Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition). Ed Sanders

Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition) - Ed Sanders


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hatte man sich darauf geeinigt, das Händeklatschen durch Fingerschnippen zu ersetzen. Die Dame am Listentisch beugte sich tief über ihren Stenoblock und notierte die Namen der Dichter der Reihe nach in einer Liste, die zumindest offiziell demokratisch war: Der Erste, der sich eintrug, war auch zuerst mit Lesen dran. Aber der Mann, der vor Cuthbert stand, forderte mit herrischer Stimme: »Setzen Sie mich bitte an den Anfang vom ersten Set« — er trug ein pelzbesetztes Cape und hielt einen silberbeschlagenen Spazierstock in der Hand, — »... ich habe nämlich vor, ein kurzes Versstück mit dem Titel Theseus und die Zeitmaschine zu rezitieren und brauche einen besonders günstigen Zeitpunkt für den Vortrag, denn schließlich ...«, hier senkte er den Kopf und knallte die Hacken seiner mit Spucke gewienerten Reitstiefel zusammen, »ist es das Werk eines Genies!«

      Cuthbert war für den zweiten Auftritt des dritten Sets vorgesehen; also würden seine Ohren erst mal eine ganze Weile von den Versblizzards seiner Vorgänger strapaziert werden, was er auch keineswegs bereute, ganz im Gegenteil, er liebte es gradezu, anderen Dichtern zu lauschen. Andererseits wollte er mit seinem Platz auch nicht gelinkt werden und schielte während der ganzen Lesung ständig mit einem Auge rüber zum Listentisch, immer auf der Hut vor faulen Tricks. Tatsächlich kriegte er auch ein oder zwei Mal mit, wie einer auf den Tisch zuschlenderte, sich runterbeugte, womöglich charmant lächelte und der Dame was ins Ohr flüsterte – und siehe da! Sie strich doch wirklich mal hier einen Namen aus und setzte dort einen ändern ein! Cuthbert scherte sich nicht drum, was mit den anderen war, solange es im Set Drei, Platz Zwei bei »Cuthbert Mayerson« blieb.

      Das Fingerschnipsen war irgendwie auch nicht ganz das Richtige, um den immensen Applausbedarf einiger Dichter zu decken. Nur ganz wenige schafften es, das Publikum so zu begeistern, dass es sich zu einer kurzen Brise von Schnipsern hinreißen ließ, wenn sie mit Lesen fertig waren — aber das klang dann auch höchstens wie das Knistern von dürrem Gestrüpp. Und nach einem Dichter, auf den die Zuschauer nicht so abfuhren oder den sie nicht verstanden (beispielsweise wenn er keinen Humor hatte), waren bestenfalls vier oder fünf armselige Schnipser fällig und dann kam ein langes Schweigen, das sich nur zögernd aufzulösen schien. Peinlich war es, wenn das Fingerschnipsen schon vorbei war, ehe der Dichter sich auf den Weg zurück an seinen Tisch gemacht hatte, und davor fürchtete sich Cuthbert ganz besonders. Böse Vorahnungen schossen ihm durch den Kopf: »Wenn mein Vorgänger bloß fünf Schnipser kriegt, mit wie viel kann ich dann wohl rechnen — drei?«

      Cuthbert bemerkte im Publikum mehrere Dichter, die wie wild schrieben, solange einer auf der Bühne rezitierte, und nur dann eine Pause einlegten, wenn die anspornende Stimme dort oben aufhörte, grad so, als ob dieser Wortschwall ihren eigenen geschwätzigen Griffel erst so richtig in Fahrt brachte. Andere wappneten sich mit einer Jubelgarde von guten Freunden, die sich fürsorglich an ihren Tischen versammelten; und wenn einer auf die Bühne losmarschierte, um seine Verse aufzusagen, drehte die gesamte Tischrunde ihre Stühle so, dass sie ihn genau vor sich hatte, grinste anerkennend, lachte zustimmend und schnipste am Ende rhythmisch und besonders ausdauernd mit den Fingern.

      Set 1, Platz A: der Schreihals. Er brachte das Ganze so richtig in Schwung. Carl Rothstein, frisch aus der Klapse entlassen, mit langem Pferdegesicht und Nickelbrille, das Haar glatt nach hinten gestriegelt, was ihm den richtigen Aldous-Huxley-Look verschaffte, deutete auf seine Elektroschocknarben und begann mit tiefer Stimme (die übrigens bei der offensichtlichen Jugend des Poeten etwas fehl am Platz schien): »Der gefräßige Verdauungsapparat von der Psychiatrischen Klinik in Shreveport hat mich erst vor Kurzem wieder ausgefurzt.« Dann riss er sich das Hemd vom Leib, dass die Knöpfe nur so zur Erde sprangen, und zeigte sein T-Shirt herum, auf das er mit krakeligen Buchstaben ICH WAR BUDDHA gemalt hatte. Schließlich fing er an:

       Meine Mutter schenkte mir

       einen Schlitten und sagte:

       »Dort ist der Hügel.«

       »Was für ein Hügel?«, erwiderte ich.

       »Meinst du den Berg da drüben

       mit den Abhängen und Schluchten?«

       »Mach, dass du den Hügel runterkommst,

       mein Sohn«, sprach sie und

       verpasste mir einen raschen

       fast möchte ich sagen rauen Schubs

       mit ihrem Stiefel.

      Und darauf folgte ein durchdringender Schrei, der offenbar illustrieren sollte, wie er mit dem Schlitten in die Tiefe stürzte, und der inklusive Atemholen mindestens fünf Minuten lang dauerte. Mann, konnte der schreien.

      Als ihm endlich die Puste ausging und er wieder auf seinen Tisch zusteuerte, war das Publikum wie gelähmt; lumpige vier Fingerschnipser gaben dem allgemeinen Missfallen Ausdruck.

      Unter den Zuhörern war auch ein Jazz-Fingerschnipper mit Baskenmütze, Oberlin-Sweatshirt, Sonnenbrille und einem schwarzen Seidenschal, den er im Nacken zusammengeknotet hatte. Etwa in der Mitte des Schreis hatte er angefangen, mit geschlossenen Augen verrückte abstrakte Rhythmen zu schnipsen, dazu wackelte er mit dem Kopf und wiegte den Oberkörper hin und her, seine Handgelenke zitterten, wie die eines Marakaspielers, und er flüsterte vor sich hin: »Hör dir das an!« und »Uuuuunglaublich!« — »Stark!« — »Leben!« — »Dhammapada, Mann.«

      Nach dem Geschrei zog Jazz-Fingerschnipper eine Flasche Wein raus. An seinem Tisch saßen noch ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern, offensichtlich eine Touristenfamilie. Er nahm einen Zug und gab die Flasche weiter an den Jüngsten der Familie. Der zögerte, schielte nach seinem Vater, zuckte die Achseln, nahm einen Schluck, bot sie seinem Vater und seiner Mutter an, die beide kein Wort rausbrachten, und gab sie dann zurück an Fingerschnippper. Die Mutter des Kleinen sah aus wie ein akuter Fall von Tollwut, das Weiße in ihren Augen flackerte auf und der Mund sackte ihr runter, als sie ihrem Sprössling mit der Faust drohte und zischte: »Wart nur, dafür sprechen wir uns noch!«

      Set 1, Platz B: So wie er angezogen war, dunkler Anzug mit makellos geknüpfter, blauweiß getupfter Fliege, sah dieser Spezi aus, als könne er kein Wässerchen trüben; aber dann legte er los, in den zitternden Händen zerknautschte weiße Blätter, die er nervös umklammerte. »Das hier hat den Titel Nocturne Nummer 467« — lange Pause, dann ein tiefer pfeifender Atemzug:

       Einsam in den Klöstern uns’ rer Sinne

       steigen wir aus unsern Hosen

       und wackeln mit den Ärschen ...

      Ein frivoles Kichern unterbrach die Stille. Die Frau aus Des Moines packte ihren Mann, Sohn und ihre Tochter und zerrte sie mit sich: »Nichts wie raus hier, das ist ja Schweinerei!«

       ... während gelbe Erdferkel aus Jersey City

       eindringen in die weiße

       Unterwäsche des Schicksals

      Noch ein Kichern. Und der Dichter fuhr fort. Der Vater schmiss seinen metallbeschlagenen Eisdielenhocker um. Der Anblick der flüchtenden Familie regte den Dichter so auf, dass er anfing zu stottern. Aber er riss sich zusammen und steckte sich erst mal eine Zigarette an, mitten im Gedicht. Nach dem metallischen Klick-Klack seines Zippo-Feuerzeugs folgte noch die flammende Rezitation von zwei religiösen Sonetten, und dann setzte er sich wieder hin.

      Set 1, Platz C: Dieser Leser hatte das Publikum sofort auf seiner Seite, denn er war der erste offensichtlich echte Beatpoet. Die Armut stand ihm ins Gesicht geschrieben, ebenso sein Zen-Fanatismus und die verheerenden Auswirkungen von jahrelangen Tramp-Touren. Er bestand darauf, beim Lesen auf einen Stuhl zu steigen und knallte dabei mit dem Kopf gegen die niedrige Decke, blieb aber trotzdem da oben. Allerdings musste er den Kopf zur Seite biegen, um überhaupt unter die Decke zu passen. Seine Sandalen waren selbstgemacht; sie bestanden aus Stricken und Sohlen, die er sich aus einer alten Ledertasche zurechtgepfriemelt hatte. Er war echt komisch, zumindest war jeder


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