Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste
Publikum zeigt Wirkung. Die Reaktion auf das Vollgeballert- und Vollgeknattertwerden ist Reserviertheit; man hält sich zurück und legt sich seinerseits nicht mehr fest. So entsteht das wachsweiche Wattegebrabbel, der Jargon der Unverbindlichkeit. Und der klingt so: »Dann sind wir da halt irgendwie hingefahren und haben da halt was gegessen und dann war halt irgendwann Schluss oder so und dann...« Man wird zum moribunden, ins stille Erdreich flüchtenden Murmeltier von diesem »Halt irgendwie halt oder so«-Sprachbrei – der dem Kopfbrei entspricht, weil die sprachliche Idiotie nun einmal immer analog zur gedanklichen sich vollzieht.
Wer das Füll- und Nullwort »halt« auf seine Mitmenschheit ausgießt, dem soll jedesmal mit einem entschiedenen »Stop!« begegnet und geantwortet werden. Wer »halt« sät, soll »Stop!« ernten, klar und entschieden »Stop!« Das wirkt sofort, Sie dürfen mir glauben, ich habe es ausprobiert: »Stop!« Gleichfalls mit Hohn belegt wird die Nichtssagerfloskel »oder so« – »oder so« ist wie der alternative Herrenzopf am Kopf eines Mannes. Wer Zopf trägt, muss auch Zopf sprechen, anders geht es offenbar nicht, halt irgendwie oder so, vielleicht...
Die da so vage bleiben und sprechen, haben auch »Bauchgefühle«, sagen entsprechend »von daher« oder, noch geistferner, »also von daher« beziehungsweise schweizerisch »also von dem her«. Sagen möchte die Adelsfamilie derer von daher eigentlich »deshalb«, »darum« oder »deswegen«, aber das wäre ja zu konkret und also zu hart, und so heißt es: »also von daher...« Die professionelle Variante im journalistischen Leitartikel klingt dicker, ist aber gleich mager: »Freilich« sagt der Journalist, / der in Wörterfüllnot ist. Mindestens ebenso gern wie »freilich« nimmt er »gewiss«. Achten Sie einmal darauf, wie viele öffentlich-rechtliche Gewissträger es gibt.
Wer dann noch immer nicht genug hat vom öffentlichen Nullundnichtig, der höre einmal zu, wie oft am Tage er die Zwangsformulierung »nach dem Motto« erdulden muss. Denn die ganze labbrige »Ich sag mal irgendwie oder so von daher«-Sprachmarmelade gehorcht dem Motto »nach dem Motto«.
Sie hörten die Ziehung der Mottozahlen.
Schwarzer, Bild und Besserwelt
BöSARTIG ZUGEPETERT UND vollgeprengelt mit Reklame war die Stadt auch im Sommer 2007. Erneut fiel Bild lästig mit der Behauptung: »Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht.« Dem hinzugegeben war eine Fotografie, die Alice Schwarzer zeigte, die Herausgeberin von Emma, die bundesverdienstkreuzgeschmückte Kämpferin für das Frauen- und Menschenrecht, in der Bundeswehr das Handwerk des Tötens erlernen zu dürfen. Schwarzer wirbt für Bild, und Bild wirbt für Schwarzer – war das nicht ein Triumph der Emanzipation? Der alte Erz- und Hetzfeind Bild hatte es endlich eingesehen, dass ohne Frauen kein Staat zu machen ist? Vor allem, wenn die Frauen ohnehin nichts anderes, weniger Konfektioniertes wollen als die Männer? Hatte also der Feminismus nicht doch am Ende gesiegt? Oder war der große Emma-Emanzipationsfeldzug seit den siebziger Jahren nichts als eine gigantische Kampagne zur Prominentisierung Alice Schwarzers?
Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten, sich in Bild einwickeln zu lassen. Alice Schwarzer ist da nicht so krüsch – die Dame ist dort angekommen, wo die Gesellschaft am dreckigsten ist: in ihrer Mitte, in Bild und ihrem Chefredakteur Kai Diekmann. Es wuchs nur zusammen, was immer zusammengehörte: Existenzen, die fest entschlossen sind, einen Beitrag zur Banalisierung und Primitivisierung der Welt zu leisten, in der sie, nachdem sie die Welt entsprechend zugerichtet und auf ihr Niveau herabgezogen haben, eine entsprechend großspurig angelegte Rolle spielen können.
Ähnlich aufwändig wie Bild tapezierte die Firma Bionade die Anzeigenplätze des Landes. Die Bionade-Limo schmeckt, die kleine Brauerei in der Rhön ist so sympathisch wie ihr Erfolg erfreulich – aber dann warben die Sprudelmacher mit dem trendschlauen Abgreiferspruch: »Das offizielle Getränk einer besseren Welt«. Ach je, die bessere Welt. Dieses sumpfige Schlickenfängerterrain hätten sie besser den Charity-Ladies Grönemeyer, Geldof, Bono etcetera gelassen, die sich alle ihr Stückchen Elend und Afrika eingezäunt und parzelliert haben, weil in einer vernunftfreien Weltordnung Gratismoral ein Fellow-Traveller-Scheck ist, der sich zu Geld machen lässt. »Wir sind die Guten, kauft uns«, lautet die Ranschmeißerbotschaft, der sich bedauerlicherweise auch Bionade anschloss. Und sich damit als offizieller Ausrüster der Traumhochzeit von Alice Schwarzer und Bild empfahl.
Abenteuer Seenlandschaft
WASSER IST MEIN LIEBLINGSELEMENT. Man wirft sich hinein und alles ist eins mit allem. Schwümmn ist gottvoll; es muss allerdings Natur sein. Gechlortes Wasser geht nicht, es rötet das Auge, zerjuckt die Haut und peinigt die Atemwege.
Und so singen wir im Chor:
Tschüssi, Tschüssikowski, Chlor!
Seen und Flüsse und das Meer sowieso aber bringen es voll: die Mittelmeerküste, schottische Lochs, mexikanische Wasserfälle – ich sage nur: Tolantongo! –, der Atlantik bei Sagres im äußersten Südwestportugal, französische Flüsse:
O wie schön bist du,
La Loue!,
die Helgoländer Hochnordsee, in der Innerschweiz der Thuner See, wo der Thunfisch herkommt, und in Zürich die Limmat, denn die schimmat.
Im Nassen ist Leben, also jede Menge los. Mit Seen stehe ich auf bestem Fuß – sogar mit brandenburgischen Binsen- und Binnengewässern. Dort lernte ich schon vor Jahren schwimmend den Hodenhecht kennen; deutlich tangierte er mich, den sachteren Sacksaibling mir zuführend. Auch der zurückhaltende Anusaal, die Vorhautforelle und der zarte Brustspitzenbarsch machten mir ihre Aufwartung, und die badenden Damen erfreute der Klitoriskarpfen. Das war sehr schön, ich vergaß direkt, dass ich in Brandenburg war, im scheußlichen Preußen. Im wie gemaltbesoffen vor sich hin liegenden Mecklenburg hatte ich mich sogar fest mit der aparten Mösenmaräne befreundet, das hatte sich höchst aufregend gestaltet, war aber lange her.
Nun galt es, die sächsische Seenlandschaft zu erkunden. Täglich hieß es:
Das ersehnte Gewitter zog an Lei
pzig auch heute wieder vorbei.
So ging es auf meinem königlich-holländischen Gazelle-Fahrrad wasserwärts. Heiß war es, kochend heiß, ich fühlte mich wie ein glühender Tauchsieder, der, kaum zu Wasser gelassen, den See in einer gewaltigen Dampfwolke weg- und davonzischen würde.
Das Seeufer wurde belagert von einer großen Menge tätowierter Damen und Herren; viele der buntgenadelten Körper sahen aus wie Häuserfassaden, die besonders ideenlosen und stümperhaften Graffiti-Sprayern in die Hände gefallen waren. Wie schade. Grünblau metallisch aber hubschrauberten Libellen direkt überm Wasser, kleine Fische knupperten an meinen Beinhaaren herum, einer von ihnen sprang auch einmal an Land, aufs Trockene, wurde aber vorsichtig auf die Hand genommen und gerettet.
Gazelle, Libelle, Fischlein – als Mensch hat man vergleichsweise die Arschkarte gezogen – oder, für unsere Etetepeteren, den Schwarzen Peter. Und als wie prächtig erwies sich bald die Vielfalt des Fischlebens im sächsischen See! Zehen- und Zungenkusszander schwammen munter, ein Harnröhrenheilbutt stellte sich vor, einen Hämorrhoidenhai im Schlepptau hinter sich her ziehend; selbst der seltene Rektalrochen ließ sich blicken. Ein Schwarm Schwanzsprotten blinkte vorbei, die zarte, bildschöne Scheidenschleie gab sich die Ehre und wies eher vulgäre Popoplötzen und Skrotumstinte in ihre Schranken. Elegant zog die Schamlippenscholle ihre Kreise, sogar der äußerst rare Vulvawels wurde gesichtet, und die Partyplötze stöhnte: »Du willst es doch auch...!«
Während ich all die herrlichen Fische bewunderte und mit ihnen schwamm, stieg eine Badende ins Wasser, eine Venus, schritt durch den angenehm grobkörnigen Fußpeelingsand des Sees und rief staunend aus: »Nu isses denn möchlich: ne Fotzenflunder!« Ich wurde scharlachrot. Fotzenflunder, das hätte ich mich als Mann niemals zu sagen getraut. »Penispirañaaaah...!«, rief ich noch – und versank im See.
Dann verstummten, endlich helle
Mensch und Fischchen und Gazelle.
In der Wellness-Hölle
»ALLES KLAR. ICH SCHAUFEL’ mir das frei«, sagt der Mann am anderen Ende der Telefonleitung. Zwar hat er noch nie im Leben eine Schaufel in der Hand