Human Punk For Real. Marco Thiede

Human Punk For Real - Marco Thiede


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es leider auch um meine Lieblingsband sehr komisch. Auf einmal spielten The Sweet nur noch fuckin‘ Love Songs. Der Höhepunkt der Grausamkeit war dann „Fever of Love“. WTF!

      Und dann tauchte da plötzlich, wie aus heiterem Himmel, eine neue musikalisch richtig aufregende Sache aus England auf. Da gab es Artikel in der Bravo über dieses abschreckende Ding aus England: Punk Rock!

      Das schlug ein wie eine Bombe. Millionen Menschen waren angewidert über das, was sich auf einmal in der britischen Musikszene auftat. Zum Glück gab’s aber unzählige Verrückte und Aufgeweckte, die auf so etwas jahrelang gewartet hatten.

      Sofort waren mein Klassenkamerad Voller und ich infiziert. Uns hielten damals viele für verrückt, aber es dauerte nicht lange, da sah man den einen oder anderen der auch mitmachte.

      So langsam ging‘s ans Eingemachte und man machte sich auf den langen Weg ins Viertel (Bremen-City). Das dauerte damals, dank der schlechten Busverbindungen, bis zu zwei Stunden. Auf Flohmärkten konnte man hier schon einige Punk-Records erhaschen. Nicht lange, und es gab ‘nen Plattenladen namens Govi, der sich sehr auf Punk Rock konzentrierte. Unglaublich, dass da dann auch noch nette, hübsche Punkmädels hinterm Tresen arbeiteten.

      Was für Paradiesvögel!

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      Julia und Sabine posen im Govi-Schaufenster. [Foto: W. Wiggers]

      Ich werde nie vergessen, wie ich dann zuhause mit meinem Bruder „Good bye Toulouse“ von den Stranglers hörte. Was für ein Bass. Ich hatte so ein Instrument eigentlich noch nie so richtig wahrgenommen. Hammer! Mein Bruder mochte das auch, hasste Punk aber dann aus irgendwelchen Gründen.

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      Kutter ca. 1979

      Irgendwann traf ich dann so ‘nen Typen, den ich immer Sweet-Fan nannte, weil er The Sweet auf seiner Jacke stehen hatte. Als ich ihm dann zurief: Ey, Sweet-Fan, entgegnete er mir: Ich bin kein Sweet-Fan mehr! Ich bin jetzt Stranglers-Fan und höre jetzt Punk Rock! Das war Wanne aus HB-Nord. Ein ewig Gestriger. So wie ich.

      Im Viertel gab’s dann auch schon Punk- oder Waver-Läden wie das Camarillo. Man war jedes Mal froh, wenn man einen Punk zu Gesicht bekam. Was für ein Abenteuer damals!

      Es war nicht wirklich einfach für uns Bremen-Norder. Ich bin 1964 geboren und war damals zwölf als alles losging. Geld hatten wir eh kaum und der Weg nach Bremen war sehr lang und teilweise noch länger, wenn man Bier getrunken hatte und aus ‘m Bus raus zum Pinkeln musste. Zum anderen hatten wir noch lange Haare, und man hatte das Gefühl, dass einen die Stadtpunks eher verachteten, da sie schon kurze Haare oder Spikes hatten. Dann kam noch hinzu, dass man als Jungspund abends immer zeitig zuhause sein musste, was immer weniger klappte.

      Nahe dem berüchtigten Sielwalleck im Bremer Ostertor-Viertel gab’s dann die erste offizielle Punkkneipe namens Chateau. Am Wochenende war dort tierisch was los und wir knüpften unsere ersten Kontakte zu Punks aus Oslebshausen - was zwischen Bremen-Nord und der City lag. Aber auch die Oslebs misstrauten uns noch anfangs, der Haare wegen und wegen unserer übergroßen, selbstgemachten „Tellerplaketten“.

      Nur einer war von Anfang an äußerst cool zu uns. Hank aus Ritterhude. Ich erinnere mich, dass ich ihn mal auf ‘m Buttocks-Konzert getroffen habe, wo er sich die Haare mit grünem, fluoreszierenden Autolack gespiked hatte! Leider ging das nicht lange gut und er musste sich ‘ne Glatze schneiden.

      Durch Hank erfuhr ich dann auch über ein anstehendes Punk-Konzert im Ohlenhof in Gröpelingen.

      Am 22. September war es endlich soweit. Mein allererstes Punk-Konzert mit zwei Bands aus Braunschweig: Bombed Bodies, (die später Daily Terror wurden) und Riot Squad (die sich später in Sluts umbenannten). Was für eine Show! Und so viele Punks von überall! Ich war wie im siebten Himmel.

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      Bombed Bodies

      Mein Vater holte mich während der Show direkt vom Konzert ab. Ich war so begeistert, dass ich mir erst ‘mal Bier in die Haare schüttete und ihn in den Konzertraum zwängte! „Das musst du sehen“, stammelte ich. Doch leider konnte er meine Begeisterung überhaupt nicht mit mir teilen und war extrem geschockt.

      Der Grundstein für more trouble in the future war gelegt…

      Mich konnte nix mehr bremsen. Die Punkbewegung auch nicht.

      Immer mehr Plattenläden wie Ear, Schallplatte, JPC vertickten Punkscheiben. Fanzines wurden gemacht und es gab immer mehr Konzerte.

      Der Schunt war das erste Fanzine. Es folgten die Endlösung, der Kotwurm etc. es dauerte nicht lange, da machte ich mein eigenes Fanzine: Trash – Auflage: zehn Stück. Danach Die Norddeutsche, mit ähnlich großer Auflage.

      Irgendwann fuhren meine Eltern in den Urlaub. Als sie zurückkamen, waren meine Haare ab. Meine Mutter war geschockt. Mein Vater fand‘s eher gut. Ich weiß noch wie gestern, dass meine Schulkameraden mich wie ‘nen Außerirdischen angeschaut haben. Eigentlich war ich vorher genau das Gegenteil, und es war immer ein Drama, wenn meine Mutter mir die Haare schneiden wollte.

      Punk Rock fand nun auch immer mehr in den Medien statt. Die Bravo widmete der neuen „Welle“ monatlich eine Seite. Thomas Gottschalk, der deutschen Omas Lieblingsschwiegersohn, moderierte die Fernseh-Musikshow: Szene 77, Szene 78, ... wo man The Damned, Stranglers, Devo, XTC und andere Bands bewundern konnte. Leider nie die Sex Pistols, dafür aber Iggy Pop.

      Das Coole bei Iggys Auftritt war, dass er sich gereckt und gerekelt hat, dass aber sein Mund geschlossen blieb. Da das ja meist eh Playback war, dachte er wohl - warum nicht. Ich denke, das war mal ‘ne äußerst peinliche Situation fürs Deutsche TV!

      In Bremen gründeten sich so einige Bands: A5, Niveau Null, Substral (Bremens einzige Frauenband seither!) Blutsturz, Shaddocks, Volksabstimmung, Nylon Euter, AOK, Speichelkrieg, Snobs, Headbangers, Organbank, Modern Primitiv und, und, und...

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      Substral [Foto: W. Wiggers]

      In der Buchtstraße sowie in der Kulturfabrik Hemelingen und natürlich im Schlachthof gab’s die ersten auswärtigen Bands zu bewundern: The Buttocks aus Hamburg, ZK (später die berühmten Toten Hosen) immer wieder gern gesehen mit Out of Order, ‘ner englischen Band, die bei Bielefeld lebte, Wutstock (später Blut und Eisen), Aristocats (später Boskops), Blitzkrieg und Kondensators (beide aus Hannover), Daily Terror u.s.w.

      Es gab da auch so ‘nen mysteriösen Typen, den ich nur auf zwei Punkshows in der Marienwerder Straße (Gröpelingen) gesehen hatte. Er war komplett wie Spiderman gekleidet und hielt sich immer im Hintergrund. Ab und an hatte er dann seinen kurzen Pogoabdreher und sämtliches Mobiliar neben ihm wurde in akribischer Weise zu Kleinholz geraspelt. Echt beeindruckend. Keiner weiß, wer er war, oder woher er kam.

      Vielleicht war er ja der echte Spiderman…

      In den Medien ging‘s dann immer mehr ab. Die Cops standen überhaupt nicht auf Punks und es gab ständig Reibereien und Festnahmen. In Hamburg machten die Teds den Punks schwer zu schaffen, und es wurde ständig in Zeitungen über diesen Bandenkrieg gehetzt.

      Wir hatten auch Teds in Bremen. Einige davon kannten wir sogar persönlich. Wir fanden es zu dusselig auf einmal irgendwelche Teds zu attackieren, nur weil die Presse es forderte. Es gab nur einen von den Teds in Vegesack, der eher das Hamburger Modell bevorzugte. Als ich ihn mir dann eines Tages vorknüpfen wollte, floh er hastig in einen Schuhladen.


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