Ferienhaus für eine Leiche. Franziska Steinhauer
hinüber. »Vielleicht hast du was Komisches gegessen? Oder du kriegst jetzt eben auch die Grippe.«
»Nein. Nein, ich glaube nicht. Es ist sicher gleich wieder ganz in Ordnung – kein Grund zur Sorge«, behauptete Lundquist mit mehr Zuversicht, als er tatsächlich empfand. Er hörte selbst, wie schwach und instabil seine Stimme klang und bemühte sich rasch um ein zuversichtliches, beruhigendes Lächeln.
»Lass uns den Weg bis zum See hinunter gehen. Eine kleine Pause wird uns beiden nicht schaden!«, schlug er vor, und bereitwillig schloss Lars das Auto ab, nicht ohne ein letztes Mal liebkosend über den Lack zu streichen.
»Was! In dem Ferienhaus war eine Leiche versteckt? Und sie hat die ganze Zeit dort gelegen, während wir in dem Sommarhuset Urlaub gemacht haben? Ein Leichnam?« Die Frau schrie fast, und ihre kippende Stimme klang unangenehm schrill.
Sie saßen im Wohnzimmer der Familie Pattersson.
Der Raum war kühl und elegant eingerichtet. An den makellos weißen Wänden hingen grellbunte moderne Bilder, die, so weit Lundquist das beurteilen konnte, allesamt Originale waren. Auf dem Boden aus hochglänzenden Landhausdielen lagen bunte Teppiche mit abstrakten Mustern. Die Möbel waren aus hellem Holz mit chromblitzenden Gestellen. Die schwere Glasplatte des Couchtisches ruhte auf einer dicken Metallkugel, ähnlich einer Kanonenkugel. Nichts in dem Zimmer deutete darauf hin, dass es von einer vierköpfigen Familie bewohnt wurde. Alles wirkte steril und völlig unpersönlich.
Selbst die Glasplatte war frei von den Abdrücken schmutziger, klebriger Kinderhände. Erstaunlich, dachte Lundquist, dessen Töchterchen überall an den Möbeln seiner Wohnung Spuren aus den unterschiedlichsten Stufen ihrer Entwicklung hinterlassen hatte.
Herr Pattersson legte beruhigend seinen Arm um die Schultern seiner Frau und warf Lundquist dabei einen bitterbösen Blick zu, so als sei der Hauptkommissar persönlich für diese ungeheuerliche Situation verantwortlich.
Seltsam ungleiches Paar, schoss es Lundquist durch den Kopf, als er sie auf dem weichen, weißen Ledersofa sitzen sah. Beide sehr gepflegt und modisch gekleidet; doch während Frau Pattersson eine große, schlanke und energische Erscheinung war, wirkte ihr Mann eher klein und knubbelig. Die Weste seines Designeranzugs hatte Mühe damit, seinen vorquellenden Bauch zurückzuhalten, die hellbeige Hose spannte über seinen dicken Oberschenkeln und während er sprach, fuhr er ruhelos mit seinen Patschhändchen über den edlen Stoff.
Die Beschützergeste des Ehemannes wirkte fehl am Platz, irgendwie falsch. Möglicherweise entstand dieser Eindruck dadurch, dass er sich angestrengt strecken musste, um die Schultern seiner Frau erreichen zu können.
»Tja, es sieht wirklich so aus«, bestätigte Knyst, und Lundquist, der glaubte einen genussvollen Unterton in seiner Stimme mitschwingen zu hören, unterdrückte ein Grinsen. Es war deutlich zu spüren, dass Knyst die beiden nicht mochte.
»Wie gut, dass die Kinder die Stange nicht finden konnten, mit der man die Bodenklappe öffnen kann! Stellen Sie sich nur vor, die beiden hätten beim Spielen die Leiche entdeckt!« Frau Pattersson schauderte, als sie sich diese Situation deutlicher auszumalen begann.
Knyst verzichtete darauf der Mutter zu erklären, dass eine fehlende Stange mit Haken die Kinder sicherlich nicht vom Stöbern auf dem Dachboden hatte abhalten können. Schließlich konnte man die Öse mit Hilfe eines Stuhls problemlos erreichen. Wenn sie tatsächlich nicht auf dem Dachboden waren, dann sicher nur deshalb, weil sie ein interessanteres Spiel gefunden hatten. Er schüttelte nachsichtig den Kopf.
Manche Eltern waren wirklich naiv.
»Wir würden die Kinder gerne dazu befragen«, begann Lundquist vorsichtig tastend und setzte hinzu, als er den aufbrodelnden Protest der Eltern bemerkte, »ganz vorsichtig natürlich und nur, wenn ihr damit einverstanden seid! Wir werden dabei das Todesopfer nicht erwähnen.« »Ich verstehe ohnehin nicht, was wir mit der Leiche zu tun haben sollen! Wie kam die überhaupt dort hin? Wieso kommt die Polizei eigentlich ausgerechnet zu uns?«, wollte Herr Pattersson wissen.
»Am wahrscheinlichsten ist doch wohl, dass die Leiche dem Hausbesitzer gehört, wie der gesamte Rest auch!«, erklärte seine Frau.
»Ihr habt dort gewohnt. Wir überprüfen nun alle Familien, die ihre Ferien in dem Haus verbracht haben. Und wie die Leiche auf den Dachboden gelangt ist, wissen wir noch nicht, genauso wenig wie durch wen. Vielleicht ist euch ja irgend etwas aufgefallen?«
»Nein!«, beteuerte Herr Pattersson. »Was hätten wir denn auch bemerken sollen? Meinst du, wenn wir jemanden gesehen hätten, der einen Sack oder Korb mit einer Leiche auf den Dachoden unseres Ferienhauses trägt, hätten wir nicht sofort die Polizei alarmiert?« Ehrliche Entrüstung war ihm anzumerken.
»Aber habt ihr denn den eigenartigen Geruch nicht bemerkt?«
»Ach Gott, ja, schon. Aber in den Ferienhäusern riecht es immer irgendwie muffig. Nach ein paar Tagen nimmt man das gar nicht mehr wahr. Man gewöhnt sich einfach daran!«, seufzte die Dame des Hauses und wurde plötzlich blass um die Nase.
»Olaf, könntest du bitte die Terrassentür etwas öffnen. Mir ist nicht gut«, stöhnte sie leise, lehnte sich zurück und strich mit leidendem Gesichtsausdruck durch ihre rote Mähne, die glänzend über ihre Schultern fiel.
Eilfertig sprang Herr Pattersson auf und zog die Schiebetür weit auf. Von draußen drangen die ausgelassenen Rufe der auf dem Rasen herumtobenden Kinder in den Raum. Von einer Sekunde auf die andere schien sogar dieser seelenlose Raum von Leben erfüllt.
Frau Pattersson erhob sich leicht schwankend, stellte sich noch immer sehr bleich an die Tür und atmete tief die kühle Luft ein, die würzig nach frisch gemähtem Gras und Laub roch.
»In Wirklichkeit wollt ihr wissen, ob wir nicht doch etwas mit der Sache zu tun haben könnten, nicht wahr?«
Das war keine Frage.
Es war eine Feststellung.
»Handelt es sich bei der Leiche eigentlich um einen Mann oder eine Frau?«, wollte Herr Pattersson wissen, bevor einer der Polizisten sich zu dem gemachten Vorwurf äußern konnte.
»Eine Frau. Etwa siebzig Jahre alt. Wir wissen noch nicht genau, woran sie gestorben ist. Aber das wird der Gerichtsmediziner schnell herausgefunden haben«, gab Knyst bereitwillig Auskunft. Eines war jedenfalls klar: Diese Familie konnte die Leiche nur dann zurückgelassen haben, wenn sie die Tote schon in verwesendem Zustand in Urlaub mitgenommen hatten. Sie verließen Gunnars Häuschen vor vier Wochen, doch nach dem Zustand der Leiche, war die Frau wahrscheinlich schon länger tot.
»Unsere Verwandtschaft ist vollzählig! Wir lassen keine Toten auf den Dachböden von Ferienhäusern zurück. Wir haben keine Erbtanten und keine wohlhabenden Eltern! Wir bringen niemanden um!«
»Du hast uns missverstanden«, versuchte Sven Lundquist die aufgebrachte Frau zu beruhigen. »Wir müssen uns doch bei allen Familien danach erkundigen, ob sie etwas Eigenartiges bemerkt haben. Wir fragen natürlich nicht nur bei euch nach. Es würde uns zum Beispiel sehr interessieren, ob ihr viele Tagesausflüge unternommen habt. Es wäre doch möglich, dass jemand in das Haus eingedrungen ist, als ihr unterwegs wart!«
»Wir haben fast jeden zweiten Tag weite Touren unternommen, Ganztagesausflüge, von morgens bis abends. Aber an den anderen Tagen waren wir selbstverständlich auch nicht die ganze Zeit über im Haus. Wir sind zu den Seen in der Umgebung gefahren und haben gebadet oder sind gerudert. Wie man das eben so macht im Urlaub!«
»Ist euch je bei eurer Rückkehr eine unverschlossene Tür oder ein offenes Fenster aufgefallen?«, fragte Knyst nach.
Die beiden sahen sich an.
Dann antwortete Frau Pattersson: »Ja, schon. Eigentlich sogar mehrfach«, gab sie etwas zögernd zu und fügte entschuldigend hinzu: »Wisst ihr, bei zwei quirligen Kindern, denen immer erst im Auto einfällt, was sie alles Wichtiges im Haus vergessen haben, kommt es schon mal vor, dass man am