Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? - Wiglaf Droste


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lustig und ließen ihren Mangel an Humor kleinlich an Jochen Herdieckerhoff aus.Der zog nach Wien, in die Stadt, die er liebte, warum und wofür auch immer. Er organisierte und veranstaltete – und das als Hete! (für die Restnichteingeweihten unter uns: als Heterosexueller) – das »Wien ist andersrum«-Festival, outete handkehrum in der taz den Neo-Ultra-Rechten Jörg Haider als homosexuell und legte sich in der intriganzgesättigten Spinnwebenstadt Wien mit allem an, was nicht bei dreitausend auf dem Baum war.

      Zuletzt sah ich ihn, nachdem ich seine Einladung angenommen hatte, eine Ausstellung des Titanic- und FAZ-Zeichners Achim Greser zu eröffnen. Es handelte sich um Gresers Zyklus »Der Führer privat« – um Bilder, die Hitler als das Würstchen zeigen, das er war und als das er massenhaft geliebt wurde, weil Versager naturgemäß Versager lieben, sogar bis zur Vergasung, wenn die nur andere trifft. »Hitler’s coming home« nannte Jochen Herdieckerhoff die Ausstellung. Wir fanden das lustig, die Wiener Krone, die rechtsextreme Neue Kronen Zeitung, war nicht amüsiert.

      Mit Wolf Martin, dem Kolumnisten des Massenschrottblattes, setzte Jochen Herdieckerhoff mich auf eine Wiener Bühne. Wolf Martin dichtet, wie Hitler malte: »Europas Zukunft wird vermasselt / der Euro in die Tiefe rasselt. / Die echten Werte gehn in Scherben. / Das Abendland – liegt es im Sterben?« Aus Silberhochzeitsanlässen wurde von Amateuren kaum lausiger gereimt. Gedichte in Grass und Scheiße meißeln ist sein Genre. »Arme Schwarze« heißt ein weiteres Teil, voilà: »Der Schwarze Kontinent ist reich, / nur Fleiß und Disziplin fehlt euch! / Europa hat’s aus eigner Kraft / und nicht durch Bettelei geschafft!« Diesen Wolf Martin lederte ich, befeuert von Jochen Herdieckerhoff, mit Vergnügen ab. Danach sah ich Jochen nicht wieder.

      Am 6. Juni 2006 bekam ich eine Elektropost, deren Betreff »Parte Jochen Herdieckerhoff« lautete:

      Schlummert ein, ihr matten Augen

      fallet sanft und selig zu!

      Welt, ich bleibe nicht mehr hier,

      hab ich doch kein Teil an dir,

      das der Seele könnte taugen.

      Hier muss ich das Elend bauen,

      aber dort, dort werd ich schauen

      süßen Frieden, stille Ruh.

      BWV 82, Ich habe genug

      Unter der Bach-Kantate »Ich habe genug« (BWV 82 heißt Bach-Werke-Verzeichnis 82) stand zu lesen:

      Werte Herrschaften!

      Hiermit zeige ich an, dass ich mit dem heutigen Datum einen aus meiner Sicht überfälligen Schritt vollzogen und meinem Leben aus freien Stücken ein Ende gesetzt habe. So mir das Schicksal nicht einmal mehr Spielverderber war, habe ich mich nächst der Wiener Berggasse 19 von einem Baugerüst gestürzt. Ich bitte um Verständnis für diese finale Pointe, die ich mir gleichwohl so wenig verkneifen konnte, wie ich diese auf Dauer unerquickliche Existenz hätte fortsetzen wollen.

      Leben Sie wohl!

      gez. Jochen Herdieckerhoff

      Wien, 1. Juni 2006

      Harry Rowohlt schrieb in der Zeit: »Einer meiner allerbesten Freunde, Jochen Herdieckerhoff, hat sich, was ich ihm persönlich sehr übelnehme, umgebracht. Wie so ein Born an Kreativität und guter Laune insgeheim tieftraurig sein kann –, das bleibt sein Geheimnis und das so vieler anderer Hoch- und Sonderbegabter, die uns olle Muffköppe so lange aufmöbeln, bis es für sie selbst nicht mehr reicht.«

      Es gibt so viele Menschen, deren Leben und Tod einem vollständig gleichgültig sind. Jochen Herdieckerhoff gehörte und gehört nicht dazu. Ich wünsche ihm, was er sich wünschte.

      Leipzig: Mercedes Bach und Russentussen

      DER 28. JULI 2007 WAR DER 257. Todestag von Johann Sebastian Bach. In Leipzig, das sich gern und stolz »Bach-Stadt« nennt, wurde das Jubiläum im Rahmen des MDR-Musiksommers mit einem Konzert in der Thomaskirche begangen. Zu hören gab es Werke von Bach und Buxtehude, der Bachs Lehrer und Vorbild in Lübeck war. Bach, der wusste, dass Buxtehude die Stel­lung nur bekommen hatte, weil er die Tochter seines Vorgängers ehelichte, fürchtete vermutlich ein ähnliches Schicksal, riss vorsichtshalber aus und nahm den Posten als Kantor in Leipzig an. Von Bachs Instinktsicherheit profitiert Leipzig bis heute.

      Profit machen ist seit 1989 ohnehin das Hauptmenschenrecht in Leipzig. Kultur! Kultur!, brüllt es einem aus der Stadt entgegen; Kultur ist keine Frage der Lebensweise, sondern ein Wirtschaftsfaktor, ein Pfund, mit dem Sachsen wuchert, um Geld ins Land zu bekommen – dafür fiedelte der peinliche Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee lange genug öffentlich auf dem Cello herum, bis er als Verkehrsminister fortgelobt wurde und zum Regierungsmitglied heraufsank.

      Vor der Thomaskirche machten sich die Sponsoren Mercedes Benz und Rotkäppchen breit. Wer absahnen will, tut gut daran, seine noblen Absichten zu demonstrieren und die Kultur zu fördern, das kann man steuerlich absetzen, kostet also nur ein bisschen Aufwand, hebt den eigenen Status ungeheuer und schafft ein Kumpanei- und Korruptionsklima auf feintuerischem Niveau. Reich an Zahl waren junge Frauen und Männer in jener Grauzone beschäftigt, die zwischen Servicekraft und Hostess changiert. Ist das eine Arbeit? Präsent sein, Lächeln anknipsen, »Was kann ich für Sie tun?« und »Noch ein Gläschen vielleicht?« säuseln und herumplinkern und -zwitschern? Man nennt es wohl eher Tätigkeit oder Beschäftigung. Von den rudelweise durch Leipzig stöckelnden neureichen Russentussen unterscheiden sich die im Kulturgeschäft arbeitenden Jungmenschen immerhin dadurch, dass sie weniger schwer eingedieselt sind und den vollprostituierten Prada-Abgeschmack verweigern.

      Bach mag für das Leipziger Kulturestablishment zwar sein, was solche Leute »eine Marke« nennen; seiner Musik allerdings kann das wenig anhaben, zumal wenn man sie außerhalb des Gesellschaftsereignisses hört. Das lange ausverkaufte Konzert in der Thomaskirche wurde live vom Kulturradio MDR Figaro übertragen; wäre alles im Radio von dieser Qualität, dürften die Rundfunkgebühren gern dreimal so hoch sein. Bachs Musik ist ein ungeheures Kraftfeld, ein Lebensbejahungsmotor, sie dreht einem das Innerste auf links – als zöge sie einem die Seele wie einen falschherum getragenen Pullover über den Kopf, und wenn die Musik mit einem fertig ist, sitzt alles wieder richtig, ist geklärt und passt.

      Nach dem Konzert las ich noch einmal, was Danny Dziuk mir über Bach geschrieben hatte, den er neben Bob Dylan und Miles Davis zu seinen drei musikalischen Hausheiligen zählt: »Bach zeigt auf eine nie wieder dagewesene Art die Schönheit von Mathematik, er hat das ausgeschöpft. Und gleichzeitig ist er religiös: als würde der Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft nicht existieren. Es ist dieses Paradoxon, dass er einerseits wie kein anderer nach ihm die Prinzipien von Tonalität an ihre absoluten Grenzen treibt, auslotet und mit absoluter Strenge zuende denkt. (Danach kommt nur noch die Auflösung der Tonalität, also die klassische Moderne, ungefähr 150 Jahre später. Dagegen sind die Klassiker und Romantiker – erst recht Wagner – disziplinlose und unwissenschaftliche Schwärmer und Schwadroneure.) Andererseits jedoch scheint sich gerade die überirdisch ekstatische Schönheit mancher Melodien von Bach folgerichtig aus der Strenge seiner Methode abzuleiten, als würde er sagen: Je gewissenhafter ihr forscht, um so mehr wird sich am Ende herausstellen, wie wunderbar dieses Universum konstruiert ist. Danken wir also dem Konstrukteur. Es hat etwas Einstein-haftes à la ›Gott würfelt nicht‹.«

      Ich war beeindruckt, und ich war erfreut über die Verwandtschaft des Geistes. Musik und Literatur, jedenfalls wenn sie etwas taugen, sind eine Einheit aus Verstand und Intuition. Schreiben (oder Komponieren) ist Denken und Fühlen in einem, also Kopf und Herz oder eben Arithmetik und Hingabe; es braucht beides in einem schönen Ebenmaße, um die Welt zu durchdringen und ihr Form und Ausdruck zu verleihen. Mit nur einem von beiden kommt man nicht weit. Fehlt das wärmende Feuer des Gefühls, wird es spitzfindig und fischig; ist das Korrektiv eines klaren, kühlen Verstandes nicht vorhanden, wird es soßig und man versinkt im Kitsch.

      Dass man mit Wagner in Bayreuth die Kulturschickeria bedient, leuchtet ein, Wagners Pop-und-Pomp-Gedröhn gibt das her. Dass man aus Bach aber Mercedes Bach zu machen versucht, liegt nicht in Bach und seiner Musik begründet. Das schaffen die Leipziger seit 1989 ganz allein.

      Pfefferminz mit Sibiriengeschmack


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