Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition). Ed Sanders

Tales of Beatnik Glory, Band I (Deutsche Edition) - Ed Sanders


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der Nacht von Sonntag auf Montag marschierten einhundert Collegestudenten von San Francisco nach San Rafael. Sie hielten Nachtwache für Chessman.

      Um fünf Uhr nachmittags holten sie Chessman aus seiner Todeszelle im sechsten Stock und führten ihn zum Aufzug. Seine Hände waren mit Handschellen an den Gürtel gefesselt. Sie sollten ihn in die sogenannte »Wartezelle« unten im Parterre bringen, wo er seine letzten siebzehn Stunden Sauerstoff atmen würde. »Bis morgen früh dann — «, rief er seinen Kumpels im Trakt zu, als sie ihn abführten — der traditionelle Abschiedsgruß der Todeskandidaten, wenn sie am letzten Abend nach unten verlegt werden.

      Ein paar Meter nur von der achteckigen Gaskammer entfernt lagen die zwei Wartezellen. Man versorgte Chessman mit einer neuen blauen Hose, einem blauen Hemd dazu und leichten Segeltuchschuhen. Als er zur Wartezelle hinüberging, konnte er die Gaskammer noch nicht sehen, so rücksichtsvoll war der Architekt wenigstens gewesen; sie lag rechter Hand am Ende eines schmalen Korridors.

      Die ganze Nacht und auch noch den frühen Morgen hindurch arbeitete Caryl Chessman an seinen Papieren und schrieb seine letzten Briefe. Als sie ihn dann kurz vor zehn abholten, legte er den Stift aus der Hand und bereitete sich aufs Sterben vor.

      Das Bundesgericht von Kalifornien hatte sich am frühen Morgen noch einmal versammelt, um über ein Gnadengesuch zu beraten, das am Samstagmorgen für eine nochmalige Urteilsüberprüfung eingegangen war, und kurz vor der offiziellen Urteilsvollstreckung, um neun Uhr zehn abermals mit drei zu vier Stimmen dagegen gestimmt.

      Um neun Uhr fünfundfünfzig forderten die Anwälte Gordon T. Davis und Rosalie Asher in den Amtsräumen des kalifornischen Bundesrichters Louis Goodwin einen kurzen Aufschub für die Hinrichtung. Zur gleichen Zeit erhielt in Washington Richter William O. Douglas die per Express zugestellten Unterlagen und gab bekannt, dass eine nochmalige Aussetzung der Urteilsvollstreckung nicht infrage komme.

      Richter Goodwin hatte jedoch in der Zwischenzeit zwei Kanzlisten zu seiner Sekretärin geschickt, mit dem Auftrag, den Direktor von San Quentin anzurufen und einen kurzen Aufschub anzuordnen. Es war zehn Uhr drei. Die Telefonnummer war mündlich weitergegeben und von der Sekretärin prompt verwechselt worden. In fieberhafter Eile brachte sie die richtige Nummer zusammen und wählte noch einmal, aber der stellvertretende Direktor von San Quentin konnte ihr nur noch mitteilen, dass die Zyankalikugeln soeben gefallen waren.

      Im Vorraum der Gaskammer drängelten sich mittlerweile die Zuschauer. Zwei Drittel der Anwesenden im Zeugenraum waren Fernseh-, Radio- und Zeitungsreporter. Die Exekutionskammer ragte etwa zur Hälfte in den Zuschauerraum hinein. Sie hatte längliche Fensterhöhlen, durch die man hineinlugen konnte. Über der Eingangstür zu dem grün ausgelegten Zeugenraum hing ein Schild mit der Aufschrift RAUCHEN STRENGSTENS VERBOTEN, und an der Außenwand der Gaskammer befand sich ein Geländer mit der Warnung: ÜBERSCHREITEN DES GELÄNDES WIRD STRAFRECHTLICH VERFOLGT.

      Alle Beteiligten bekamen Sonderzulagen. Der Vorschrift entsprechend erhielt der Direktor in seiner Eigenschaft als hauptverantwortlicher Leiter der Hinrichtung einhundertfünfundzwanzig Dollar. Sein amtierender Stellvertreter bekam fünfzig. Die Wachen, die dafür verantwortlich waren, dass das Opfer sich friedlich und ohne Scherereien auf seinen Sitz begab, jeweils fünfundsiebzig. Und der Kaplan ebenfalls fünfzig.

      Erst am Morgen der Hinrichtung schlossen die Gefängniswärter die Haupttür der Gaskammer auf. Sie hatte die Form eines Ovals. Für den Gefangenen musste es scheinen, als ginge er an Bord eines teuflischen Raumfahrtkommandos. Die beiden Wärter überprüften noch einmal, ob die Kabine auch wirklich luftdicht abgeschlossen war, denn keiner von ihnen, ganz zu schweigen vom Direktor, war scharf drauf, an etwa entweichendem Zyankali zu krepieren. Im Innern der Todeskammer befanden sich zwei metallene Stühle, die mit Stoffgurten versehen waren. Im Fall einer Massenexekution hatte der Staat den Vorteil, immer gleich zwei auf einmal abservieren zu können und damit rationeller zu arbeiten.

      Die »Zyankalieier« wurden sorgfältig abgezählt und in Mull gewickelt. Ein Beamter mit Gummihandschuhen hängte die giftigen Todeskugeln in automatische Halterungen, die auf der Unterseite des rechten Stuhls über einem Eimer mit Säure angebracht waren. Dann maßen sie die Säure ab und kippten sie in einen Trichter, von wo aus sie später in den Eimer geleitet werden würde. Wenn sie die Eier dann hineinfallen ließen, würde das Kaliumferrocyanid seinen eigentümlichen, pfirsichartigen Duft verströmen. Zur Sicherheit checkten sie auch nochmal die Telefonleitung, die zur Gaskammer führte, damit im Falle eines Aufschubs in letzter Minute auch garantiert nichts schiefgehen konnte.

      Pünktlich um neun Uhr fünfzig betraten der Direktor von San Quentin und der diensttuende Oberarzt Chessmans Wartezelle. Der Direktor verlas Chessmans vollen bürgerlichen Namen und eröffnete damit seine Todesstunde. Dann schüttelte er ihm die Hand und ging mit dem Doktor nach draußen. In seinen letzten Worten an den Direktor bestritt Chessman noch einmal, mit dem Red Light Bandit identisch zu sein.

      Früher hatte man den Gefangenen kurz vor ihrer Hinrichtung meistens ein paar Whiskeys verpasst; heute kriegen sie statt dessen Beruhigungspillen und — wie könnte es in Amerika anders sein — den unvermeidlichen Kaffee und eine Zigarette. Die Wärter waren immer noch damit beschäftigt, die Haupttür zur Gaskammer zu überprüfen. Sie machten sie ein paar Mal auf und zu, um wirklich hundertprozentig sicher zu sein, dass sie vollkommen dicht war. Inzwischen zogen zwei Wächter einen grünen Teppich aus der Zelle, die neben Chessmans lag, und entrollten ihn sorgsam über den drei Meter langen Korridor, der von seiner Zelle zu der ovalen Tür führte.

      Schließlich war es Zeit, die Kleider zu wechseln. Die Wärter gingen wieder hinüber und betraten die Zelle des Opfers, um ihn dabei zu beaufsichtigen. Der Doktor kam dazu. Das Opfer zog sich aus. Der Doc lokalisierte Chessmans Herzschlag und schnallte ihm einen Galvanometer auf die Brust. Als er sein weißes Hemd angezogen und zugeknöpft hatte, baumelte der schwarze Gummischlauch des Messgerätes vorne heraus.

      Dann stieg er in frische Bluejeans. Unterwäsche gab es keine, wegen dem Scheißkrampf am Schluss. Auch Schuhe waren verboten, aber dafür kriegte er ein Paar frische Socken.

      Und immer noch regte sich in ihm ein Fünkchen Hoffnung. Schließlich war sogar Dostojewski noch begnadigt worden, obwohl das Feuerkommando schon vor ihm Aufstellung genommen hatte. Chessman verabschiedete sich vom Gefängniskaplan und verließ dann seine Zelle; jetzt begleiteten ihn vier Wärter. Er bog nach rechts, ging über den grünen Teppich auf die Kammer zu, trat über die Schwelle am Eingang, ging zum rechten Stuhl und setzte sich hin.

      Sie zerrten ihm die Stoffgurte zu, einen über der Brust, einen über den Beinen und jeweils einer über den Armen. Die Elektroden des Messgerätes wurden jetzt mit anderen verbunden, die durch die Kabinenwand in einen Extraraum führten, wo der Doktor stand und die Herzschläge überwachte. Dort wurden sie an sein Stethoskop angeschlossen.

      Schließlich waren sie fertig mit den Gurten. Einer der Wärter tippte dem Opfer auf die Schulter und wünschte ihm viel Glück. Der Legende nach raten die Wärter dem Todeskandidaten meistens noch: »Mach am besten einen tiefen Atemzug, sobald du das Gas riechen kannst — das macht die Sache leichter.«

      Die Stahltür wurde verschlossen und fest zugeschraubt. Der Doktor stand ruhig da, mit seinem Kopfhörer auf, der an das Stethoskop angeschlossen war, den Formularen und einer Stoppuhr, die auf Sekundenbruchteile genau war. Chessman wandte den Kopf nach rechts und entdeckte zwei Reporter hinter den Beobachtungsfenstern. Sein Mund formte eine letzte Botschaft: »Sagt Rosalie auf Wiedersehen von mir. Alles in Ordnung.«

      Das Opfer saß dem Doktor und dem Gefängnisdirektor zugewandt, die im sogenannten Beobachtungsraum stationiert waren. Der Kontakt zu den sterbenden Augen und der Anblick eines keuchenden, sabbernden und geifernden Opfers ließ sich notfalls vermeiden, indem man einfach die Rollos herunterließ, die an den Fenstern zwischen Todeskammer und Beobachtungsraum angebracht waren.

      Exakt fünfzehn Sekunden nach zehn Uhr drei am Vormittag nickte der Direktor einem Sergeanten zu, der auf einen Knopf drückte und damit die Zyankalikugeln in die Säure fallen ließ: Plop plop. Das Opfer hörte einmal: Plop und dann noch mal: Plop. Etwa zehn Sekunden später holte Chessman tief Luft und klappte ohnmächtig zusammen, der Kopf pendelte hilflos hin und her und der Doktor


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