Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? - Wiglaf Droste


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      Wiglaf Droste

      Will denn in China

      gar kein Sack

      Reis mehr

      umfallen?

      FUEGO

      Über dieses Buch

      Wiglaf Droste war hellwach unterwegs, erlebte Eigenartiges und Unzumutbares, suchte und fand traumsicher auch das Schöne, wählte aus und schrieb es auf, wie nur Wiglaf Droste das aufschreiben kann.

      Vorwort

      Für die Liebste,

      die Musik mich lehrt

      Salat ist sinnlos, knackt aber

      WENN ES STIMMT, dass Sprache eine Waffe ist, dann wäre Sprachkritik eine Kritik der Waffen mit ihren eigenen Mitteln. Die sprachlichen Waffenarsenale einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen, lohnt immer – selbst dann, wenn es modern ist, das zu tun. Die Beschwerde darüber, dass Angehörige des Proletariats sich mitunter einer eingeschränkten, groben Sprache bedienen, ist allerdings nicht eben sensationell.

      Interessanter ist doch die Sprache derjenigen, die sie als berufliches Handwerkszeug benötigen und entsprechend pflegen und in Schuss halten sollten. Schließlich sprechen sie öffentlich, im Fernsehn, im Radio, oder sie schreiben öffentlich, in der Zeitung.

      Wie der Medienmensch spricht, so denkt er auch, und das gibt zu denken. »Stark eingebrochen ist die Kauflust«, sagte eine Nachrichtensprecherin in den ARD-Tagesthemen. Ich stutzte und staunte: Was die Kauflust alles kann – sogar einbrechen. Wie muss man sich das vorstellen? Brach die Kauflust beim Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen See ein? Oder, ganz anders, nächtens in eine Villa, wo sie dann das Silber klaute?

      So lange es Journalismus und Journalisten gibt, mediale Breittretungsorgane, so lange wird es Sprachkritik geben. Koalitionen werden »fit gemacht«, es wimmelt von »Top-Themen«, eine Reform hat »Eckpunkte«, in denen Kreis und Quadrat zu einer Einheit verschmolzen werden, die geometrisch interessant aussehen könnte. Manche sagen sogar: »Ich kenne jede Ecke des Erdballs« – und fühlen doch nichts.

      »Zeitnah« werden Entscheidungen getroffen, ganze »Zeitfenster« werden aufgerissen. Würfe man einen Pflasterstein in ein Zeitfenster hinein, und es klirrte nicht – wäre das Zeitfenster dann geöffnet? Oder ist es schlichtweg nicht existent? Sondern eine Erfindung aus dem Hause Wichtig? Zeitnahe Zeitfenster haben und ergeben keinen Sinn, aber das müssen sie auch nicht, denn sie sollen, im Gegenteil, »Sinn machen«.

      Sinn machen klingt wie Pípí machen – und genau so infantilisiert ist die Welt, die sich hinter dieser Blähsprache verbirgt. »Das macht Sinn« – wer so spricht, will sich aufpumpen und bedeutend machen, der will »einen Distinktionsgewinn erzielen«, wie das in Feuilletonsprech heißt.

      In dieser Welt wird simple Reklame zu einer Johannes-B-Kernerschen »wichtigen Produktinformation«, kurze Entfernungen sind »fußläufig«, wahrscheinlich wie die sprichwörtliche fuß­läufige Hündin. Äußerungen sind »grenz­wertig« und Sachverhalte »gewöhnungsbedürftig«, ob­wohl doch das handelnde Subjekt der Gewöh­nung bedarf, nicht das passive Objekt.

      Wer solchen Radebrech kultiviert, »verschriftet« auch seine Beiträge in »Meetings«, vergrößert seine »Relevanz«, schreibt ein »Impulspapier« und will sich »optimieren«, wenigstens »ein Stück weit«, jedenfalls so lange, bis er dann »Sinn macht«.

      Wie beispielsweise Tom Buhrow. In den Tages­themen dampfquakelt das ARD-Ankermänn­chen routiniert umnachtet drauflos: »Hier ist der Knackpunkt.« Ah ja, der Knackpunkt – allein, was wäre ein Knackpunkt? So etwas wie ein Eckpunkt, nur dass er eben auch noch knackt? Ist der Knackpunkt dem »Knackfaktor« verwandt, den die Lebensmittelbranchenwerbung für grüne Äpfel ersann? Oder dem Salat, der komplett gehaltlos sein darf, wenn er nur immer »knackig« ist?

      Knackiger Salat ist sinnlos – nährstoff- und geschmacksfrei, aber knackig. Denn knacken muss es, unbedingt; das Wichtigste am Essen ist offenbar nicht der Geschmack, sondern das Geräusch, der »Sound«, der vom »Sounddesigner« kommt – ein möglichst lautes Krachen und Knacken im Mund. Dazu trinkt man importiertes Mineralwasser – im Angeberplural »Mineralwässer« – oder ein »fassfrisches« Bier, selbstverständlich »Premium« beziehungsweise wie im besonders schweren Fall Warsteiner, sogar »Pre­mium Verum«, denn Premium heißen ist die vornehmste Pflicht aller Gülle, und »fassfrisch« muss sie auch sein, aber hallo. Wer soll sich davon angesprochen fühlen wenn nicht ein Köter: »Hasso fassfrisch!« Hasso trank ein Premium / Bumms, da fiel der Hasso um.

      Wenn man den fußläufigen, zeitnahen, eck- und knackpunktenden, fassfrischen Sinnmachern so genau zuhört, wie die sich das niemals wünschen dürften, möchte man hinterher ein altes Lied anstimmen: Die Gedanken sind Brei, wer kann sie erahnen…

      Alles wird Grillgut

      Eine Hitzewelle im sommerlichen Park – mit Rundtanz, Lichtkreis und Milva

      STILL LAG DAS LAND UNTER einer schweren Hitze im Sommer 2006. Die Menschen gaben Ruhe; zumindest brüllten sie nicht mehr. Sie hatten ihre Körper, ihre Behausungen und ihre Automobile entflaggt, entwimpelt und entfahnt, man konnte die Augen wieder öffnen, ohne auf der Stelle schwarz-rot-gold-blind zu werden.

      Der kollektive Wahn hatte Pause. So konnte man sich wieder dem Einzelirrsinn zuwenden, der im Gegensatz zur Massenhysterie die eingehende Betrachtung lohnt, weil er vergleichsweise leise irritiert und damit der Daseinsroutine subkutan in die Quere kommt. Nicht selten ist individuelle Verrücktheit sogar charmant.

      Alles fuhr an die Gewässer oder legte sich unter Bäume. Im Park hatte ein junger Mann ein Tasteninstrument aufgebaut und spielte Bach. Er war nur mit einer kurzen Turnhose bekleidet. Einen Hut hatte er nicht neben sich gelegt, er wollte kein Geld, keine Almosen, er spielte Bach, um Bach zu spielen und dabei nicht allein zu sein. Zehn Meter weiter lag ein Pärchen eng umschlungen auf einer Decke auf dem Rasen. Solange die Frau und der Mann sich küssten, hielten sie die Schrecken der Welt in Schach. Hört nicht auf damit, dachte ich. Hört niemals auf, euch zu küssen.

      Ich radelte auf meinem Gazelle-Fahrrad noch ein wenig um des Radelns und um des Fahrtwindes willen weiter, ließ mich dann im Schatten nieder, breitete Buch, Schreibzeug, Proviant und Rauchware auf meiner Decke aus und streck­te mich behaglich hin. Mit dem Strohhut fächelte ich mir Luft zu und hielt Umschau. Viele Menschen kamen des Weges, einzeln, zu zweit oder in Gruppen. Nicht wenige führten ambulante Grillgeräte mit sich, dazu Papiertüten mit Holzkohle und Rucksäcke oder Kühltaschen voller Getränke und Grillgut. Kann man Grillgut eigentlich essen? Oder ist das so etwas wie Stein- oder Salzkammergut? Wird es am Ende nur verbrutzelt, um die Luft mit Rauch zu schwängern und so ein archaisches Gefühl der geselligen Sicherheit am Feuer zu erzeugen? Wird alles Grillgut? Irgendwann kommen alle in den großen Marinadetopf, werden gegrillt und weggefressen, und dann ist Ruhe im Karton.

      In der Wärme nickte ich ein und döste weg. Als ich erwachte, wurde es Abend, die Dämmerung war angebrochen. Ich sah mich um. Nur wenige Meter von mir hatte sich eine Gruppe ins Gras gelagert, die vorher noch nicht da gewesen war. Ich zählte drei Frauen und drei Männer, alle waren etwa Mitte fünfzig. Sie hatten Teelichter in Gläser gestellt, angezündet und in zwei Kreisen um sich herum im Gras aufgebaut. In der Mitte des doppelten Lichtkreises befand sich ein dritter kleiner Kreis aus Kerzen; um diesen Kreis saßen sie und unterhielten sich halblaut – laut genug, dass ich jedes Wort verstehen konnte.

      »Der Rundtanz ist eine der ältesten Kulturformen überhaupt«, sagte eine der Frauen und erhob sich. Sie trug ein langes, wallendes Kleid. »Wir wollen jetzt zusammen um den kleinen Lichtkreis tanzen. Es ist schön, gemeinsam Schritte zu lernen.« War das wahr? Das wollte ich sehen. Ruhig blieb ich liegen. Alle waren aufgestanden, hatten sich um die Lichter herum hingestellt und hielten sich bei den Händen. Der Haltung ihrer Körper nach zu urteilen, schienen sie eher verlegen als begeistert zu sein. Die Sprecherin aber hatte genug Enthusiasmus für alle: »Wie schön, dass ihr mit mir tanzen wollt.« Sie bückte sich und fummelte an einem CD-Spieler herum.

      Musik erklang, eine Stimme sang auf Griechisch. Ich kannte das Lied. Es war von Mikis Theodorakis, auf Deutsch hatte es Milva gesungen, und in manchen Frauenkreisen hatte es Furore gemacht: »Iich mag diich, weil du klug und zä-hä-härtliich


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