Human Punk For Real. Marco Thiede
Bremen, die waren mir aber zu langweilig, da Werder zu jener Zeit ständig um den Abstieg spielte, oder im unteren Tabellendrittel zu finden war.
Bei den drei Spielen, die man damals in der Sportschau sah, ging es jahrelang hauptsächlich nur um die drei, vier Top-Vereine an der Spitze der Liga. Da war Bayern München angesagt, die einzige Mannschaft, die allen Teams in Europa Paroli bieten und diverse Meisterschaftstitel einheimsen konnte.
Ich verbrachte viel Zeit bei meinen anderen, guten Großeltern, welche mir immer in bester Erinnerung bleiben werden.
Mein Onkel, der bei meinen Großeltern unter dem Dach wohnte, hatte des Öfteren ein paar Singles von T. Rex und The Sweet auf seinem Plattenteller, was irgendwann mein Interesse weckte.
Schon als Zehnjähriger hatte ich mit all den Schnulzenbands, die meine Eltern hörten, überhaupt nichts am Hut. Die Hitparade mit Dieter Thomas Heck war mir zuwider und auch beim peinlichsten Musikmoderator aller Zeiten: Ilja Richter, konnte man bei 95 % aller Bands nur die kalte Krätze kriegen. Von Pussycat über Baccara, über Peter Maffay − das Gruselkabinett kannte keine Grenzen. Da war man schon froh, wenn man wenigstens bei ABBA die damals hübsche Annafried bewundern konnte, was sich aber zu null Prozent auf deren Schrottmusik bezog – es sei denn man war stinkbesoffen und einem war eh alles scheißegal.
Mein drei Jahre älterer Bruder weckte derzeit seine Vorliebe für Progressive Rockbands, wie Rainbow oder Nazareth. Aber Bands mit Songs à la „Love hurts“, kickten mich auch nicht grad besonders.
Ich merkte schon früh, dass ich eher mit den Bad Boys der Musikszene zu begeistern war.
Da gab‘s noch Bands wie The Who, wo man von demolierten Bühnen und Gitarren hörte. Das hatte schon eher was für mich, aber nach wie vor gab es nichts so richtig, was mich überzeugen konnte. Naja, gab es schon, wie MC5, oder Iggy and the Stooges, aber von denen hatte man in Deutschland wenig gehört.
The Sweet taten das einige Jahre für mich, sie hatten trotz Tophits immer noch diesen aggressiven Background und den Hang zur Zerstörung, das war schon cool.
Aber ich hätte niemals geahnt was zwei Jahre später, gegen Ende 1976, auf mich zukommen sollte.
Etwas, das es bis dato noch nie gab, etwas Neues, Rebellisches!
Punk Rock, eine Musik, die mit allem abgerechnet hat.
Ein Musikgefühl, gepaart mit Lifestyle, der pure Wahnsinn!
Das hat bis heute, auf ewig, mein Leben geprägt und alles jemals Dagewesene völlig auf den Kopf gestellt.
London Arsenal Taverne
1976
Das war das Jahr der Erlösung! Ein Haufen genialer Verrückter aus London sollte auf ewig das Leben einer ganzen Generation und Jugendkultur verändern. Das war das Jahr des Punk Rock!
Eine Rebellion gegen das Musik-Establishment und eine Revolution der Unangepassten. Endlich wurde mit dem ganzen Disco-Müll und deren Love Song-Gejammer abgerechnet und Tacheles geredet. Endlich hatte man Musik zum Anfassen, zum Durchdrehen und zum öffentlichen Auskotzen. Die Punk-Invasion kam für viele in Zeiten von Atomkraft, RAF, Umweltverschmutzung und sonstigen Krisen zur rechten Zeit.
Mein Leben hat Punk Rock auf immer verändert, und das im äußerst positiven Sinne. Viele, viel zu viele, hat es aber auch schnell in den Abgrund gezogen.
Ich selber habe von Anfang an mein Ding durchgezogen. Aufgepasst nicht nur zu saufen, und meine Finger weitestgehend von Drogen zu lassen. Und das in einer Zeit in der alle, die wie die Wahnsinnigen konsumiert haben, wie die Fliegen verreckt sind!
Altes Klassenfoto: oben links Wilfried (später Punk) Voller und ich mit 12 Jahren, ca. 1976-1977
Ich war schon immer Working Class, und habe mit den bunthaarigen Pennern, die an den Bahnhöfen rumlungern, nix am Hut.
Mit diesem Buch möchte ich meine Art Punk Rock-Lebenslauf dokumentieren. Von Stunde X, mehr fokussiert auf die 80er, bis einschließlich heute – mit allen Höhen und Tiefen. Unter anderem soll auch die Bremer Punk-Entwicklung, mit all den gewalttätigen Auseinandersetzungen gegen die rechte Szene, gegen Cops und Prolls, so gut es geht, wiedergespiegelt werden.
Bremen war, speziell in den 80ern, ein äußerst unangenehmes Pflaster für Naziglatzen und manchmal leider auch für Punks aus anderen Städten. Zum Teil war es für Bremer Bands nicht möglich, auswärts aufzutreten oder Pennplätze in anderen Städten zu finden.
Durch die Gründung der ASL (Anti Skinhead Liga) machten die Bremer Punks in der ganzen Republik von sich Reden. Dafür wurden sie in anderen Städten manchmal gemieden, denn zu Beginn der Punk Ära waren noch viele Punks und Skins gemeinsam unterwegs. Anfang der 80er kam es dann aber zum großen Bruch.
Ich möchte vorab noch klarstellen das ich eigentlich kein Schlägertyp bin, und so was auch nicht unbedingt haben muss. Aber es war für mich immer klar, dass ich mich für meine Sache gerade machen würde, ob es nun Spaß macht oder nicht!
Als Punk in Bremen war man automatisch ASL! Es gab keinen Gründer oder Boss. Es ging vorrangig darum, den rechten Glatzen Paroli zu bieten und ihnen keinen Fußbreit zu überlassen. Bremen war quasi das englische Huddersfield, ne runtergekommene Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Nicht so schlimm wie der Londoner Stadtteil Millwall, noch kein Getto, aber immer mit ‘nem Hang zur Grausamkeit. So war das nun mal. Hier herrschte Krieg! Wir kommen nun mal alle von der Straße, und nicht vom Friseursalon. Und das ist auch gut so.
Aus heutiger Sicht bin ich sehr froh, dass einige meiner damaligen Kontrahenten inzwischen sehr gute Freunde von mir sind, und dass alle heil und wohlauf gemeinsam im Stande sind das Leben zu genießen.
Mir ist schon klar, dass ich mit diesem Buch nicht Allen gerecht werden kann. Aber ehrlich gesagt geht mir das auch am Arsch vorbei. Kritik wird es immer geben, egal was man macht. Und wenn ich der ganzen Welt Freibier spendiere...
Ein kleiner weiterer Ansporn dieses Buch zu schreiben war, dass es zwar viele Bücher über Bands, Musiker, etc. gibt, aber kaum etwas von Zuschauern, Begleitern oder Zeitzeugen. Sogenannte No Names haben höchstens mal ‘nen Punk-Roman geschrieben – das war‘s...
Und zusätzlich haben meine beiden Freunde T. Winter und Chaos, die damals auf der anderen Seite standen, den Blickwinkel aus ihrer Sicht hervorragend offenbart. Somit hatte ich einen weiteren Grund, die Situation aus der Sicht des Punk Rockers, im „brutalen, verachteten“ Bremen zu beschreiben.
Ich war leider immer zu blöd, irgendein Instrument zu spielen oder gar ins Mikrofon zu grölen, obwohl das unglaublich viele von mir gedacht haben. Wollen wir also hoffen, dass wenigstens mein Geschreibsel etwas interessanter klingt.
Gewidmet mir selbst, meine Tochter Cheyenne, meine Frau Sarah, meine Schwester Pedy Pengpeng und all meine unzähligen tollen Freunde. Für die, die mein Leben begleiten, und die, die leider nicht mehr unter uns weilen.
Die Liste ist endlos!
1976-1989
Bremen-Nord war schon ein eigener Stadtteil für sich. In den 70ern waren die meisten in meiner Schulklasse Kiss- oder Sweet-Fans.
The Sweet war wirklich meine Band. Ab und zu spielten sie in Ilja Richters Disco, samstagabends im zweiten Deutschen Fernsehen. Es kam vor, dass der Sänger Brian Conolly (RIP), das Mikrophon zerbrach und in die Ecke schmiss. Oder, dass Mick Tucker, der Drummer, sein Schlagzeug nach dem Song demolierte. Das war dann am nächsten Tag im Pausenhof das Thema Nummer eins.
Hits wie „Blockbuster“ oder „Hellraiser“ sind heute immer