Die Poesie des Biers. Jürgen Roth

Die Poesie des Biers - Jürgen Roth


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Der Lange lachte, und der Kurz-Dicke, sein kleiner Reinschüttbruder, kicherte.

      Das hat meiner Liebe zum Bier nicht nachhaltig geschadet, aber es war dies, ohne daß ich es damals ahnte, doch das genaue Gegenteil des stillen Tresentrinkens, das ich manchmal schätze, wenn das Kollektiv um mich herum kollabiert und ich eine Wand angucke.

      Es gibt gute Gründe, betrunken sein zu wollen. Aus einer Gruppe, zumal einer Gruppe von Sportlern, kommen sie nicht. Ein drogenfreies Leben ist ein Fluch, ein protestantischer. Ein Sportlerdrogenleben ist ein Grauen, ein fürchterliches, ein doppelt protestantisches Grauen des Zwangs. Saufen gegen und als Leistung.

      Damals, 1983, gab es noch nicht diese Turnschuhe mit Plastikglasbausteinen im Absatz. Hätte es sie gegeben, ich bin sicher, hinter den Sichtfensterchen der Turnschuhe meiner Handballergenossen wäre Bier geschwappt. Nein, geschwommen, hin und her.

      Trotz Zahlkraft der Heimat so fern

      Wohin ich denn wolle, fragte der Taxifahrer. Sein von einem wohl noch nicht allzu langen Leben in Hanau gezeichnetes Gesicht hing elend und ohne jeden Anflug von Milde zwischen Türholm und heruntergelassener Scheibe. Der Mond bestrich den Bahnhofsvorplatz mit einer schmierigen grauen Lasur, und es war kalt wie im Herzen Josef Stalins oder Friedrich Zimmermanns.

      Vor mehr als einer Stunde hatte ich in Mainz die S-Bahn genommen. Es war ein anstrengender, aber zufriedenstellender Arbeitstag gewesen. Die Schlußkorrektur eines Buches hatte alle geistigen Kräfte verbraucht und Herr Büsser, der Chefideologe des noblen Ventil Verlags, anschließend zu einigen dampfablassenden Bieren geladen.

      Um kurz nach zwölf war ich in Mainz-Süd in die S 8 gefallen, eine gute halbe Stunde später wäre ich zu Hause in Frankfurt gelandet. Nun schaute ich in den widerlichen Himmel über Hanau. Die Uhr zeigte Viertel nach eins. Auf den Gleisen standen Gleismeßzüge, verrostete Cargo-Waggons und gestrandete InterRegios. In der Ferne schimmerten ein paar Funzellichter. Ein Kasten, das Arbeitsamt, entworfen von unzweifelhaft schwerkriminellen Halunken, schob sich ins Passepartout aus Nichtigkeit, Weltverachtung und Wirklichkeitsvernichtung.

      Nichts fuhr mehr, kein Zug, keine S-Bahn. Finis, Feierabend, Sense. Weil ich eingeschlafen und an der Endstation Hanau von einem unbarmherzigen Bahnbediensteten aufgeweckt worden war, hing ich jetzt in der denkbar verfluchtesten Materialisation des Nichts fest und herum wie der traurigste Arsch auf Trockeneis. Rumhängen in Hanau, das ist ein Gefühl, als müsse man sich auf der Stelle entleiben. Zum Glück fiel mir ein Satz meines Kumpels Christoph Winnat ein: »In Hanau zu sterben ist sinnlos.«

      Ich hatte nicht gewußt, daß Hanau, das laut der obligaten städtischen Website »viel zu bieten hat« – eine Ex-Atomfabrik, »Dauerkleingärten« und eine »Altstadt« (www.hanau.de), aus der schon die Brüder Grimm zu fliehen sich gezwungen sahen –, darüber hinaus auch über keine sichtbaren Hotels in Bahnhofsnähe verfügt. Von Gästen will man in Hanau offenbar nichts wissen, man läßt sie am Rande der Stadt herumirren und vergammeln, dort, wo diese architektonische Saufrechheit von einem Bahnhofsgebäudespitzenmißgriff der Erde Antlitz aufs himmelschreiendste verschandelt und, die Worte sind bedächtig gewählt, entsetzlich entstellt, ja hohnlachend zur Schnecke macht.

      Ich hatte also kein Hotel gefunden, weil dem untrüglichen Anschein nach kein Hotel zu finden war. »Ich muß nach Frankfurt«, antwortete ich dem Taxifahrer, und er zog die rechte Augenbraue hoch. »Das ist aber weit.« – »Ich weiß«, sagte ich demütig und wies mich mit einem Hunderter aus. »Na gut, steigen Sie ein«, sagte er, »aber ich kenn’ mich in Frankfurt nicht aus. Ich fahr’ nur bis zum Bahnhof.« – »Ich wohne bloß zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt, ich zeig’ Ihnen dann den Weg.« Er sagte nichts.

      Am Frankfurter Hauptbahnhof, nach etwa sechzig Euro, endete die wortlose Fahrt. »Entschuldigung«, sagte ich, »wir müssen noch ein Stück weiter.« – »Ich kenn’ mich nicht aus«, sagte der Taxifahrer und drückte eine Taste am Taxameter. »Bitte«, ich fischte den Hunderter aus der Jackentasche, »nur schnell zweimal rechts und drei Minuten die Mainzer Landstraße runter.« – »Die was?« – »Die Mainzer Landstraße bis zur Galluswarte, dann sind wir fast da.« – »Sie haben gesagt: direkt am Bahnhof.« – »Ja, na ja, es ist wirklich praktisch am Bahnhof, das dauert nur ein paar Minuten.«

      Der Hunderter in meiner rechten Hand bewegte ihn dazu, den Gang wieder einzulegen. Als wir auf die Mainzer Landstraße eingebogen waren, fragte er: »Und?« – »Gleich. Da hinten.« Ich wies mit dem Zeigefinger geradeaus. Hundert Meter weiter hielt er an. »Ich fahr’ keinen Meter mehr, ich kenn’ mich hier nicht aus.« – »Ich bitte Sie, es ist nicht mehr weit. Wir sind gleich da.« – »Das sagen Sie.« – »Glauben Sie mir doch!«

      Erneut rollte der Wagen an, und im gleichen Atemzug stieß der Mann am Steuer einige dunkle, unverständliche Laute aus, was mich dazu animierte, ihm nachdrücklich Mut zuzusprechen. »Sie haben gesagt: am Bahnhof«, giftete er zurück, und als ich ihm ein mattes »Ja« entgegnete, stieg er, die Galluswarte war noch immer nicht zu sehen, in die Eisen.

      »Schluß jetzt! Ende der Dienstfahrt! Raus!«

      Was macht Hanau bloß aus den Menschen? Sie werden doch gut bezahlt. Von mir.

      Alles fahren lassen

      Man hat ein Wochenende in Eisenach verbracht. Am Tag der Rückreise weilt Freund M. aus beruflichen Gründen in Weimar. Man verabredet, sich zu treffen, das eine oder andere zu unternehmen und abends gemeinsam nach Frankfurt zu fahren – mit dem Zug, versteht sich, denn Zugfahren ist eine dem Gemüt dienliche, rundum vernünftige Fortbewegungsart.

      Beim Zugfahren läßt sich lesen, dösen, faseln, aus dem Fenster gucken, rauchen, trinken und Schiffeversenken spielen. Das wird nicht mal die Kundenorganisation Pro Bahn bestreiten, die nimmermüde Beschwerdelisten erstellt und nolens volens den letzten unantastbaren deutschen Mythos nährt: daß nichts verkommener und unzuverlässiger sei als die deutsche Bahn.

      Daß Freund M. nicht nach Eisenach brummt und ich statt dessen in die Klassikerstadt aufgebrochen bin, obwohl die abendliche Route von Osten gen Westen, mithin von Weimar via Eisenach nach Frankfurt, also von Eisenach Frankfurt führt, bleibe hier beinahe unerwähnt. Keineswegs ablassen von ihrem nörglerischen Tun können indessen all die Hunderttausenden von Bahnbashern in diesem Lande. »Ruhig beschweren bei Ärgernissen«, empfiehlt, avantgardistisch gestimmt, www.geizkragen.de, obschon die Bahn rechtlich nicht verpflichtet ist, bei »Unregelmäßigkeiten, Ausfällen oder Störungen zu haften« (Stiftung Warentest). Denn es geht den Krakeelern und Giftzwergen ja nicht in erster Linie um geldwerte Erstattungen auf Grund von dreitägigen Verspätungen, doppelt reservierten Sitzplätzen, wegen des durch klemmende Klimaanlagen verursachten sommerlichen Ungemachs, stundenlang verstopfter Klosetts, vernagelter Türen, verpaßter Anschlußzüge, »irreführender Durchsagen« (Verbraucherzentrale NRW) und vollgereiherter Polster; sondern um das Gemoser an und für sich, das ihnen als Ausweis ihrer kerzengerade rechtschaffenen Spießerexistenz gilt.

      Ich treffe Freund M. in einem Café an der Carl-August-Allee. Rasch ist uns nach anderen Getränken zumute, zum Beispiel einem Bier im einst von Hitler heimgesuchten Elefanten. Über Stunden gestalten wir zusammen mit den zwei Kellnerinnen das numerische Verhältnis Gäste–Bedienungen einwandfrei ausgeglichen. Gegen acht streben wir zum Bahnhof, rasten in einer Schenke an der Carl-August-Allee, bequatschen formvollendet derangiert die blonde Schönheit hinterm Tresen und besteigen den letzten, pünktlichen Direktzug nach Frankfurt. Ein Rädchen greift ins andere, auch wenn die zerebralen Verbindungen langsam ein wenig knirschen.

      Über den von Pro Bahn mehrfach genannten Beschwerdepunkt »Fahrer raucht beim Fahren« könnten wir nur lachen, laut, laut lachen. Freund M. ratzt praktisch augenblicklich am Bistrotisch weg, ich versuche eine Brünette zu becircen, die sich aber etwa bei Bad Hersfeld meinen geschickt formulierten Avancen (thematisch eingekleidet in Rilke, Goethe, wahrscheinlich Fußball) durch Verlassen des Abteils entzieht.

      Freunde der Bahn


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