Die Poesie des Biers. Jürgen Roth

Die Poesie des Biers - Jürgen Roth


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die alte Plinse gleich zum Mond schießen, aber sie sprang auf und zur Seite und kreischte: ›Du bist Dreck für mich!‹ – ›Ja, um den Dreck könntest du dich auch mal kümmern, mal staubsaugen und so‹, sagte ich wieder ganz ruhig, und sie begann hysterisch zu lachen. Ich stand bloß da wie eine Gulaschkanone. Ich war irrsinnig traurig, megaenttäuscht. Also haute ich ihr eine runter und ging ein Bier trinken. Man hat ja auch Gefühle.«

      So dürfte sie sich abgespielt haben, die berühmte, im Erstling nur angedeutete Episode, und genau so wollen wir das in Hinter den Kulissen bitte lesen.

      Die Blaue Bierblume oder: Ein hehrer Halunke und harter Herold

      Kurz nach dem unverschuldet verheerenden Zweiten Weltkriege baut Helmut Kohl, unterrichtet uns E. Henscheids diesbezügliche biographische Analyse (Helmut Kohl – Biographie einer Jugend, Zürich 1986), gleich zielorientiert die eigene Bildung zum charakterlichen Masterplan aus und liest sämtliche Weltliteratur zusammen und viel politische Schriften, etwa den »Weber Max« (Gerhard Polt). »Ja, allerlei Firlefanz zieht und grummelt Kohl damals durch den jetzt langsam immer kompakter und ausladender werdenden Kopf« (Henscheid), und bald, sehr bald drängt der Ludwigshafener Bursche »energisch an die Spitze« (Die Kohl-Rolle, Stephan Lamby/Michael Rutz, Deutschland 2000), um einerseits die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen, andererseits, um sein Bundesland auf Vordermann zu bringen. »Gelassenheit und Selbstsicherheit« helfen ihm dabei so eindrücklich, daß schon die ersten kritischen Stimmen zu schweigen beginnen. Da ist ein Vormarschmensch zu beobachten, der nicht lange fackelt oder wenigstens genau weiß, wohin der bisweilen lange und schotterige Weg führt und wann es Zeit für ein Faß guten Gelsenkirchener Bieres ist.

      1967 triumphiert Kohl anläßlich der Landtagswettkämpfe, wird eindrucksvoll zum neuen Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz bestallt und stemmt darob einen Kasten Bratislava. Er »hat den gestrigen Wahlkampfsieg mit amerikanischen Methoden und einer jungen Mannschaft gleichgesinnter Pfeifenraucher errungen«, feiert das Fernsehen den immer der Sportlichkeit und dem Spiritus gambrinus verpflichteten Sieger. Obschon Kohl gerne boxt, rauft und ein Seidel zuscht oder »zwickt« (Heribert Lenz), muß er nicht den Friedsamen herauskehren. Er verkörpert den Gemütsmenschen, den Bierzeltler par excellence, den heimatträgen Hünen und Rumpelheimer, der aber zu Hause sehr wohl sich zu benehmen, die rauhe Schale abzulegen und einen schönen Schluck Weißbier (trotz Strauß) zu schlucken versteht zugunsten eminenter Gelassenheit: »Wer ihn im Kreise seiner Familie erlebt, spürt recht bald die herzliche Atmosphäre, die von ihm ausstrahlt.«

      Gewiß, Kohl ist, auch auf Grund seiner inständigen Bierliebe, ein »vitaler junger Politiker«, der nicht genug damit zu tun hat, von seiner holden Hannelore sich die Eier braten und prima Sprößlinge betreuen und während des Schaukelns sich die Eier tätscheln zu lassen, er strebt, obwohl er bereits Landeschef ist, noch mehr an. Er inspiziert die Lage und erkennt Möglichkeiten. »Dabei kommen ihm«, erkennt der TV-Sprecher, »ein scharfer Intellekt, starker Wille und nicht zuletzt sein ausgeprägter Humor zustatten.« Welcher, bekanntermaßen, aus dem Bier kommt, sofern Kohl seine zwei Paletten intus hat.

      Kohl sinniert zu jener Zeit ausführlich und scharf. Zu diesem Behufe stopft er einen Kelch Mayer-Märzen aus der Ludwigshafener Nachbarschaft in sich hinein. Das hat Tradition in seinem Leben. Allzeit waren Zug, Gesinnung und ein strammes Wollen darin, seit Angeburt und dem Erwachen der Persönlichkeit ohnehin, die ohne den täglichen Hektoliter Export allerdings nicht annähernd so prall sich entfaltet hätte (Vermutung). »Mit siebzehn Jahren bekannte er sich zur CDU, mit achtundzwanzig Jahren führte er die Fraktion im Landtag, heute hat er die Partei reformiert«, vom Wahlverein zur »tollen Partei« (A. Merkel) gemacht und entwickelt zur Partei neuen Typs, »der Weg ist ihm vorgezeichnet«.

      »Diese sechzehn Jahre«, reflektiert Kohl 1998 fürs Fernsehen, »sind ja nicht irgendwelche sechzehn Jahre.« Gott bewahre. Es sind Kohl-Jahre gewesen, die Kanzlerschaftsjahre, und nicht bloß sie. Da rumort und dröhnt es schon mal bärenstark, wenn sich Kohl zu einem kleinen Damenpils entschließt. Kohl nämlich ist ein Unikum, das sich pressekonferenzlich am 4. Januar 2000 allerdings auch nicht unrechtmäßig wundert: »Ich komme mir beinahe seltsam vor. Ich bin fünfzig Jahre Mitglied der Partei, bin vierzig Jahre Abgeordneter, war fünfundzwanzig Jahre Parteivorsitzender, acht Jahre Ministerpräsident und sechzehn Jahre Bundeskanzler. Ich habe vier Brauereien ernährt. Ich habe wirklich der Partei gedient, es ist meine Partei, es ist meine politische Heimat.«

      Er intendierte ja ein schon Psalm-90-lange Jahre währendes Leben »Ordnung« (Fernsehen) und erreichte sie oder errichtete sie notfalls unter Zuhilfenahme dreier morgendlicher Stützbiere. »Alles hat seinen Platz«, berichtet das unparteiische Fernsehen 1972 in einem Film über Kohls Schreibtisch, auf dem sich die abgelösten Bieretiketten akkurat stapeln, und erinnert zugleich an die Stunden der bitteren Niederlagen, aus denen der Oggersheimer Wusler ziemlich gestärkt wieder hervorkraxelte, weil er dem passionierten Bergsteiger Heiner Geißler nacheiferte und seinen persönlichen Bierberg erklomm: »Der Pfälzer bewahrt in der Niederlage Stehvermögen und verläßt sich auf seine Kampftruppe Kohl aus alten Tagen«, die ihm garantiert irgendwann die Rente sowieso sichert und hinblättert und ein Freibier, nur eins!, spendiert, wenn schon sonst nichts mehr geht.

      That all beiseite, und Kohl denkt jetzt erst recht nicht daran, zurückzustecken und kleine Mäuse scheu zu machen, er marschiert abermals gerstenfroh und kontert, auf daß die Bilanz dieses äußerst früh vorgezeichnet erfolgreichen Lebens stimme. »Rüde, trickreich und auf Dauer hat Helmut Kohl seine Gegner kaltgestellt«, sagt das Kampffernseh’, und siehe und höre, 1998 becirct Kohl, leidlich besoffen, den weiterhin Seiner Majestät gewogenen Parteitag mit den gestochenen Brauerworten: »In den wesentlichen Entscheidungen haben wir uns nicht geirrt, darauf können wir stolz sein!« Um sich daraufhin steil hochleben zu lassen, bei einer blöden oder blonden Braut.

      Stolz zählt sogar 1970 oder 1975 bereits zu den hervorstechenden Eigenschaften des noch nicht ganz zum vollrunden, im Bierphysiognomischen sich äußernden Komplettherrschertum durchgebrochenen Kohl. Ein öffentlich-rechtliches Feature zeigte überzeugende Heimbilder und bemerkte demütig, während Seine Exzellenz laubsägte, einen Kanister Eichbaum ansetzte, der Gattin beim Heimorgeln zuschaute und den dummen Journalisten pfeifemümmelnd-verkniffen, ja wehnerisch böse und total geistesabwesend, ja wie bescheuert lauschte: »Er besaß erstaunliche handwerkliche Fähigkeiten und die nötige Geduld, um die Bastelarbeit auch zu Ende zu führen. […] Nur zu gern scherzte er mit seiner Umgebung. Er liebte dabei nichts mehr als ein Glas Bier und ein Gegenüber, das seine kraftvollen Späße mitmachte und auch mit gleicher Münze zurückzahlte. Hier trat sein wohl tiefster Lebenswunsch zutage: so sein dürfen, wie er wirklich war: ein Gemüts-, ein Biermensch. Was er von anderen an Menschlichkeit erwartete, erwartete er von sich selbst zuerst.«

      Kohl ersehnte wirklich nichts mehr als eine human erfüllte Wirklichkeit voller Eichbaumlaubsägearbeiten und späterer Eichbaumschnarchsägereien, in der jeder er selbst und das – nach Maxl Stirner – Seine sein durfte (Satz revisionsbedürftig). Das hatte einen Stil (id est Blaue Bierblume). Deshalb zerstörte er, Kohl, sämtliche Mythen, wuchtete sich würgend eine Schorle rein und brüllte dann die deutsche Presse 2000 an: »Auch das ist Fanta [oder Fama; J. R.]!« Um nicht zu versäumen, seinen legendären »Willen zum Miteinander« (Henscheid) zu demonstrieren, den Stammtischschulterschluß, der jedem Vorsitzenden ein leichtes ist, erneut krafterfüllt humpenhofierend unterstreichend: »Ich stehe hier auch in der universellen Verantwortung als Parteivorsitzender auch für den Fahrer! Weil ICH nicht mehr fahren kann!«

      Dieser Max Webersche Kelch- und Kastenwerteuniversalismus leitete Kohl während aller entbehrungsreichen Amts- und Karrierephasen, die samt und sonders dem Leitsatze Maos verpflichtet waren: »Wir müssen an die Massen glauben, wir müssen an die Partei glauben: Das sind zwei Grundprinzipien. Wenn wir an diesen Prinzipien verzweifeln, können wir nichts zuwege bringen.« (Für diese Aussage gönnte sich Kohl, nebenbei erwähnt, zugs einen Kasten Krombacher. Es war grad nichts anderes da. Das dazu.) Zuwege brachte der Pilsener, lies richtig: der Pfälzer einiges, manch titanisch Anmutendes, auch im Sinne seines Lieblingsschriftstellers Jean »Biertitan« Breitner. Nicht entbehrte er indes, trotz der riesigen Anstrengungen auf dem zu beackernden politischen Felde, der Privatheit.


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