Points, Wok-Opens, Rail-Ins und Coffee-Table-Lounges geschaffen, in dem für Nichtsnutze, Gescheiterte, Deklassierte und Müßiggänger kein Platz mehr ist. Bis 2010, vermeldet die Deutsche Bahn AG denn auch stolz, werde man weitere fünfhundert Millionen Euro »in unsere Bahnhöfe investieren« und sie unwiderruflich ruinieren.
Die unheilvolle Geschichte der Renovierung, aus der eine revolutionäre Umgestaltung der Bahnhöfe in »moderne Verkehrsstationen und