Die Poesie des Biers. Jürgen Roth

Die Poesie des Biers - Jürgen Roth


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Halbliterpokalen oder -bechern oder, mögen das die Umstände diktieren, -glaskrügen glänzend und leuchtend, das Startbier, mit einer stolz-zierlichen, ja: stolz-zierlichen, vornehmformschönen weißen Haube, so kommt es daher, gebracht von einer blonden Dame im schwarzen Rock, die stellt es vor uns hin, nicht robust, sondern präzise und feingliedrig, und dann nehmen wir die Humpen zur Hand und führen sie zum Mund, der Schaum knistert bittersüßleis’, ein Duft aus Hopfen und Hoffnung weht uns an, und der erste Schluck, er ist, wie er ist, noch nicht beschrieben worden, und wir maßen uns genausowenig an, das zu wollen oder gar zu können.

      Ja, das Startbier ist das beste Bier der Welt, und »das beste Bier der Welt, / das haben wir grade bestellt« (Michael Tetzlaff). Allerdings wird das Startbier auch als Flaschen- und Solitärbier genehmigt, auch als ein solches vermag es, etwa am Schreib- oder Gartentisch geöffnet und in den Körper hineingelassen, sehr deutliches Einverstandensein mit der Welt auszulösen, denn das erste Bier des Tages gibt uns immer zu verstehen, daß dies kein verlorener oder immerhin kein gänzlich in die Grütze gegrübelter Tag gewesen sein wird. So ist es.

      *

      Aufbaubier

      Heute hartprotestantisch runtergeochst: einen Aufsatz über Thomas Bernhard, eine Glosse über die Heillosigkeit in und rund um Pirmasens und der da und dort herumwurstelnden Menschengestalten, ein Minidrama über das »extreme Ende« eines sexualnarrischen Schauspielers und ein einzeiliges Gedicht über Probleme der Patisserie. Noch zu erledigen und wegzukurbeln: kurze theoretische Skizze über die Dignität der Dampfgitarre, Bemerkungen zum Schweizer Wehrgeist in der Kunst und Komplettzerlegung des »Werkes« von Andy Warhol (Form offen). Das Aufbaubier (nie vor vier, besser: nie vor 18 Uhr! Nur dann schon vor vier, wenn bereits morgens um sechs vor der Computerkiste gesessen), das Aufbaubier ist unser nobelster Helfer und Salvator. Es ermuntert die körperlichen und geistigen Elementarteilchen, sich trotz Erschlaffung und Gammelgestimmtheit einen Schubs zu geben, sich zu strecken und zu recken, ein paar Kniebeugen zu machen und die bleiernen Beine zu schütteln und derart erfrischt und verjüngt in harmonischster Kopf- und Somaformation strammzustehen, für uns, die Obermieter der Elementarteilchen in Schädel und Schrumpf (eigentlich: Rumpf). Und siehe, dank Aufbaubier kriegt mindestens der Warhol heute noch hartherzig-gerecht und satt jeweils eine auf die Drei, die Neun und die Zwölf.

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      Vorlaufbier

      Während der Besichtigung einer Wohnung, die ein Mitarbeiter des münsterischen Oktober Verlages zu mieten gedachte, fragte der Vermieter den Mitarbeiter des münsterischen Oktober Verlages, wie der Verlag denn zu seinem Namen gekommen sei. Der Verlag sei zu seinem Namen Oktober Verlag gekommen, weil er im Oktober gegründet worden sei, antwortete der Mitarbeiter des Oktober Verlages, der dem Vermieter beim Betreten der Wohnung sofort seine Visitenkarte ausgehändigt hatte, weil das, wie er gedacht hatte, bestimmt einen günstigen Eindruck machen würde.

      Ein paar Minuten später hörte der Mitarbeiter des Oktober Verlages den künftigen Vermieter im Nebenzimmer zu seiner Frau sagen: »Gott sei Dank, er ist kein Kommunist.«

      Ohne Vorlaufbier, das der Mitarbeiter des Oktober Verlages auf Grund einer Vorahnung, daß die Angelegenheit sich als heikel würde erweisen können, zwecks antizipierender Kalmierung eingenommen hatte, wäre die Sache sicher nicht gut- und klargegangen.

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      Unterbier

      Scheußliches Symptom, mit dem eine Art Fünfter Weltkrieg im Geist und im physiologischen Apparat des Biertrinkers charakterisiert wird, der am Tag/ Abend zuvor »einen zuviel«, »einen über den Durst« und/oder »einen Container mehr, als er verträgt«, umgebolzt hat.

      Der um sämtliche Fährnisse und Mißtritte in dieser Welt wissende Gasthausvater fragt den oder die unter Unterbier leidenden Biertrinker, der oder die am Frühstückstisch herumlemurt/herumlemuren, als seien – wechseln wir endgültig mal in den Plural –: als seien sie von Seelenfäule in Kombination mit Magenatomarsäure befallen, ob sie »ein Unterbier« hätten.

      Hm, ja, hm, doch, ja, könnte sein. Aber was sei denn ein »Unterbier«.

      »Ja, ihr hobts halt a Unterbier!« sagt der Gasthausvater, läßt, nun bereits wieder wie auf einen Gotteswink hin stämmig und stad hinterm Tresen stehend, diverse Gegenunterbiere in diverse Gegenunterbiergläser einrauschen, schleppt die diversen Gegenunterbiergläser dann hinüber zum Frühstückstisch, und die unter Unterbier leidenden Biertrinker saugen die Gegenunterbiere des Gasthausvaters zügig in sich hinein, und dreiundzwanzig Sekunden danach kann die schon jetzt ehemaligen unter Unterbier leidenden Biertrinker ihr ehemaliges, ja kürzlich noch schmerzlichst bemerktes Unterbier vollständig zufrieden volles Rohr am Arsch lecken.

      Das zum Unterbier.

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      Konterbier, auch: Stützbier

      Folgt aus der Diagnose, ein Unterbier zu haben. Impliziert indes den eher autonom gefaßten und weniger von einer Wirtsperson unterbreiteten Spontanplan, der ziemlich ausufernden Gefühlsmarodität wegen Abusus vortags gehörig und mit letzter Schützengrabenentschlossenheit brutalstmöglich in die Eier zu treten. Heißt: Fight fire with fire. Einfacher gesagt: unmittelbar nach dem Erwachen aus diarrhöetrüben Träumen ein bernsteinglühendes Schlappeseppel hineinlitern und ordnungsgemäß einschrauben. Ein Bier kann auch ein Skelett sein, o ja!

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      Dehnungsbier

      Laut dem Universalsoziologen Dieter Steinmann dies: »Das Dehnungsbier ist ein Bier, mit dem man eventuell Zeit dehnen kann oder Vorgänge oder das Warten auf den Kellner oder irgend so etwas. Eine Untergattung wäre das Prolongariatsbier oder so was ähnliches, irgendwie. Nicht irgendwie ein Eckenstehereibier irgendwie. Es gibt ja so Vorgänge im Gehirn, aber das Dehnungsbier ist ja was Reelles, was Materielles, es steht ja da. Das extreme Gegenteil auf jeden Fall vom Schnaps oder vom Cocktail. So Vorgänge gibt’s. Es gibt so Vorgänge. Die die Zeit länger machen, irgendwie.«

      Genau.

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      Spekulativbier

      »Wäre ein Ermutigungs- oder ins Psychodynamisch-Praktische hineinstoßendes An- und Befeuerungsbier denkbar?« (Dr. D. Steinbierleberlaus)

      Nicht schlecht, daß wir uns diese Frage gestellt haben. Tut ja sonst niemand.

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       Anbiederungs- und Affirmationsbier

      Offeriert in Golfklubs, Theaterfoyers, Eros-Lounges und Saunen. Lehnen wir ab.

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      Substitutions- und Humanplatzhalterbier

      Dito entdeckt und dingfest genagelt von Dieter Steinmann – als sozialsymbolisches Handlungsersatz- und -anbahnungs- und -anbahnungsscheiterbier in Kreisen verkrüppelter Krautköpfe, die durchaus unser Mitleid verdienen. Lehnen wir dennoch ebenso streng ab. Das Bier der Geworfenen. Müßt halt Heidegger lesen und dumm bleiben.

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      Ad-hoc-Bier

      Ein Wunderzauberereignis. Man hängt in der Welt herum, sieht dies, sieht das, ist indifferent-omnilateral vermurkst, guckt ein Auto an, das richtig parkt, und fragt sich: Warum ist dieses Auto richtig geparkt worden?

      Antwort gibt ein Ad-hoc-Bier, ohne Vorsatz bei Costa am Wasserhäuschen gekauft. Und plötzlich ist alles optimal gut eingeparkt in dieser rundherum veritabel wahnsinnigen Welt. Hau doch die Kuh aufs Eis, aber was!

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      Unbier

      »Man muß immer trunken sein«, sagte Baudelaire. So sehr es aber Unmenschen gibt, so sehr gibt es Unbier, kantisch gesprochen: Bier zur flaschen, halt: zur falschen Zeit im falschen Raume. Bier läuft in der Nacht nicht weg, heißt es im Pfälzerwald aus güldenem Munde, allein, Bier, das, nicht weglaufend und allzeit zur Hand, zur Unzeit gereicht, ist nicht geeicht auf den Raum, in dem es, gereicht, uns zum Plaisier gereichte.

      (Diesen Gedanken noch mal überdenken. Obschon heute an Denken nicht zu denken ist.)

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      Erinnerungsbier


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