Ferienhaus für eine Leiche. Franziska Steinhauer
…«
»Es wäre also möglich, dass jemand den Aufbruch der Familie beobachtete, und sich dann heimlich ins Haus geschlichen hat. Es kam euch nie wirklich so vor, als sei eine fremde Person in das Ferienhaus eingedrungen?«
»Nein. Es hat auch nie etwas gefehlt oder war verrückt, oder so.«
»Wenn wir jetzt mit den Kindern sprechen könnten …«, schloss Lundquist die Befragung ab und warf Knyst einen fragenden Blick zu. Der nickte und erhob sich aus seinem Sessel.
»Wir werden uns nur kurz mit ihnen unterhalten, ohne die tote Frau zu erwähnen, das verspreche ich – oder habt ihr da Einwände?«, fragte er.
Auch Lundquist hatte sich erhoben und meinte in versöhnlichem Ton: »Wenn ihr wollt, könnt ihr uns gerne begleiten. Wir werden nichts sagen, was die Kinder beunruhigen könnte.« Er lächelte freundlich und zögernd erklärten sich die Eltern mit der Befragung einverstanden, wenn man ihnen erlauben würde dabei zu sein.
Die Gruppe trat durch die Schiebetür in den Garten hinaus, und Herr Pattersson rief nach seinen beiden Söhnen. Missmutig, weil man sie in ihrem Spiel gestört hatte, aber dennoch interessiert an dem, was die beiden fremden Männer wohl wollten, kamen sie näher. Sie hielten die Köpfe gesenkt, als erwarteten sie für ein Vergehen zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Vater stellte die beiden Ermittler vor und die Jungs sahen die Kriminalbeamten nun mit unverhohlener Neugier an.
Zwillinge, dachte Lundquist amüsiert und lächelte.
Als Anna mit Lisa schwanger war, hatte sie auch auf Zwillinge gehofft. Ihre Schwester und eine Tante hatten schon Pärchen bekommen und Anna fand die Vorstellung lustig, gleich zwei Babys zu haben. Sie hatte davon geträumt, dass sie die beiden immer gleich anziehen würde und sich ausgemalt, wie sie miteinander spielen würden. Doch nach dem ersten Ultraschall musste sie sich damit abfinden, dass sie nur ein Baby erwartete. Ein »Einzelbaby« eben. Er erinnerte sich noch genau an ihren schelmischen Gesichtsausdruck, als sie meinte, dann müsse man eben beim nächsten Mal wieder hoffen.
Und dann war alles ganz anders gekommen.
Lundquist ging in die Hocke, um mit den beiden während des Gesprächs auf gleicher Höhe zu sein und ihnen zu ermöglichen, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Wie heißt ihr denn?«, eröffnete er das Gespräch und wusste, dass das kein besonders origineller Anfang war. Beide Jungs waren strohblond und hatten vom Toben und der Aufregung gerötete Wangen. Ihre Jeans hatten grünverfärbte Knie und ihre bunten T-Shirts waren voller Erde. Auch die runden Gesichter waren lehmverschmiert. Einer der beiden trug den Ball, lässig wie ein Profifußballer, in der Armbeuge und gab sofort bereitwillig Auskunft.
»Ich bin Frieder – und das ist Bengt«, und er setzte eilig hinzu, damit es nur keine Missverständnisse gab: »Ich bin der Ältere!«
»Aha! Und wie viel bist du älter?«
»Eine halbe Stunde!«, verkündete der Junge stolz und straffte sich, um größer zu erscheinen. Seine hellgrünen Augen blitzten und er plusterte sich auf.
Knyst hatte Mühe, sich ein Schmunzeln zu verkneifen, das ihm von dem Jungen mit Sicherheit sehr übel genommen worden wäre.
»Sie haben in zwei Monaten Geburtstag, dann sind sie sechs. Ab nächstem Jahr gehen sie in die Schule«, ergänzte der Vater.
Lundquist beugte sich etwas vor und sah dabei den Jungs fest in die Augen. »Haben euch die Ferien gefallen?«
»Ja! Wir haben in einem schönen Haus gewohnt, und in der Nähe war ein See mit einem Ruderboot. Mit dem sind wir ganz weit auf den See gerudert. Mama hat sich schon richtig Sorgen um uns gemacht, stimmt’s?«
Frau Pattersson lächelte und nickte bereitwillig.
»Und ihr habt bestimmt viel gespielt. Hattet Ihr denn genug Platz zum Toben?«
»Das Haus hatte einen Garten. Der war kleiner als der hier, aber dafür nicht so ordentlich. Man durfte überall rumtoben und musste nicht dauernd aufpassen, dass der Ball nicht in die Blumen fällt oder man beim Fangen nicht aus Versehen durch ein Beet läuft«, erzählte Frieder.
Herr Pattersson räusperte sich leise.
»Aber das Haus war auch prima«, ergänzte nun Bengt, der auch zu Wort kommen wollte. »Wir sind überall rumgekrochen. Und im Keller gab’s ganz dicke Spinnen!«
Sven Lundquist brummte anerkennend, als der furchtlose Bengt ihm die Größe einer mittleren Suppenschüssel andeutete.
»Ja. Wir haben sie gesammelt und in einen Pappkarton gesetzt. Aber Mama wollte sie nicht behalten und wir mussten sie auf der Wiese freilassen.« Vorwurfsvoll sah er seine Mutter an, die seinen biologischen Interessen wohl nur wenig Gegenliebe entgegenzubringen vermochte. Ein Problem, dass viele Kinder hatten, dachte Knyst bedauernd und nahm sich vor, bei seinen eigenen Kindern verständnisvoller zu sein. – Später einmal, wenn es dann so weit war …
»Und wart ihr eigentlich auch auf dem Dachboden?«
»Klar«, jetzt hatte Frieder wieder das Antworten übernommen.
Die Mutter stieß einen leisen Schrei aus, schlug die Hand vor den Mund und griff mit der anderen nach dem Arm ihres Mannes. Knyst beugte sich gespannt vor und Lundquist hielt den Atem an. Jetzt, jetzt würden sie erfahren, was die Kinder dort gefunden hatten.
»Da waren lauter alte Sachen. Möbel und alte Matratzen. Alles war staubig und kaputt.«
»Ja. Und es hat gewaltig gestunken da oben«, setzte Bengt hinzu.
»Wonach hat es denn gestunken?«, wollte Lundquist wissen.
»Na, dass wissen wir doch nicht genau. Wegen der Hornissen!«
Verständnislos sah der Hauptkommissar den Jungen an. »Wegen der Hornissen?«
»Ja, klar. Die hatten dort oben ein Nest gebaut, dass war sooo groß.« Er deutete mit seinen Armen die Ausmaße eines kleinen U-Boots an. Lundquist zeigte sich angemessen beeindruckt.
»Und was war mit dem Nest?«
»Na, wir konnten doch nicht die tote Ratte suchen, weil die Hornissen uns nicht gelassen haben«, erklärte Frieder, als staune er darüber, dass man Erwachsenen so etwas überhaupt erklären musste.
»Wieso die tote Ratte?«, wollte Knyst wissen.
Frieder seufzte nun laut und vernehmlich. Dann war er aber doch bereit, etwas so Offensichtliches den fremden Polizisten zu erläutern:
»Unsere Katze Minka hat vor einem Jahr eine Ratte gefangen. Mami hat es nicht bemerkt. Minka hat die tote Ratte dann in der Garage versteckt. Papa hat ganz lange gesucht, weil es doch so komisch gerochen hat. Unter dem Regal, hinten in der Ecke, hat er sie dann gefunden. Sie sah ganz komisch aus und wir haben sie schnell in den Mülleimer geworfen, damit Mami sie nicht sieht. Papa hat sie mit einer Plastiktüte am Schwanz angefasst und am langen Arm getragen.« Er spielte die Szene vor und zeigte auch, wie Papa sich mit der anderen Hand die Nase zugehalten hatte. »Aber warum hast du gedacht, dort auf dem Dachboden sei eine tote Ratte?«
»Na wegen dem Geruch!« Bengt wurde nun ungeduldig. »Es hat also genau so wie damals in eurer Garage gerochen?«, fragte Lundquist noch einmal nach.
»Ja. Aber die Hornissen haben uns immer angegriffen, wenn wir suchen wollten. Da haben wir es gelassen.«
»Hornissenstiche tun nämlich weh!«, setze Bengt hinzu. »Warum habt ihr mir nichts davon erzählt?«, mischte sich Herr Pattersson in die Erzählung seiner Sprösslinge ein. Die Brüder hatten seine Anwesenheit wohl vergessen und zuckten jetzt deutlich zusammen.
»Weil du uns verboten hattest, auf dem Dach rumzukriechen«, gestand Bengt kleinlaut und beide senkten schuldbewusst ihre Köpfe.
»Aber uns habt ihr damit prima geholfen!«, tröstete Lundquist die beiden unerschrockenen Abenteurer. Dann stand er auf und drehte sich zu den Eltern um: »Ohne ihre Zwillinge hätten wir wichtige Informationen nicht bekommen. Ihr solltet stolz auf eure beiden Entdecker