Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition). Ed Sanders
Schreibmaschine, ließen aber die Offset-Presse stehen, wahrscheinlich, weil sie ihnen zu schwer war. Als sie mitten in der Nacht anrückten, wunderten sie sich wohl, über eine schnarchende Matratzenwiese zu stolpern — jedenfalls ließen sie elf Mann gefesselt, geknebelt und bis zum Hals in ihren Schlafsäcken verschnürt zurück. Zu allem Überfluss stellte die Post uns auch noch das Telefon ab, nachdem ein sogenannter Freund vier Stunden lang mit London telefoniert hatte, ohne einem von uns was davon zu erzählen. Der Ruin stand wie eine drohende Wolke am Horizont. Schließlich stellten John und Paul eine Liste mit den wichtigsten Schulden zusammen:
Gas / Strom | 60 $ |
Papier | 80 $ |
Holz | 160 $ |
Zwei Monatsmieten | 200 $ |
Lebensmittel | 200 $ |
»Wie zum Teufel sollen wir bloß siebenhundert Kröten zusammenkratzen?«
»Ich hoffe ja nur, es kommt nicht soweit, dass wir uns auf dem Times Square als blinde Bettler verkleiden müssen!«, ulkte Sam.
In unserer Verzweiflung hielten wir eine Wasserpfeifennotstandssitzung ab. Zuerst verfielen wir auf die traditionelle Tour, nämlich bei Brentano die Kunstbuchabteilung auszuräumen. Die Frage war nur: Wie sollten wir Publikationen von Skira und der New York Graphic Society im Wert von siebenhundert Dollar da rausschaffen, ohne dass die was davon mitkriegten? Als Nächstes entwarfen wir allen Ernstes einen Plan für einen gewaltlosen Banküberfall. Stundenlang zerbrachen wir uns die Köpfe damit, uns einen Zettel für den Bankschalter auszudenken, der erstens den Kassierer beruhigen, zweitens ihn tatsächlich dazu bringen sollte, das Geld rauszurücken und drittens nicht unsere unmittelbare Verhaftung zur Folge haben würde. Am Schluss stellte sich heraus, dass ein gewaltloser Banküberfall offenbar ein völlig unmögliches Unternehmen ist.
Eine Sache, die wir sofort in Angriff nahmen, war die Benefizveranstaltung, eine von diesen Marathondichterlesungen, die von abends acht bis morgens um vier dauern. Insgesamt erschienen siebenunddreißig Poeten und warteten aufgeregt auf ihren Auftritt. Das brachte uns lumpige fünfundsiebzig Dollar, obwohl es vom Publikumsandrang her gesehen ein voller Erfolg war. Außerdem hatte jemand seine Flöte unter dem Tisch vergessen, und es stellte sich heraus, dass sie bis zum Mundstück voll Amphetamin steckte. Das wurde natürlich Hals über Kopf verscherbelt, und der Reinerlös des Abends stieg auf einhundertundzehn Dollar. Die andern dachten sogar kurz daran, unsere Druckerpresse zu verkaufen, aber was sollten wir mit einer revolutionären Kneipe, wenn wir da nicht mal drucken konnten?
Am nächsten Morgen rief John bei seiner Tante an. Seine Verwandtschaft verkaufte nämlich Obst und Gemüse auf dem Hunts Point Market, wo das Total Assault mittlerweile mit einer beträchtlichen Summe in der Kreide stand. John wollte seiner Tante noch mal für ein paar Wochen Lebensmittel abluchsen und im Lauf des Gespräches erzählte sie ihm: »Übrigens ist Larry aus Hongkong zurück. Er hat schon versucht, dich zu erreichen. Soweit ich weiß, will er irgendwas mit dir besprechen.«
Larry aus Hongkong zurück bedeutete, dass Dope in Aussicht war, denn Vetter Larry brachte regelmäßig eine Ladung Haschisch und Gras mit, wenn sein Schiff in New York einlief.
Tante Mildred gab ihm die Telefonnummer und ließ sich schließlich sogar breitschlagen, ihnen auch weiterhin Gemüse auf Kredit zu liefern. John rief Larry sofort an: »Irgendwelche Hamburger angekommen?« — »Da kannst du Gift drauf nehmen«, meinte Larry, »hör zu, seit drei Tagen versuche ich, dich zu erreichen. Ich sitze in der Scheiße, können wir uns irgendwo treffen?«
Larry nahm eine U-Bahn in die Lower East Side und verhandelte mit dem Management. Er bot ihnen einen Deal an, der das Total Assault noch mal vor der Pleite retten würde. Wenn John und Paul eine Woche lang zehn Zentnersäcke mit gepresstem Gras lagern könnten, würden Larry und seine Kollegen tausend Dollar dafür springen lassen. »Yippie!«, schrie Paul, »Ra steht uns bei!«
»Unten in Memphis ist was schiefgelaufen«, erzählte ihnen Larry, »und vor nächster Woche können die nicht hier sein, um die Ware abzuholen. Und ich selbst hab noch jede Menge andere, äh — Geschäfte zu erledigen und kann nicht die ganze Zeit hier in New York rumhocken und warten. Und wo soll ich das Zeugs inzwischen lassen, etwa in Daddys Kartoffelsäcken auf dem Markt?«
Der simpelste Deal von der Welt. John und Paul brauchten nichts weiter zu tun als das Dope sicher und trocken zu lagern, bis ein ganz bestimmtes Individuum in einem roten Lastwagen vorfahren und sich mit dem Code-Namen »Agnus Dei« vorstellen würde. »Ähem«, begann Paul zögernd und fragte dann, wie’s denn mit einem kleinen Vorschuss auf die tausend Dollar wäre — und tatsächlich rückte Vetter Larry zweihundert Piepen raus!
Am späten Abend luden sie zitternd vor Paranoia die schweren Säcke aus Larrys Wagen und schleppten sie in den Keller unter der Kneipe. Ein paar Stunden später fing Paul an zu fluchen und schwor, er könnte die Hasch-Schwaden riechen, die durch die Ritzen in den brüchigen Dielenbrettern hochstiegen. Vielleicht war es wirklich nur Paranoia, aber John und Paul bildeten sich ein, dass der Geruch einfach überwältigend war. Früh am nächsten Morgen besorgten sie sich einen Lastwagen und fuhren raus nach New Jersey, wo sie ein paar Ballen Heu erstanden, die sie als »Sofas« in der Kneipe platzierten — in der Hoffnung, dass der Geruch des Heus als Alibi für das Gras reichen würde. Um ganz sicherzugehen, trieben sie zusätzlich noch ein paar Zentnersäcke Mehl, Feldbohnen und Erdnüsse auf, die sie in den Keller hinunterwälzten und strategisch vor den Dope-Säcken verteilten.
Genau eine Woche später erschien ein Bursche in der Kneipe und sagte: »Hi, ich bin Agnus Dei.« Es war helllichter Tag.
Paul fiel beinah in Ohnmacht und fragte: »Soll das heißen, dass wir mitten am Tag die Hamburger aufladen sollen, vor den Augen der ganzen Leute, die hier langlatschen?«
»Nein«, lachte Agnus Dei, »ich komm heut Nacht um eins zurück.«
Und so luden sie im Schutz der Dunkelheit eine halbe Tonne Gras in den Anhänger des roten Lasters. Es war der reinste Albtraum. Wieder und wieder sicherten sie die Straße ab. Jedes vorbeifahrende Auto kam vom FBI. Jeder Schritt auf der Straße kündigte die Bullen an. In einer Rekordzeit von zwei Minuten hatten sie den Job erledigt.
Der Bursche übergab ihnen die restlichen achthundert Dollar. »Seht ihr die Kiste da drin?«, fragte er augenzwinkernd. Sie schauten genauer hin und entdeckten in einem Verschlag eine Holzkiste mit dem Stempel MADE IN HONGKONG auf der einen Seite.
»Yeah, was ist damit?«
»Da sind fünfzig Maschinengewehre drin für die Typen von der Operation Thunder.«
Operation Thunder war ein rassistischer, halbmilitärischer, rechtsradikaler Flügel, der Anfang der sechziger Jahre draußen im Mittelwesten operierte und sich später auf politische Attentate spezialisierte.
»Die zahlen uns hundert Piepen pro Stück!«
John und Paul starrten sich an. Paul fragte: »Und wie willst du ihnen die Dinger übergeben?«
»Ich weiß von nix. Alles was ich dabei zu tun habe, ist diesen Laster an der Ecke Dreiundzwanzigster Straße und Siebter Avenue zu parken und über Nacht da stehen zu lassen. Die Thunderbolts, oder wie die Kerle sich nennen, übernehmen dann den Rest.«
Kaum war der Lastwagen außer Sichtweite, flüsterte Paul:
»Die Knarren reißen wir uns unter den Nagel!«
»Yeah, wir schmeißen sie in den Fluss!«
»Aber wie transportieren wir sie am besten? Wir können doch nicht mit fünfzig MGs unterm Arm in ein Taxi steigen!«
Da fiel ihnen auf einmal der alte Schiebekarren mit den Fahrradreifen ein, der damals im Keller herumgestanden hatte,