Still. Zoran Drvenkar

Still - Zoran Drvenkar


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Finger sind erschreckend dünn, die Nägel flach und lang. Er sagt, das kommt vom Rudern. Wenn er vom Tisch aufsteht und zur Toilette geht, drehen sich die Frauen nach ihm um. Er erinnert an einen dieser Engel aus alten Gemälden, der gegen das Böse ankämpft und nie unterliegt. Seine Wangen sind immer leicht gerötet, als würde er sich für seine Gedanken schämen. Vor vier Jahren hat er das Studium abgebrochen, nachdem ihm sein Vater ein gutgehendes Antiquariat im Herzen von Charlottenburg vererbt hat. Hagen ist seit dem Frühjahr ein fester Teil der Gruppe und mit Ende zwanzig der Jüngste von ihnen.

      – Hagen von Rhys, sagt er und reicht mir die Hand, sein Lächeln ist warm, der Griff schwielig und sicher.

      – Mika, sage ich.

      – Mika wer? fragt der andere Mann.

      Er heißt Achim und er ist das Gegenteil von Hagen – niemand dreht sich nach ihm um, niemand würde ihn für einen Engel halten. Achim hat die Statur eines Rammbocks und bleckt gerne die Zähne. Es ist seine ganz eigene Form der Einschüchterung. Ich zucke ein wenig zurück, er ist zufrieden mit meiner Reaktion. Achim verkauft Solarund Satellitenanlagen, seine Frau ist Steuerberaterin und Mutter von zwei Jungen. Sie war dabei, als Achim vor acht Jahren ein Hund angefallen hat. Die Narbe ist von vorne nicht zu sehen, sie beginnt am rechten Ohr, geht um den Kopf herum, wo sie am Nacken endet. Früher trug Achim sein Haar halblang, jetzt rasiert er sich den Schädel, damit jeder sehen kann, daß mit ihm nicht zu spaßen ist. Er sagt: »Ich habe den Köter überlebt, ich überlebe alles.« Seine Frau war auch mit dabei, als Achim den Hund danach erwürgt hat. Niemand erstattete Anzeige. Der Köter war ein Streuner und hatte es verdient zu sterben. Es scheint, als wäre das Wesen des Hundes auf Achim übergegangen. Sein Gesicht ähnelt einer müden Bulldogge. Die Schatten unter seinen Augen liegen tief und schimmern lila. Ich weiß, daß er ein Schlafproblem hat.

      – Mika Stellar, sage ich und reiche ihm die Hand.

      – Achim, sagt er, und ich frage nicht, wie er weiter heißt. Ich habe mir Regeln zurechtgelegt. Regeln der Bescheidenheit. Sein voller Name ist Achim Brockhaus. Mein Name ist nicht Mika Stellar.

      – Setz dich doch, sagt Achim.

      Die Kellnerin kommt, Hagen fragt, was meine Sünde sei. Ich werde rot, schaue auf die Tischplatte und sage Wodka Lemon. Hagen bestellt drei Wodka Lemon. Ich schaue wieder auf, sie sehen mich fragend an. Ich weiß, was sie wissen wollen.

      – Ihr werdet es nie erraten, sage ich.

      Sie warten.

      – Lehrer, sage ich.

      Hagen stößt einen Pfiff aus. Achim schlägt mir auf die Schulter.

      – Scheiße, ein Lehrer! ruft er. Es ist ein guter Anfang.

      Nichts weiter geschieht an diesem Abend. Wir trinken, wir lernen uns kennen und tauschen Geschichten, Abenteuer, Vorlieben aus. Ich erfahre kaum etwas Neues. Die Oberfläche ist dünn, aber sie bricht nicht. Die Chemie zwischen uns stimmt. Mit Hagen gibt es überhaupt keine Probleme. Achim wird erst mit der Zeit privat und läßt die Deckung nur zögerlich sinken. Sie spüren meine Einsamkeit, auch sie haben mich über die letzten zwei Monate hinweg beobachtet, wie ich da am Tresen saß und für mich war. Ich bin gut vorbereitet.

      Die folgenden Abende verlaufen ähnlich. Wir reden, trinken, reden. Am fünften Abend kommt der dritte Mann gegen Mitternacht dazu. Er ist gebaut wie ein Grizzly und mit einem Jahr Unterschied zu Achim der Älteste in der Gruppe – silbergraues Haar, das immer zu einem Zopf geflochten ist, und eine Brustbehaarung, die aus dem Hemdkragen emporwächst. Plötzlich steht er in seiner Lederkluft am Tisch, sieht auf mich herab und stellt fest:

      – Das ist also der Neue.

      Ich komme ungeschickt auf die Beine und stoße gegen den Tisch, Bier schwappt aus den Gläsern, ich schwanke und es sieht aus, als ob ich nach zwei Wodka Lemon schon angeschlagen wäre. Die Männer lachen, ich strecke die Hand aus.

      – Der ist Lehrer, sagt Achim, Die sind alle ein wenig wacklig.

      – Mika, sage ich.

      Seine Hand schließt sich fest um meine. Ein richtiger Kumpelgriff. Dann dreht er meine Hand, so daß sich unsere Handballen treffen, zwei Hände werden zu einer Faust. Es fehlt nur noch, daß er mich umarmt.

      – Edmont, sagt er und zieht mich zu sich ran, so daß ich fast über den Tisch falle, Und weißt du was?

      – Was?

      – Ich hasse Lehrer.

      Ich mache große Augen, Edmont ahmt mich nach und läßt die Sekunden verstreichen, dann löst er den Moment auf und lacht mir ins Gesicht, so daß ich sein Abendessen riechen kann – Hähnchen, Pommes, Mayonnaise. Achim und Hagen lachen mit ihm. Ich tue, als wäre der Witz eben erst bei mir angekommen. Und lache. Und lache.

      Ich kehre gegen ein Uhr morgens nach Hause zurück. Plötzlich geht es so schnell. Hagen. Achim. Edmont. Ich habe das Gefühl ich könnte die ganze Nacht laufen, so rastlos bin ich. Der Wetterbericht hat einen Kälteeinbruch für das Wochenende angekündigt, die Luft ist frostig, und ich schmecke den Winter bei jedem Atemzug. Eisig und bitter wie eine Frucht, die nicht gegessen werden sollte. Ich fürchte mich vor dem Schnee. Er wird meine Erlösung sein, aber dennoch fürchte ich mich vor ihm.

      Als ich das Haus betrete, gebe ich mir Mühe, leise zu sein, und laufe nur in Socken durch die Zimmer. Ich kann jetzt nicht schlafen, also starte ich den Computer, aber das Internet ermüdet bloß die Augen, der Verstand bleibt ruhelos und will gehört werden. Ich wünschte, ich wäre wieder im Pub. Ich wünschte, ich könnte sie sofort wiedersehen.

      Hagen. Achim. Edmont.

      Wir sind fast komplett.

      Ich setze mich vor den Fernseher. Als es draußen hell wird, ziehe ich mich an und mache mich bereit für die Arbeit. Ich bin Lehrer und muß Geld verdienen, denn ich habe ein Leben.

      3

      Der Mittwochabend beginnt mit einem Kurzschluß. Draußen tobt ein Sturm, die Scheiben sind vereist. Plötzlich ist es finstere Nacht im Pub. Die Gespräche verstummen, irgendwo klirren Gläser aneinander, dann ist nur noch der Verkehr auf der Rheinstraße deutlich zu hören. Ein Bus rumpelt vorbei und gibt ein Schnaufen von sich. Jemand ruft, ob denn die Welt untergegangen sei oder was. Sie lachen und verlangen nach Freibier. Feuerzeuge werden in die Luft gehalten, einer stimmt Freiheit von Westernhagen an, und alle singen mit. Mittendrin geht das Licht wieder an. Der Gesang verstummt, keiner sagt was, die Gäste runzeln die Stirn und sehen sich um, dann brechen sie in lauten Jubel aus, als hätten sie einen Bombenangriff überlebt. Die Jukebox erwacht wieder zum Leben und nach einer Minute ist es so, als wäre nichts geschehen.

      Vor mir steht eine Schale mit Erdnüssen und ein Wodka Lemon. Das Glas schwitzt auf die Tischplatte. Es ist Mitte Februar und die Heizungen laufen auf Hochtouren. Hagen sitzt mir gegenüber und weigert sich, seine Wollmütze abzunehmen. Seine Locken schauen unter den Rändern hervor, und er erinnert mich an einen Fischer, der eben sein Schiff verlassen hat. Achim und Edmont sind mir so nahe, daß sich unsere Schultern berühren. Achim sitzt links von mir, er hat bisher kein Wort gesagt. Sein kahler Kopf glänzt, als hätte er ihn eben erst rasiert. Rechts von mir rieche ich Edmonts Kleidung. Sein Hemd ist aus Hirschleder, und ich muß es anfassen, weil er meint, sowas Weiches hätte ich bestimmt noch nie berührt.

      – Wie Babyhaut, erklärt er mir.

      Edmont ist einer von diesen Kumpels, die einen immer anstoßen. Derb, laut und nah. Er klackt mit seinem Glas gegen Achims Glas.

      – Ohne dich wäre ich nicht hier.

      – Laß mal stecken, sagt Achim und grinst plötzlich.

      Achim und Edmont sind Mitte der 80er Jahre direkt nach dem Abitur von Bonn nach Berlin gezogen, um dem Wehrdienst zu entgehen. Sie sind seit ihrer Kindheit beste Freunde und sagen, sie haben die Flucht gemeinsam geplant. Bonn hat sie seitdem nicht wiedergesehen. Achim schloß sein Studium als Elektroingenieur ab, zwei Jahre


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