Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? - Wiglaf Droste


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hatten.

      Also wurden Elchhunde und Narkosegewehrschützen unehrenhaft entlassen. An ihre Stelle traten 1000 Jäger mit scharfer Munition. Der Bär wurde, wie das so heißt, »zum Abschuss freigegeben«. Das unbefugte Eindringen in den bayerisch-deutschen Kultur- und Rechtsraum hatte Bruno, wie mancher Asylsuchende vor ihm, todsicher zu bereuen. Am Morgen des 26. Juni 2006 wurde er im bayrischen Landkreis Miesbach von Jägern erschossen.

      Teach me laughter, save my soul

      Ein Besuch auf Helgoland zum 80. Geburtstag des Kinderbuchdichters James Krüss

      DEN FLUGHAFEN VON BÜSUM kann man schon mal übersehen, so groß ist der nicht. Es wäre aber schade drum, denn der Tower von Büsum, der nicht viel mehr Platz einnimmt als ein zweistöckiger Zeitungskiosk, beherbergt freundliche Menschen. Der rundköpfige, entspannte Herr am Schalter, bei dem man Flugscheine nach Helgoland kaufen kann, bietet einen Zehnerblock an. Fliegen auf Zehnerkarte, das ist ja wie Sommer im Freibad.

      An der Einfahrt zum niedlichen Flughafen hatte ein Bauer gestanden und landwirtschaftliche Produkte angeboten: Kartoffeln, Gemüse und hausgemachte Fleisch- und Wurstwaren, darunter auch eingelegtes Sauerfleisch. Er lädt zum Probieren ein, es ist sehr gut. »Ja«, sagt er, »und macht auch nicht dünn.«

      Die Maschine aus Helgoland ist in Büsum gelandet, kurz darauf fliegt sie retour, inselwärts. Das Flugzeug hat, den Piloten mitgerechnet, Platz für zehn Menschen. Etwas älter ist das kleine Transportmittel auch schon. Flugängstliche können sich hier im Schockverfahren heilen: Wer in so eine Rumpelbüchse steigt, lässt die Angst zurück. Die zweimotorige Propellermaschine macht ordentlich Geräusch, der Pilot ist völlig lässig, das Flugzeug schaukelt sich auf 1.000 Fuß hoch, die fünf Passagiere kucken auf die unter ihnen kabbelig sich bewegende See, sehen Sandbänke und sogar Seehunde und Robben. Nach 20 Minuten landet die Maschine auf der Helgoländer Düne, man fährt noch ein bisschen Kleinbus und Fähre, und dann betritt man Helgoland, den Geburtsort des Dichters James Krüss.

      Zu Krüss’ 80. Geburtstag am 31. Mai 2006 lud seine Nichte, Kirsten Rickmers-Liebau, als Ver­treterin der Krüss-Erben. Das üppige Werk des großen Humanisten und Kinderbuchschriftstellers Krüss soll neu entdeckt und geehrt werden. Schüler von James-Krüss-Schulen haben Aufführungen seiner Texte vorbereitet, Musiker und Sängerinnen Vertonungen seiner Gedichte einstudiert, Krüss-Illustratoren zeichnen live vor Publikum, Verleger und Freunde sind da, es gibt Lesungen in der kleinen Gemeindebücherei und im noch kleineren Helgoländer Standesamt, das in einer ehemaligen Hummerbude untergebracht ist. Es ist ein buntes Holzhäuschen, in dem die Hummerfangkörbe aufbewahrt wurden, als vor Helgoland noch nennenswerte Mengen Hummer gefangen wurden.

      Hummer sind hier längst äußerst rar geworden, jetzt fängt man Taschenkrebse, deren Scheren, die Knieper = Kneifer, aus gutem Grund hart gepanzert sind: Sie enthalten köstliches Krebsfleisch. Die gastfreundliche Familie Rickmers-Liebau lädt die ganze Krüss-Feier-Gesell­schaft ein, die Knieper werden im Licht der Dämmerung verzehrt, auf der Insel ist gerade Stromausfall. In seiner »Historie von der schönen Insel Helgoland« dichtete James Krüss: »Irgendwo ins grüne Meer / Hat ein Gott mit leichtem Pinsel, / Lächelnd, wie von ungefähr, / Einen Fleck getupft: Die Insel. // Und dann hat er, gut gelaunt, / Menschen diesem Fels gegeben / Und den Menschen zugeraunt: / Liebt die Welt und lebt das Leben!« Man beachte den Dativ: Nicht den Menschen gab Gott den Felsen Helgoland, sondern er gab, umgekehrt, diesem Felsen Menschen. Die Reihen- und Rangfolge ist damit klar.

      Doch wer hört schon auf einen Dichter? Helgoland, statt als kleines Paradies betrachtet zu werden, wurde zweimal zur militärischen Festung ausgebaut, mit bösen Folgen für die Helgoländer: Bei Kriegsausbruch im August 1914 wurden sie zwangsevakuiert. Auch Hitler und seine Admiräle wollten von Helgoland aus die Deutsche Bucht strategisch kontrollieren. Der Größenwahn endete mit dem Bombardement am 18. April 1945; an diesem Tag hatten einige Helgoländer unter Anführung von Eäk Fink die Besatzung Helgolands überwältigen und die Insel den Alliierten kampflos übergeben wollen. Die Männer wurden verraten und in Cuxhaven exekutiert. Nach der Bombardierung mussten die Helgoländer ihre Insel verlassen. 1947 versuchte das britische Militär vergeblich, Helgoland mit dem »Big Bang« einfach wegzusprengen und benutzte die Insel anschließend als Bombenabwurfübungsplatz. Erst 1952 kehrten die Helgoländer zurück.

      Es wundert nicht, dass James Krüss, bei aller Leichtigkeit und Entspanntheit seiner Texte, zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Antimilitarist war. Der auch ein Mittel wusste gegen militärische Gemeinheit, das er in »Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen« aufschrieb: »Teach me laughter, save my soul« – lehre mich Lachen, rette meine Seele.

      Die Krüss-Feierlichkeiten enden mit einem langen bunten Abend in der Helgoländer Nordseehalle. Anderntags fährt wegen des stürmischen Wetters kein Schiff. Aber ein einmotoriges viersitziges Flugzeug fliegt, es ist noch viel lütter als der Zehnsitzer vom Hinflug. Pilot und Vertrauenerwecker ist ein blonder Friesenriese. Sicher landet er in Büsum. Als eine Passagierin sich für den so aufregenden Flug bedanken will, lächelt er und sagt: »Ich krieg mal ‘nen Süßen.« Woraufhin die Frau ihm mit sichtlicher Freude einen Kuss auf die Wange drückt. Beim Abschied sehen wir im Tower einen rundköpfigen Herrn, der James Krüss ähnlich sieht. Er winkt freundlich.

      Vom Muckefuck zur Schaumschlägerei

      Aus der Welt der Kaffeerituale

      LANGE BEVOR ICH MEINE ERSTE TASSE Kaffee trank, war ich gründlich vor diesem Getränk gewarnt worden. »C-a-f-f-e-e, trink nicht sovie-hiel Ca-haf-fee«, sangen wir in der Grundschule. Der kanonische Rundgesang lehrte, der »Türkentrank« mache, ganz wie es das Gesetz des Reimes verlangt, tüchtig »krank«. Zum Schluss mahnte das Lied sehr deutlich: »Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann!« Was ein Muselmann war, wusste ich überhaupt nicht, sang das Wort aber gern. Vielleicht hatte er etwas mit Pampelmusen zu tun? Die waren auch gerade ganz neu in mein Leben gerollt: Pampelmusen. War der geheimnisvolle Herr Muselmann ganz aus Musen zusammengepampelt? Und konnte er deshalb die Finger nicht vom Kaffee lassen? Es war alles höchst rätselhaft.

      Bei der Großmutter väterlicherseits gab es sogenannten Kinderkaffee. Hierbei handelte es sich um Ersatzkaffee aus Gerste oder Malz. Dieser Caro Kaffee war ganz offensichtlich ein Überbleibsel aus schweren Jahren und schlechten Zeiten. Das Pulver wurde auch Muckefuck genannt, ich fand das Wort lustig, aber es war eher abschätzig gemeint. Mit nahezu ehrfürchtigem Timbre, gewissermaßen mit Ausrufungszeichen, wurden dagegen die Worte »echter Bohnenkaffee« ausgesprochen. Das war eine Kostbarkeit, die man sich nur selten leistete und gönnte. Bei der Großmutter mütterlicherseits durfte ich den schwarzen Sud mit viel Milch und Zucker probieren. Er duftete verlockend, der Reiz des Verbotenen tat das Seine zur Magie hinzu. Ich wurde aber nicht süchtig und bin bis heute kein Pampelmuselmann.

      In unschöner Erinnerung geblieben sind mir spätere Kaffee-und-Kuchen-Rituale an Geburtstagen; da hatten ganz offenbar die Erwachsenen etwas nachzuholen. Die bloße Tatsache, dasitzen, mehrere Stücke Kuchen und Torte aufessen und dazu soviel Bohnenkaffee trinken zu können, wie man nur wollte, erfüllte die Tantenrudel mit sichtlicher Genugtuung. Der Kaffee-und-Kuchen-Terror war ein Wert an sich. Der Genuss bestand darin, sich ihn leisten zu können.

      Der Kaffee selbst war scheußlich: vakuumisiertes Zeug, das einen sauren Geruch wie von Achselnässe verströmte. Dieses Malodeur blieb dem Getränk auch nach der Zubereitung voll erhalten; »Verwöhn-Aroma« hieß und heißt das in der Werbung. Aus der man lernt, dass Mühe allein nicht genügt: Ohne die von führenden Giftmischern zusammengepresste »Krönung« wird man den Gipfel der Abscheulichkeit niemals erfolgreich erklimmen.

      Von »Filter-Frio-Verfahren« und dergleichen Halunkereien mehr war zu jener Zeit die Rede; getrunken wurde die Kaffeebrühe mit Kondensmilch, die in feineren Haushalten aus der Blechbüchse in ein Sahnekännchen umgefüllt wurde. Kondens war Konsens, im Reklamefernsehen wurde die Marke »Glücksklee« angepriesen, ein infantiles »Nichts geht über Bärenmarke, Bärenmarke zum Kaffee« abgesungen oder mit holländischem Akzent für »B&B«-Kondens­milch geworben: »Dröpche voor Dröpche Qualiteit.«

      Da lag Flucht nahe. In alternativ sich empfindenden und gerierenden Milieus war Kaffee verpönt. Hier blieb der Dreck der Welt im Teesieb oder Teenetz hängen,


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