Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? - Wiglaf Droste


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ich sah das Sextett um die Kerzen herumtaumeln, ungelenk und tapsig, fern jeder Rhythmik, eher in schüchtern versuchter Selbstvermeidung denn in Ekstase. Nur eine im Kreis schien zu allem entschlossen und riss die gutmütige Strummselgruppe mit sich. Die Frau hatte offenbar ganz prachtvoll einen an der Waffel.

      Die Gruppe sank ins Gras zurück. Erneut riss die Anführerin das Gespräch an sich: »In der ersten Hälfte des Lebens lernt man, in der zweiten genießt man.« Das klang nicht allzu originell, eher nach Kalenderblatt und Konsensmilch. Und stimmte es überhaupt? Oder ölt man in der zweiten Hälfte des Lebens genauso unfähig herum wie in der ersten, ohne allerdings den Charme der Jugend auf seiner Seite zu haben? Ist nicht sowieso alles ein erbärmliches Gewürge, Geknatter und Gehummse?

      Die Sprecherin erhob sich und nötigte ihre Begleiter, es ihr gleichzutun. »Ich habe noch einen schönen Rundtanz für uns«, drohte sie. »Das Lied heißt ›Die Ulme‹ und stammt aus Litauen.« Sie wandte sich dem CD-Spieler zu. Schleunigst rakte ich meine Sachen zusammen, warf sie in den Fahrradkorb und zischte auf meiner treuen Gazelle davon. Zwischen meinen Ohren aber fieselte Milva: »… ganz Frau und trotzdem freii zu seiin …« Wieso eigentlich »trotzdem«?

      Die neue Redefreiheit: Konjunktur brummt, Frau tickt

      FLÄCHENDECKEND VOLLPLAKATIERT ist das Land mit Reklame für billiges Telefonieren. »BASE – Freedom of Speech« verspricht uns »Die neue Redefreiheit«. Mir hätte die alte genügt: die Freiheit, öffentlich Gedanken äußern zu können, die den Namen Gedanken verdienen. Die Werbeparolen für »die neue Redefreiheit« heißen »Sprich dich aus!«, »Endlich lang drumrum reden« oder »Endlich alles ausplaudern«. Und das tun jede Menge substanzfern orientierte Menschen dann ja auch, bevorzugt an öffentlichen Plätzen, in Cafés oder im Zugabteil. So muss niemand mehr im Unklaren darüber bleiben, welche Männer in Deutschland ihre Frau als »Mausi« und welche Frauen ihren Mann adäquat als »Hasi« zum langsamen, qualvollen Tod durch Verniedlichung verurteilen.

      Die neue Redefreiheit ist eine Lizenz zum Labern. Delirierende Sprechdilettanten müssen sie käuflich erwerben, während die Profis, unsere Journalisten, sie gratis oder mit dem nach ihnen benannten Rabatt bekommen. »Die Konjunktur brummt«, spricht der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks aus dem Fernsehkasten heraus – und glotzt gleich misstrauisch nach, ob das auch alle schön glauben. Wie es sich für einen echten Nullsatzfachmann gehört, bleibt Siegmund Gottlieb jeden Beweis für seine Behauptung schuldig. In seiner Profession muss er aber auch nicht empirisch oder argumentativ arbeiten; Positivgerede und Schönfärberei haben, mitsamt ihren Zwillingsschwestern Katastrophengeschrei und Hysterie, den klassischen Journalismus längst ersetzt. Es geht um nichts als um Stimmung. Ob die Konjunktur, so sie das denn könnte, am Ende brummte wie ein satter Grizzly oder eher wie ein altersschwacher Kühlschrank, spielt keine Rolle. Non cogito ergo brumm.

      Diesem Leitmotiv schließt sich die Illustrierte Vanity Fair an und erklärt uns Wesen und Regelwerk der Ökonomie: »Präsident Horst Köhler trainiert zweimal die Woche im Fitnessstudio und joggt regelmäßig. Deutschland wird fit. Die Konjunktur kann folgen.« Das nennt man wirtschaftliche Analyse: Es ist die reine Esoterik. Der Satz »Deutschland wird fit« muss ins Deutsche zwar erst noch übersetzt werden, ist aber trotzdem schön. Wie soll das aussehen?

      Turnt das Land demnächst am Barren?

      Hängt es schwer am Reck?

      Stemmt es Hanteln? Läuft es schwitzend

      Fort und bleibt für immer weg?

      Das wäre nicht schlecht.

      Weniger ums Brummen als ums Ticken geht es dem Spiegel. »Wie tickt die Frau?« fragt das Blatt; abermals ist Vanity Fair ganz vorn und weiß die Antwort, zumindest so vanity-ungefähr: »Frauen ticken anders als Männer.« Woraus sich schließen ließe: Alle Frauen sind Uhren.

      Könnte es aber sein, dass mit den Objekten solcher Forschung Damen gemeint sind, die mit einem Anagramm von Uhren beschrieben werden? Und sich das Ganze überhaupt um etwas dreht, das sich auf ticken reimt?

      Die neue Redefreiheit garantiert eine lückenlose und unverzügliche Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit allen wichtigen, brandneuen Erkenntnissen und Nachrichten aus dem Hause Dr. Küch. Psych.: Konjunktur brummt, Frau tickt. Und irgendwo piept’s.

      Die Elster, Skinhead der Lüfte

      HEISERE, KAPUTTSTIMMIGE SCHREIE zerreißen die morgendliche Stille. Unfreiwillig erwacht der Schläfer, von hässlich ratschendem Kä-Kä-Käk roh geweckt. Draußen, im Hinterhofbaum, zetert die Elster, und auch vorn, von der Straße her, kreischt die schwarz-weiße Pest. Es ist Elster­alarm.

      Wie das Auge der Lump unter den Sinnesorganen ist, oberflächlich, bestechlich und flüchtig, so ist die Elster die SA der Vogelwelt. Allein auf Dummheit und Brutalität setzt die Elster, mehr hat sie nicht zu bieten. Die Elster ist der Skinhead unter den Vögeln. Ihr einziges Ziel ist Monokultur, das Umbringen und Vertreiben von allem, was nicht Elster ist. Schwarz-weiß ist die Elster – wie ein Springerstiefel, in den ein weißer Schnürsenkel eingezogen wurde, um die miesestmögliche aller Gesinnung zu zeigen, den Wahn von der weißen Herrenrasse. So ein Drecksvogel ist die Elster.

      Auf die Blumen am Balkon wirft sich die Elster, zerhackt sie mit scharfem Schnabel. Ihr Hass gilt allem Anderen, allem Schönen. Die zarte Blaumeise greift sie an und all die zaubrisch tirilierenden Sängerinnen und Sänger der Vogelwelt. Elster kann nur krächzen und knarren, also soll niemand singen dürfen. Todesschwadronen schickt die Elster aus, die Nester anderer, anmutiger Vögel zu zerstören, die Gelege zu vernichten und die Jungvögel abzuschlachten. Doch kein UN-Blauhelmeinsatz rettet die Opfer der Elster. Der Rest der Welt sieht gleichgültig zu und schutzbehauptet feige, ihm seien die Hände gebunden. Auch unsere Turmfalken sind matt und heuchlerisch geworden und gebieten der Elster nicht Einhalt. Das Bewohnen von Kirchen hat sie ihres Charakters beraubt.

      Die Beweislast gegen die Elster ist erdrü­ckend. Elster hört Böhse Onkelz und singt entsprechend, Elster liest Junge Freiheit und spricht auch so. Elster zetert ständig, das Volk der Elstern stürbe aus. Das ist leider überhaupt nicht wahr. Hinter der Deckung dieser Lüge vermehrt sich die Elster rasend und wandelt blühende Gärten in Steppen und Wüsteneien. Es ist an der Zeit, der Elster in den ausgestreckten rechten Flügel zu fallen. Der Nazivogel braucht einen vor den Latz. Schnell, dringend und unmissverständlich.

      Sage keiner, es gönge nicht. Das medizinballgroße Elsternnest vor dem Fenster ist mit einem Besen schnell aus dem Baum gehauen. Auch Freunde der Luftpistole können gute Werke tun. Kanonier Klink, Elster auf neun Uhr! Dschuff!, hat die Elster final eine hängen. Der Schütze hängt das Viech an einer Kralle kopfüber in den Baum; das martialische, archaische Bild zeigt Wirkung, der Todesvogel ist seinen Kollegen ein deutlicher Wink zum Beidrehen und Wegsein.

      Meist bringt der Luftpistolenbeschuss die Elster nicht einmal um, aber bei Wiederholung zeigt die medizinische Bleianwendung Folgen: Sich die blauen Flecken reibend, verzieht sich das zänkische Elsternehepaar. Das Leben kehrt zurück, die Singvögel trauen sich wieder nach Hause, sogar Zaunkönige, und nisten und singen, dass es eine Lust ist. Die kleinen gelbroten Schnäblein sperren sie auf, als wären sie von Nikolaus Heidelbach gemalt. Tränen der Freude dürfen wir vergießen über soviel Zartheit der Schöpfung.

      Und sie beschützen, gegen marodierende Elster-Kameradschaften. »Dies wetze scharf dein Schwert, verwandle Gram in Zorn; erschlaffe nicht dein Herz, entflamm es!«, heißt es in Shakespeares Macbeth. Ich will den Dichter beim Wort nehmen. Elster ist eklig, Elster ist überall. Der Krieg gegen die Nazi-Elster und ihr Gebrüll ist hiermit erklärt.

      Halt irgendwie oder so

      Das Wattegebrabbel

      WER OHREN AM KOPF HAT und von ihnen auch dezidiert Gebrauch macht, fühlt sich oft wie ein Gast auf terra incognita: Babylon-Gebabbel, Geschrei, Gerammel und Geschnassel, rabimmel, rabammel, rabumm. Das alte Kommunika­tions­modell »Senden – empfangen werden – die Rück­meldung empfangen – zurücksenden und auf diese Weise in klarer Verbindung bleiben« ist längst außer Kraft. Alle senden gleichzeitig, und vor allem senden sie bei voller Lautstärke. Alles jabbelt, brüllet, sabbelt, und niemand hört zu. Empfänger dieses


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