Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition). Ed Sanders

Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition) - Ed Sanders


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Schlange und brannten drauf, reinzukommen. Natürlich rückten die Bullen an, und der Manager vom Gaslight machte bekannt, dass es verboten sei, Ausgangstüren und Mittelgänge zu blockieren und dass die Bullen schon mit der Feuerwehr gedroht hätten. Die Zuschauer wurden gezwungen, sich längs der Wandseiten hinzuhocken oder auf die Treppenstufen, die zu den Toiletten raufführten, weil alle Tische restlos überbesetzt waren. Er schmuggelte alle Fünf- und Zehn-Dollarscheine aus der Kasse sicher in seine Hosentasche, wo er schon ein dickes Geldbündel untergebracht hatte, und dachte nur noch: »Mensch, was für Kohle!«, während er gleichzeitig seine Kellnerin durch die Gegend hetzte und mit Sprüchen wie »Verkaufen! Verkaufen!«, »Lehn dich übern Tisch« oder »Knöpf dir die Bluse auf, betatsch die Kunden, mach, was du willst, aber verkauf!« anspornte.

      »Dieses Gedicht heißt: Zehntausend Statuen von Walt Whitman auf Rollschuhen trampen durch Amerika.« Schon die Überschrift erntete das wildeste Gelächter des ganzen Abends. Seine Art zu lesen war ein klagender, monotoner Singsang, jedes Mal am Ende der Zeile sackte die Stimme ab wie bei einem vorbeirauschenden Laster.

       Amerika! Wir kommen nicht ran an die Walnuss!

       Amerika! Roboter mit Schuhen aus lebendiger Schlangenhaut klettern

       von den TV-Tellern und machen sich über deine Zähne her!

       Amerika! Du willst eine Kloake aus mir machen!

       Ein neuer Spartakus wird aus dem mutierenden Abfallhaufen

       in der Mum Deodorant Factory auferstehen, und dann

       bist du erledigt, Amerika

      (Erstes Lachen)

       Amerika! Deine Hausierer von der Madison Avenue mit ihren eisgekühlten Achselhöhlen ...

      (Gelächter übertönte den Rest der Zeile so, dass Cuthbert ihn nicht verstehen konnte.)

       Amerika! Deine Hulareifen formieren sich zu einer Mandorla über der Final Sausage Factory!

       Amerika! Porky Pig und Donald Duck haben den Bauch voller kaputter Glühbirnen, Amerika

       Amerika! Die Atombombe will uns eine Gutenachtgeschichte erzählen

      (Lautes Gelächter)

       Fuck Fuck Fuck,

       Amerika

      (Schallendes Gelächter)

      Bei jedem Lacher machte der Dichter gewissenhaft eine Pause. Manchmal ließ er sich auch anstecken und lachte mit. Ehe er weitermachte, wartete er jedes Mal, bis nicht nur alles Lachen verebbt, sondern auch das Grinsen von den Gesichtern verschwunden war. Er war ein voller Erfolg, und das anschließende Fingerschnippen klang wie ein prasselndes Freudenfeuer.

      Set 1, Platz D: Der scheue Murmler. Der Mann las im Flüsterton und die Zuschauer wurden allmählich mäuschenstill: Es erinnerte fast an eine Art Gruppenspiel, wie sie sich da alle über ihre Tische lehnten und die Ohren auf maximalen Empfang einstellten. Trotzdem war es unmöglich, irgendwas zu verstehen; der Dichter hockte da oben auf seinem Stuhl und hatte sich fast ganz vom Publikum weggedreht. »Lauter«, schrie ein Rohling von hinten; der Erfolg war, dass die Stimme kurzfristig anstieg und dann langsam wieder absackte. Die Gedichte waren die reinsten Papyrusfragmente.

       ........ Liebe ........

       Schraubenschlüssel ...

       ......... leb wohl ...

       ................ Salbe!

      Nicht schlecht für die, die beim Zuhören ihre eigenen Gedichte verfassten, die Zeilen des Flüsternden wirkten wie fantastische Inspirationen, und seine Worte, nur halb verstanden, verwandelten sich in ihren Köpfen auf wundersame Weise. Hieß es: »Unter dem späten Vollmond?« oder: »Nigger, der in der Lagune wohnt?« oder gar: »Mit geschnorrten Tortillas belohnt?«

      Set 1, Platz E: Die böse Hexe. Diese Dichterin las mit schneidender, manchmal gradezu schriller Stimme, die sich schon gegen Ende ihres ersten Gedichts um circa eine halbe Oktave nach oben verschoben hatte. Außerdem war ihr vor lauter Zittern die Brille von der Nase gerutscht. »Dieses Gedicht ist meinem Gatten Roger gewidmet, der mittlerweile zu Asche und Staub zerfallen ist: ›Leidender Barde in der einsamen Höhle‹«. Es fing an mit der Beschreibung von einem siedenden Kessel, in dem Tapiraugen schwammen, und der Klage, dass selbst »die Zauberin« aus der Höhle des Sängers verbannt worden sei. Im nächsten Vierzeiler behauptete sie, dass sich unter dem Washington Square Park Katakomben befänden, wo die »verbündeten Sänger« vom Washington Square North sich regelmäßig versammelten. Um seinen »ruhelosen Geist« zu erlösen, hatte sie (— hoffentlich war das nur symbolisch gemeint —) die Zähne ihres Roger in der Höhle des Sängers begraben, deren Zugang ein verstecktes Tor am Fuß des Washington Arch ist, das von einem silbernen Pavian und sechs Eulen bewacht wird.

      Dieses Gedicht heizte den Jazz-Fingerschnipper so ein, dass er vor lauter Begeisterung anfing, mit einem Kaffeelöffel auf die Tischplatte zu hämmern. Die Dichterin erwähnte auch »die Fülle der göttlichen Kraft« des Gnostizismus, der zufolge »Besenstiele zu Zahnstochern« werden und »Schnapp! Schnapp! murmelnde bleiche Gespenster« aus den Zähnen sprießen sollten. Bei diesen Zeilen schauderte Cuthbert zusammen und wickelte sich seinen Schal fester um den Hals. Er rief sich den alten Ekel und Widerwillen vor Augen, den er jedes Mal empfand, wenn er sich vorstellte, dass es tatsächlich Vampire geben könne; ein Umstand, der ihn schon so manchen Morgen mit steifem Hals hatte aufwachen lassen, weil er sich während der Nacht vorsichtshalber ein Handtuch um den Kopf gewickelt hatte. Cuthbert fiel ein Stein vom Herzen, als die beiden folgenden Gedichte bloß Übersetzungen aus Ovid waren. »Dem Himmel sei Dank für Ovid!«, murmelte er vor sich hin.

      Set 1, Platz F: ein Dichterling, der sich aufs Experimentieren spezialisiert hatte und fröhlich erzählte, dass er für diese Augustlesung extra aus Toronto eingeflogen war. Sein erstes Gedicht hieß Neunundsechzig Tropfen. Beim Auftritt schwenkte er einen einzelnen Tennissocken, mit Erbsensuppe gefüllt, an dem er einen Cocktailstrohhalm befestigt hatte, sodass die Suppe langsam aus dem Socken durch den Strohhalm in eine Teetasse tröpfeln konnte. Immer wenn ein Tropfen runterklatschte, rief der Dichter: »Tropfen eins!«, »Tropfen zwei!« usw., bis er bei 69 angekommen war.

      Das nächste und letzte Gedicht nannte er Zwei mal Zwei Unendlichkeit. Langsam kam er in die Gänge: »Zwei ... vier ... acht ... sechzehn ... zweiunddreißig ...« — wobei die Pausen zwischen den einzelnen Ziffern variierten. Er schaffte es bis 2.097.152, ehe der Manager ihn von der Bühne schleifte. Das war das Ende des ersten Sets.

      Die anschließende Pause brachte einen reißenden Absatz von Tee, lauwarmem Kaffee, der mit fragwürdiger Sahne gekrönt war, und Apfelwein mit Stangenzimt. Und Cuthbert Mayerson kriegte es immer mehr mit der Angst.

      Der zweite Set zog sich in die Länge. Jeder schien unheimlich geil drauf zu sein, seine eigene Version von der Babylonischen Schöpfungsgeschichte in elegische Zweizeiler zu übertragen. Cuthbert wurde immer nervöser und schenkte den Sprachexplosionen um sich herum nur noch wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen konzentrierte er sich auf die ungeheuer wichtige endgültige Auswahl und Anordnung seines Materials.

      Cuthbert starrte angestrengt auf seine Gedichte. Plötzlich stolperte er über mindestens vier Zeilen, die unbedingt sofort geändert werden mussten. »Langsam, langsam ...«, ermahnte er sich; er durfte natürlich nicht etwa riskieren, auf der Bühne sein eigenes Zeug nicht entziffern zu können. Als Nächstes veränderte er die Reihenfolge der Gedichte, denn um jeden Preis wollte er die perfekte Show abziehen.

      Aber die Angst schnürte ihm die Kehle zu. »Jahrelang hab ich nicht mehr gelesen, jahrelang! Bin ich etwa am Schwitzen? Sind meine Augen rot? Wieso hört der Kerl da oben nicht endlich auf?

      Vielleicht sollte ich doch lieber was von Shelley rezitieren, das kann ich wenigstens auswendig. Außerdem


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