Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition). Ed Sanders

Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition) - Ed Sanders


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einen Süßigkeitenladen in der Bronx hatte, intonierte sein Image Trouve Manifesto. Es war auf gewissen poetischen Grundregeln aufgebaut, die er sich angeeignet hatte, während er jeden Mittag kurz vor der Klauinvasion der vorbeikommenden Schulkinder seine Bonbongläser neu auffüllte. Dann war da der Lehrer, dessen Gedicht so anfing: »Karpatische Reiter fechten im rotierenden Dreieck.« Cuthbert hielt das für das Witzigste, was er den ganzen Abend gehört hatte, und fing furchtbar an zu kichern, was die Gefolgsmänner am Tisch des Lehrers mit abfälligen Blicken quittierten. Und dann der Dichter, der ein Werk von mindestens dreihundert Zeilen mit dem Titel Die Philosophie des Thales von Milet vortrug, obwohl Cuthbert genau wusste (und dementsprechend losprustete), dass Thales in seinem Werk nicht eine einzige Zeile hinterlassen hat, aus der man ein derart widerliches und weitschweifiges Gedicht hätte machen können. Dann kam die Reihe an ein paar unterhaltsame Sexfreaks; darunter war einer; der eine Serie von Haikus las, die von seinen Erlebnissen mit Mayonnaise und dem 1959er-Telefonbuch von Bayonne, New Jersey berichteten. Aber all das konnte Cuthbert Mayersons Angst auch nicht verscheuchen und in diesem Augenblick wäre er bereit gewesen, seine Familienvilla zu verwetten, dass man ihn glatt von der Bühne pfeifen würde.

      In der zweiten Pause ging Cuthbert noch mal rüber und checkte die Liste. Hatte sich etwa zufällig einer vorgedrängelt? Finster starrte er die Dame mit der Liste an, die ihm weismachen wollte, nein, nein, keineswegs, nichts auf der Welt könnte die festgelegte Reihenfolge von Set 3 durcheinanderbringen. Aber grade als sie dabei war; ihre Unschuld zu beteuern, kam ein blasser Poet mit W.B. Yeats / Bill Haley-Frisur vorbeistolziert, warf einen Blick auf die Liste und fing an zu zetern: »He, Sie haben meinen Namen nach unten gesetzt!«

      Diesmal saß die Dame in der Patsche. »Oh! Tatsächlich? Ich hab Sie gesucht und konnte Sie nirgends finden — ich dachte, Sie wären vielleicht schon weg. Tut mir echt leid.«

      »Was für ’ne erbärmliche Ausrede!«, knurrte der Mann vor sich hin, als er an seinen Tisch zurückstelzte.

      In Erwartung des nächsten Sets wurde das Publikum allmählich wieder leise, und als Cuthbert sich umschaute, fuhr ihm der Schreck in die Glieder. Beim ersten Set war das Gaslight noch total überfüllt gewesen, aber innerhalb der vergangenen Stunden hatte sich der Raum etwa zur Hälfte geleert. Und jede Minute drängten mehr in Richtung Ausgang. Und als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, verließ soeben der erste Rezitator seinen Tisch mit einem ganzen Schwung Papier und schob sich mit mindestens tausend Blättern auf dem Arm rüber zur Bühne.

      »Ich komm wohl nie mehr dran!«, rief Cuthbert entsetzt aus.

      Der Mann fing an. »Das Material, das ich heute Abend vortragen möchte, ist ein Abschnitt aus meinem Lebenswerk — die Reise des Sonnengottes nach Brooklyn. Es ist ziemlich lang, deshalb beschränke ich mich auf den Höhepunkt, also die letzten sechshundert Zeilen. Sie enthalten zahlreiche in gälischer Sprache abgefasste Sentenzen, die die achtundsiebzig Gebote des Sonnengottes an das Volk von Brooklyn repräsentieren. Diese achtundsiebzig Gebote werde ich dann am Ende des Vortrags übersetzen.«

      Schon diese Einleitung bewirkte, dass etwa zehn weitere Gäste auf den Ausgang zustürzten. Ein Schauder lief durch die übrigen Dichter, ihre Mägen krampften sich zusammen, ängstlich und nervös hockten sie da, mit klammen Fingern, die sich um ihre schwarzen Ringbücher spannten.

      Der Mann las wie ein Wanderprediger, mit erhobener Faust und donnernder Stimme. Aber nicht mal dieses flammende Schauspiel konnte die Flut von flüchtenden Füßen aufhalten. Cuthbert war gefangen, hilflos, wollte eigentlich nur noch weg und blieb doch an seinen Stuhl gefesselt, bebend in Erwartung seines Auftritts.

      Endlich war es soweit: Set 3, Platz B. Cuthbert Mayerson las langsam, die kreisförmigen rosa Flecken auf seinen Wangen waren feuerrot. Seine Oberlippe stülpte sich heute ganz besonders weit nach vorn, als er mit sonorer Stimme seine kurzen, gemäßigten und symbolträchtigen Gedichte der Pädopygophilie zum Besten gab. Das Publikum war beeindruckt und spendete ihm den einzigen richtigen Applaus des ganzen Abends — eine spontane Verletzung der Regeln. Der Manager wetzte zum Eingang und vergewisserte sich, dass auch keine Bullen in der Nähe waren.

      Endlich war alles vorbei. Eine Frau machte sich an Cuthbert ran. »Also wirklich, Ihr Gedicht hat mir sehr gefallen!«

      »Tatsächlich? Welches meinen Sie denn?« Cuthbert strahlte übers ganze Gesicht.

      Die Frau zögerte, ein Backenmuskel zuckte in ihrem Gesicht. »Ahem, das eine da, äh, das über Amerika.«

      »Sie meinen das, was ich am Schluss gelesen habe — ›Der barfüßige Nachtfalter‹?«

      »Ja, ich glaube, das war’ s. Das, was den vielen Beifall gekriegt hat.«

      Cuthbert schlenderte glücklich die McDougal Street rauf zu seinem Hotel, wo er die Gedichte deponierte und beschloss, sich für seine Heldenhaftigkeit zu belohnen. Also marschierte er weiter bis zum Sheridan Square und schnappte sich dort die IRT-uptown, die ihn zu einem erfrischenden Bummel in die zweiundvierzigste Straße kutschierte.

       TOTAL ASSAULT CANTINA

      Da sitze ich nun, im Tal des Jammers, in den Gassen der Verzweiflung und schreibe. Der Keller, in dem ich hause, ist feucht. Im flackernden Kerzenschein sehe ich, wie braun schimmernde Kakerlaken über die Holzbalken kriechen. Mein Bett ist eine Matratze aus Lumpen, die ich in abgewetzte alte Hemden gestopft und zugenäht habe; acht Stück insgesamt, sie erinnern mich immer an Vogelscheuchen. Normalerweise besteht meine Nahrung aus Abfallresten. Aber manchmal gehe ich auch rüber ins Armenhaus und staube da was ab. Wenn ich mich hier beim Schreiben so umschaue, kann ich nichts entdecken, was auch nur einen Schimmer von Hoffnung ausstrahlt. Nur Dreck, nur Gangster, die sich auf Algenfarmen verkriechen und damit die Erde umkreisen, traurige Überbleibsel vergangener Zeiten. Meine Zeitungen beziehe ich gewöhnlich aus der nächsten Mülltonne. Meistens sind sie mit einer schleimigen Schicht oder Eigelbflecken überzogen, und wenn sie trocken sind, strecke ich mich auf dem Fußboden aus, um sie zu lesen. Und alles kotzt mich an. Alles ist so sinnlos. Keine Sprossen mehr auf der weißen Leiter der Reinheit — nur die zwei Pfosten links und rechts sind übrig geblieben, die Sprossen zerschlagen und in alle Winde zerstreut. Und diese Pfosten liegen schwer auf den Schultern der Trauernden, wenn sie die schlaffen Reste enttäuschter Hoffnungen zurückschleppen ins Elend.

      Mein Vermieter ist ein verlauster alter Gangster. Gnadenlos erhöht er in regelmäßigen Abständen die Miete für meinen Keller. Ich wünsch ihm nur, dass es ihn eines Tages mitten in der Rush Hour erwischt! Ach was, soll er leben. Was kümmert’s mich. Ist doch eh alles egal. Die Milchstraße bringt’s auch nicht. Und solange die KZ-Scheinwerfer nicht gerade in die Fenster meines feuchten Kellers strahlen, ist mir sowieso alles schnuppe. Grex ist das lateinische Wort für Pöbel. Grex Hex Sex Speck Fleck.

      Ich habe mir schon mal ausgemalt, wie es wäre, langsam auseinanderzufallen und mich nur noch kriechend fortzubewegen. Mir vielleicht Rollschuhe unter Arme und Beine zu schnallen und mich mit kleinen Holzpaddeln vom Pflaster abzustoßen. Aber sie würden mich garantiert einkassieren. Jedenfalls wäre das drin. Und ich kann mich noch gut erinnern, was Judith Malina mir schon vor vielen Jahren geraten hat: Machs’ nie allein, sondern such dir immer einen, mit dem du dich zusammentun kannst.

      Ich will euch eine Beschreibung meines Kellers geben. Ich habe ihn mir genau eingeprägt und das fotografisch getreue Abbild in der Vorstellung meiner Erinnerung ist so weit von der Realität entfernt, dass ich plötzlich mit Anflügen von Zärtlichkeit darüber erzählen kann. Er ist schmutzig, feucht und strotzt vor Kakerlaken. Die zwei Fensterritzen oben an der Wand zur Straße hin sind sehr schmal und sehen von außen genauso aus wie die kleinen Kanaldeckel aus Metall, die man auf den Bürgersteigen von New York findet. Schwere Füße stampfen über meine Metalltüren. Manchmal stelle ich mich auf einen Stuhl und kann sogar die Beine der Passanten beobachten. Wenn ich es wärmer haben will, brauche ich bloß die Tür vom Heizungskeller aufzumachen und schon erstickt ein heißer Luftstrom alle Kälte. Über den Fußboden gibt es eigentlich nichts zu berichten, außer dass man beim Betonieren offenbar vergessen hat, den Brei richtig platt zu walzen. Er steckt voller Blasen und Höcker, stinkt nach fünfzig Jahren Kohlestaub und hat überall


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