Ökonomie die dem Leben dient. Franz Segbers

Ökonomie die dem Leben dient - Franz Segbers


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in die Richtung ihres idealen Ziels zu drängen.

      Das Thema „Menschenrechte und Wirtschaft“ wurde lange vernachlässigt, ist aber inzwischen hochaktuell. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt auch Medienberichte über die Produktionsbedingungen in asiatischen Textilfabriken, die einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen geführt haben, wer den Preis für den Wohlstand wirklich zu zahlen hat. Welche Rechte haben arbeitende Menschen und wie können sie diese einklagen? Wie gehen deutsche Konzerne mit Zulieferbetrieben um, in denen es offensichtlich Menschenrechtsverletzungen gibt?

      Wer von den Menschenrechten her die Welt der Arbeit in den Blick nimmt, der will, dass die wirtschaftliche Praxis sowie die Wirtschaftsordnung insgesamt wieder stärker in moralische Überzeugungen eingebettet sind. Er muss sich fragen: Warum haben weltweit arbeitende Menschen am Ort der Arbeit unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden? Welche politischen und ökonomischen Strukturen und Institutionen tragen dazu bei? Kann man von strukturellen Menschenrechtsverletzungen sprechen? Erstaunlich ist, dass vor diesem Hintergrund das Thema „Menschenrechte“ in den Wirtschaftswissenschaften eigentlich nicht vorkommt.

      Der verwehrte Zugang unzähliger Menschen z. B. zu angemessenen Löhnen oder zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen ist nicht nur ein moralisches Problem. Es handelt sich um eine Verletzung, einen ungenügenden Schutz oder eine unzureichende Umsetzung völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechte. Im Rahmen der hier vorgelegten menschenrechtsbasierten Argumentation rücken die Rechtsansprüche der einzelnen Menschen – als Rechteinhaber – und die rechtlichen Verpflichtungen von Staaten – als Pflichtenträger – in den Blickpunkt des Interesses.

      Menschenrechte haben ihre Stärke darin, dass sie vermögen, mit der Idee des Zusammenhangs von Freiheit, politischer Beteiligung und sozialen Rechten der sich entwickelnden Weltgesellschaft eine sozial und ökologisch gerechte Ausrichtung zu geben. Längst liegt in den Menschenrechten ein ethischer Maßstab für menschengerechtes Wirtschaften vor: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die zahlreichen Übereinkommen und Empfehlungen der ILO seit 1919, der Sozialpakt aus dem Jahr 1966, die Europäische Sozialcharta von 1961 – ein soziales Gegenstück zur Europäischen Menschenrechtskonvention – sowie weitere Übereinkommen über soziale und ökologische Sicherheit und demokratische Beteiligung. Bei all dem geht es nicht um vage Werte oder Gesinnungen, sondern um klar definierte Rechte und Rechtsansprüche, die jedem Bewohner, jeder Bewohnerin dieser Erde verbindlich zustehen. Die Trias der Menschenrechte – die Freiheitsrechte, die Beteiligungsrechte und die sozialen Rechte – sind eine Antwort auf die konkrete Lage, in der sich viele befinden, und auf deren sozioökonomische Verhältnisse. Anders nämlich als Werte, Gesinnungen oder Appelle an die soziale Verantwortung haben Menschenrechte einen überschießenden emanzipatorischen Gehalt, denn sie sind mit einem Rechtsanspruch verbunden, stärken die Rechtsträger und verdanken sich demokratisch zustande gekommenen Übereinkünften. Es liegt an der Politik, ihr Versprechen eines Rechts für die ansonsten Rechtlosen einzulösen und es auch gegenüber mächtigem Widerstand ökonomischer Interessen durchzusetzen.

       Im Jahr 2012 konnte ich auf den Philippinen Interviews mit Beschäftigten der Firma Daeduck führen, einem Zulieferbetrieb der deutschen Firma Continental in der Nähe von Manila. Sie berichteten mir von der Entlassung von zehn Kollegen wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung. Sie sprachen davon, wie sie eingeschüchtert und bedroht würden, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen. Alle waren nur befristet beschäftigt, die Löhne entsprächen zwar dem Mindestlohn, aber leben könne man davon nicht. Die Arbeiter beklagten, dass sie bei der Produktion von Leiterplatten ohne nötigen Schutz mit gesundheitsgefährdenden Stoffen umgehen müssten. Und Urlaub hätten sie auch keinen – und das bei einer Sechs-Tage-Woche. Als sie auf ihrem Recht auf eine reguläre Anstellung nach einjähriger Beschäftigung bestanden, wurden sie entlassen.

      Solche Missstände mögen für manchen Leser und manche Leserin weder aufregend noch dramatisch neu sein. Doch unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte handelt es sich um gravierende Verletzungen sozialer Menschenrechte, die nicht tolerierbar sind. Ein Unternehmen, das im Ausland direkt oder über Tochterunternehmen bzw. Zulieferfirmen tätig ist, muss sich der Frage nach der Verantwortung für Menschenrechte stellen. Was diese Menschenrechtsverletzungen für die Betroffenen bedeuten, hat John Hervie de Sosa, einer der entlassenen Arbeiter, auf der Hauptversammlung der Firma Continental im Mai 2013 eindrücklich geschildert:

      „Im Moment weiß ich nicht, wovon ich leben soll. So wie mir ergeht es auch vielen der anderen Arbeiter, die mit mir zusammen entlassen wurden. In gewisser Weise habe ich noch Glück: Ich bin noch nicht verheiratet. Ich habe keine Kinder. Doch viele meiner Kolleginnen und Kollegen, denen es nicht anders ergeht als mir, haben Familien, die sie ernähren müssen. Gestern habe ich selbst an einem Gespräch mit Vertretern von Continental teilgenommen. Das ist der Grund, warum ich mich heute auf dieser Versammlung direkt an Sie wende, an den Vorstand, den Aufsichtsrat und an die Aktionäre. Ich bitte Sie, uns zu helfen. Erklären Sie gegenüber ihrem Zulieferbetrieb Daeduck klar und unmissverständlich, dass die Arbeits- und Menschenrechte eingehalten werden müssen.“

      Tatsache ist: Die deutsche Firma Continental bekennt sich in ihren Unternehmensleitsätzen zur Achtung der Menschenrechte, zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen sowie zu der Grundsatzerklärung der ILO und verpflichtete seit 2011 alle Lieferanten und Dienstleister auf einen Verhaltenskodex. In den „Basics“ genannten Unternehmensleitlinien der Firma Continental heißt es:

      „Wir respektieren die Gesetze und die Kultur in jedem Land, in dem wir tätig sind. Wir halten uns an einen Kodex von ethischen und rechtlichen Richtlinien und fühlen uns stets zu Ehrlichkeit und Integrität verpflichtet.“

      Gern hätte man gewusst, welcher „Kodex von ethischen und rechtlichen Richtlinien“ genau gemeint ist. Hat man sie sich selber gegeben? Warum sind die ILO-Normen und die kodifizierten sozialen Menschenrechte nicht der Bezugspunkt? Über die Zulieferer wird gesagt:

      „Unsere Stakeholder sind unsere Kunden und Anteilseigner, unsere Mitarbeiter, die Gesellschaft, in der wir leben und arbeiten, sowie unsere Partner und Zulieferer.“

      Man gewinnt den Eindruck, dass diese „Basics“ doch wohl kein besonders handlungsorientierendes Konzept sind. Wie käme es sonst zu den Verstößen gegen verbriefte Menschenrechte? Das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung gehört zu den grundlegenden sozialen Menschenrechten und wurde 1948 im ILO-Übereinkommen Nr. 87 ausdrücklich bekräftigt. Das Recht auf einen angemessenen Lohn ist in Artikel 7 des Sozialpaktes von 1966 verankert, und in ILO-Übereinkommen wird auch seine Höhe konkretisiert. Der Sozialpakt hat in Artikel 7 ein Recht auf gesunde Arbeitsbedingungen und ein Recht auf regelmäßigen bezahlten Urlaub formuliert. – Es mangelt also keineswegs an Rechten, sondern wohl daran, die Menschenrechte zu respektieren.

      Diese Schilderung über die Verhältnisse eines Zulieferbetriebes für Continental zeigt die Rückseite der Globalisierung. Zwar gelten die Menschenrechte und besonders die sozialen Rechte als großartige Errungenschaft. Doch die Schilderung der Arbeiter aus den Philippinen wirft die Frage auf, ob die Menschenrechte bloß ein zahnloser Tiger sind. Was nutzen die verbrieften Rechte den philippinischen Arbeitern? Die ganze, tief gespaltene Welt ist in ein und demselben Weltsystem integriert. Die eine Welt hat eine erste, zweite und eine dritte Welt. Über die Gewinne der weltweit tätigen Unternehmen wird irgendwo in Manila, Bangladesh oder in Südafrika entschieden. Hosen, T-Shirts, Computer oder Maschinenbauteile – all diese Produkte des alltäglichen Lebens werden irgendwo auf der Welt hergestellt. Was allen Menschen von den Staaten der Weltgemeinschaft angesichts dieser Lage versprochen wurde, sind die Menschenrechte. Warum aber haben es die Menschenrechte in Zeiten der Globalisierung so schwer?

      Im Hinblick auf die Menschenrechte bieten momentan die UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte immerhin eine Gelegenheit, Veränderungsimpulse anzustoßen. Sie nehmen die Staaten in die Pflicht, die Menschen vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen zu schützen, und fordern die Unternehmen auf, die Menschenrechte


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