Ferienhaus für eine Leiche. Franziska Steinhauer
ich Maybritt ein Zeichen zu machen. Sie sollte dir nicht glauben. Doch ich erreichte sie gar nicht mehr. Wie gebannt starrte sie dich an. Und dann hast du plötzlich gekotzt! Über den ganzen Tisch, direkt auf das neue Kleid von Maybritt!«
Er erinnerte sich genau an jede Sekunde dieses katastrophalen Abends. Maybritt war aufgesprungen – mit entsetztem Blick und kalkweißem Gesicht. Er wollte ihr den Weg ins Bad zeigen, die Gelegenheit nutzen und sie über die fiesen Tricks seiner Mutter aufklären, doch die kam ihm auch hier zuvor. Sie müsse sich schließlich auch reinigen, da könne sie Maybritt auch gleich mitnehmen. Die beiden Damen, gab sie ihm zu verstehen, kämen sehr gut ohne ihn klar. Also blieb er sitzen. Heute wusste er, dass das ein grober Fehler war!
Er hatte sich glatt ausmanövrieren lassen!
Was dann im Bad genau passierte, hatte er nie erfahren.
Maybritt war jedenfalls plötzlich wieder aufgetaucht, hatte sich seine Autoschlüssel von der Kommode im Flur geschnappt und startete schon den Motor bevor er die Haustür erreicht hatte. Er sah die Scheinwerfer verschwinden, als sie mit quietschenden Reifen auf die Hauptstraße bog. Nach diesem Abend hatte er sie nie wiedergesehen. Sie ging nicht ans Telefon, seine Briefe blieben unbeantwortet.
Die Schlüssel zu seinem Wagen hatte er am nächsten Tag im Briefkasten gefunden – zusammen mit einem Zettel auf dem stand, wo er sein Auto abholen könne.
Natürlich war er nach dem stürmischen Aufbruch Maybritts sofort ins Bad gelaufen. Dort fand er seine Mutter auf dem Rand der Badewanne sitzend, mit einem beinahe wahnsinnigen, triumphierenden Lächeln im Gesicht.
»Tja, Maybritt. Das war nur die erste in einer unendlichen Liste von Verleumdungen, Lügen und Demütigungen. Du bist in diesem Metier ungekrönte Königin, nicht wahr?«, fragte er die reglose, kleine Gestalt. »Am Ende hast du in mir deinen Meister gefunden!«
Es dauerte ziemlich lange, bis die Kriminalpolizei eintraf. Die Straße führte durch dichten Wald und das Sommerhäuschen war schwer zu finden. Die Mitarbeiter der Spurensicherung tauchten zuerst am Fundort auf und verschwanden mit Köfferchen und allerlei Gerät im Haus. Wenig begeistert hatte der Leiter der Gruppe den Bericht über Gunnars Putzaktion zur Kenntnis genommen. »Da müsse man eben sehen, was an Spuren überhaupt noch zu sichern sei«, war sein bissiger Kommentar, bevor er im Schutzanzug, der ihn und seine Kollegen wie Aliens aus einem fremden Universum aussehen ließ, auf den Dachboden eilte.
Von seinem Platz auf der Bank aus konnte Gunnar sie im Inneren rumoren und sprechen hören. Danach war der Arzt vorgefahren. Knut hatte ihnen die Leiche gezeigt und posierte nun wichtigtuerisch im Türrahmen, wie eine Palastwache, die einen Schatz bewachen muss.
Ein Leichenwagen parkte diskret in einer Ecke der Zufahrt. Die dazugehörigen Männer warteten auf ein Zeichen der Polizei, um die Tote wegbringen zu können. Sie saßen Karten spielend in der geöffneten Heckklappe, rauchten und tranken Kaffee aus einer silbern glänzenden Thermoskanne.
Endlich bog auch der Wagen der Göteborger Beamten in die Zufahrt ein.
Zwei junge Männer stiegen aus, sprachen kurz mit Knut, der ihnen entgegeneilte und kamen dann zu Gunnar herüber.
»Hauptkommissar Sven Lundquist und sein Kollege Kriminalinspektor Lars Knyst«, stellte Knut vor.
Gunnar schüttelte beiden die Hand und war schon wieder unzufrieden.
Hatten sie denn nicht genug Leute bei der Kriminalpolizei, so dass sie die Ermittlungen in seinem schwierigen Fall ausgerechnet an so einen jungen, unerfahrenen Spund vergeben mussten!
Sein Fall! Das klang fast so, als erhebe er einen Besitzanspruch auf die Leiche! Dieser Gedanke ließ ihn erschrocken zusammenfahren und er bemerkte, dass Sven Lundquist ihn freundlich und aufmunternd ansah.
»Können Sie mit ins Haus kommen, oder sollen wir uns lieber hier draußen unterhalten?«
Er stellte die Frage wohl schon zum zweiten Mal. Ihm entging der leicht ungeduldige Unterton nicht.
Und Gunnar wollte nicht ins Haus zurück – auf gar keinen Fall.
Der Göteborger Hauptkommissar und sein Kollege stiegen auf den Dachboden, um sich ein Bild vom Fundort zu machen und einen Blick auf das Opfer zu werfen, bevor es zur Obduktion abtransportiert werden würde.
Sven Lundquist starrte mit einer Art ungläubigem Entsetzen auf den Frauenkörper.
»Der Außenriegel war eingerastet. Es ist also klar, dass jemand die Frau mit Absicht in der Truhe abgelegt hat«, informierte ihn ein Kollege von der Spurensicherung.
»Sie war schon älter. Das ist offensichtlich«, murmelte der Hauptkommissar betroffen. »Du liebe Güte. Was hast du nur getan, dass Dir jemand den kleinen Rest deines Lebens nicht mehr gönnen wollte?«
Der Himmel war inzwischen beinahe nachtschwarz.
Es begann zu tröpfeln.
Einer der Polizisten versuchte vergeblich das Licht einzuschalten. Gunnar hörte das nervöse Klicken des Schalters. »Ich habe den Strom abgestellt, als ich fertig war«, erklärte der unglückliche Vermieter kläglich, »unten im Keller kann man ihn wieder einschalten.«
Der freundliche Mitarbeiter der Spurensicherung tastete sich vorsichtig die finstere Treppe hinunter und kurze Zeit später ging das Licht im Flur an. Das Radio begann unpassend laut einen fröhlichen Sommerhit zu dudeln.
Jemand schaltete es aus.
Gunnar hörte nur die Schritte, die eilig durch das Wohnzimmer polterten. Dann war es wieder still, bis auf das gleichmäßige Geräusch der Regentropfen und die Stimmen der Polizisten.
Viele fremde Menschen liefen geschäftig hin und her, warfen sich Satzfetzen zu, aus denen Hilmarström schloss, dass sie ein eingespieltes Team waren.
Der Arzt hatte nicht viel über den Todeszeitpunkt oder die Todesart sagen können. Gunnar wusste aus der Zeitung, dass man dazu erst eine Autopsie durchführen musste.
Ohne weitere Vorwarnung brach das Unwetter los!
Von einer Sekunde auf die andere hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet und Bäche sintflutartigen Regens stürzten sich auf Rasen, Autos, Ferienhaus und den bibbernden Gunnar. Als er bis auf die Haut durchnässt war und nicht mehr schneller zittern konnte, um seinen Körper zu erwärmen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in den Schutz und die Wärme des plötzlich so unheimlichen Hauses zu flüchten.
Und dabei war er vor wenigen Minuten noch so sicher gewesen, das Haus nie mehr betreten zu können! Er hatte es im Geiste sogar bereits an eine dänische oder deutsche Familie verkauft, wie manche seiner Nachbarn es schon getan hatten.
Nun saß er in der Küche, und während der Regen in Sturzbächen an den Scheiben hinunter lief und immer wieder im großen Schwall über die Regenrinne schwappte, die diese Wassermassen nicht mehr fassen konnte, dachte er darüber nach, ob die Polizei ihn wohl einfach vergessen hatte. Er wollte nach Hause, sehnte sich nach trockener Kleidung, einer heißen Tasse Tee und einem vertrauten Mitmenschen, obwohl sein vertrauter Mitmensch zugegebenermaßen schwierig war. Vielleicht sollte ich einfach gehen, grübelte er. Doch bevor er sich zu einem endgültigen Entschluss durchringen konnte, betrat der Hauptkommissar die Küche und nahm auch an dem kleinen rohen Holztisch Platz, der ohne Tischdecke fast ebenso nackt wirkte, wie die Tote auf dem Dachboden.
»Können wir uns unterhalten?«, fragte Lundquist mitfühlend.
Er wusste, dass die meisten Menschen nach einer solch grausigen Entdeckung unter Schock standen. Er selbst hatte nach all den Dienstjahren noch immer große Probleme damit, den gewaltsamen Tod anderer zu akzeptieren. Einige der älteren Kollegen hatten ihm erzählt, dass es bei manchen mit zunehmenden Dienstjahren besser wurde. Andere aber litten bis zu ihrer Pensionierung bei jeder Leiche mit. Sven Lundquist wusste schon jetzt sicher, dass er zu der zweiten Gruppe gehörte.
»Es