Das offene Versteck. Robert de Taube
die Emigration nahe. Auch Samuel de Taube spielte spätestens 1936/37 nicht nur in Gedanken mit dem Verkauf der Ländereien, sondern beauftragte damit sogar schon einen Auktionator. Der Verkauf realisierte sich allerdings nicht und musste dann nach dem Pogrom von November 1938 unter behördlichem Zwang und in einem engen Zeitrahmen vorgenommen werden.
Am 15. März 1936 gab die jüdische Gemeinde Neustadtgödens ihre Synagoge mit einem feierlichen Gottesdienst durch den Landesrabbiner Dr. Samuel Blum aus Emden (1883 – 1951) auf. 1936 hatte die Gemeinde nur noch wenige Mitglieder und deshalb kaum noch Einkünfte zur Gebäudeunterhaltung. Der Psalm 43,5, über den der Landesrabbiner sprach, lautete: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“
Die de Taubes waren in dieser Generation im engeren Sinne nicht mehr religiös, aber wir dürfen annehmen, dass zumindest Samuel, sein in Neustadtgödens wohnender Bruder Salomon und Robert de Taube bei diesem traurigen Abschied anwesend waren. Der vier Jahre jüngere Bruder Kurt de Taube, der als Kaufmann in der Wilhelmshavener Viktoriastraße 10 im Eck direkt an der Adalbertstraße 34 wohnte, war im Vorstand der dortigen Synagogengemeinde engagiert, die 1915 eine stattliche Synagoge hatte errichten lassen.
IV. Der Pogrom gegen die Juden im November 1938
Zum vorläufigen Höhepunkt der antisemitischen Maßnahmen und der Einkreisung der Juden durch die Nationalsozialisten geriet der reichsweit initiierte Pogrom gegen die Juden vom 9. auf den 10. November 1938. Er traf auch einen so abgelegenen Landstrich wie Neustadtgödens und das angrenzende Grashaus mit voller Gewalt. Zu diesem Zeitpunkt vermittelte Robert de Taube auf dem Gut jungen Juden eine landwirtschaftliche Ausbildung (Hachscherah). Ein entsprechendes Zertifikat war notwendig für die angestrebte Auswanderung nach Palästina, denn ansonsten ließ Großbritannien, die Mandatsmacht für Palästina, diese nicht zu. Es gab außer Horsten nur noch wenige Orte im Reich, an denen eine solche Ausbildung überhaupt möglich war, denn jüdische Landwirte waren ohnehin schon immer selten gewesen und zu diesem Zeitpunkt fast nicht mehr vorhanden.
Das Gutshaus des Horster Grashauses im Mai 1971
(© Sammlung Pohl, Lexington, Kentucky)
Gegen ca. 3 Uhr früh am 10. November 1938 erreichte der Aktionsbefehl der übergeordneten SA-Standarte 1 in Emden den zuständigen SA-Sturm 38/1 von Gödens per Telefon. Die Anweisung lautete:
1. Die im Sturmbereich wohnenden Juden sind
sofort festzunehmen.
2. Gelder und Wertsachen, die sie im Besitz haben,
sind sicherzustellen.
3. Falls sich im Sturmbereich eine Synagoge
befindet, ist diese niederzubrennen.8
Die Synagoge von Neustadtgödens wurde nicht zerstört, da sie inzwischen an einen nichtjüdischen Unternehmer verkauft worden war, der plante, hier Wohnungen einzurichten. Ziel der unverzüglich nach dem Zusammentreffen der SA-Leute auf dem Alarmplatz Schulhof beginnenden Ausschreitungen waren die sieben in Neustadtgödens zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Juden und die elf Juden auf dem Horster Grashaus. Mit der Ausnahme der schwerkranken Johanna de Taube, der Ehefrau von Salomon de Taube, wurden sie am frühen Morgen aus dem Schlaf heraus festgenommen und zu einem Sammelpunkt verschleppt.
Auf dem Platz neben der Gastwirtschaft „Stadt Hannover“ mussten sie unter Bewachung zunächst einige Stunden im Freien öffentlich ausharren. Im schräg gegenüberliegenden „Sturmbüro“ der SA, das sich in der „Alten Pastorei“ befand, konfiszierte derweil die SA die Geld- und Wertsachen. Die Opfer wurden einzeln hineingebracht und mussten Bargeld und Wertsachen wie Uhren und Schmuck auf den Tisch legen. Später erfolgten noch Leibesvisitationen. Der Schriftführer des SA-Sturms fertigte in dreifacher Ausfertigung eine Liste an, in der er die Namen der Festgenommenen und die abgezwungenen Werte eintrug. Der Ford-Kraftwagen Robert de Taubes wurde mit 1.115,– RM beziffert.
Zur Pflege ihrer Mutter wurde Käthe de Taube nach Hause entlassen. Die SA führte gegen neun Uhr sechzehn Personen zum „Hotel zur Deutschen Eiche“, das der Synagoge schräg gegenüberlag, und sperrte sie dort in einen Saal. Die anderen jüdischen Frauen - Bertha Cohen und Rosa Stein aus Neustadtgödens sowie Anneliese Meyersohn, Edith Pinkus und Rita Pinkus vom Hoster Grashaus - kamen auf Order der SA-Standarte Emden einige Stunden später frei. Sie durften anschließend nicht ihre von SA-Posten bewachten Häuser verlassen. Das galt auch für die nichtjüdische Ehefrau von Alfred Weinberg, der Erschießung angedroht wurde, als sie aus ihrem Haus trat.
Im Laufe des frühen Nachmittags inspizierten drei höhere NS-Funktionäre die Männer in dem provisorischen Gefängnis, darunter der NSDAP-Kreisleiter und der SA-Sturmbannführer. Sie sollen zur Verschärfung der Situation beigetragen haben. Man bezichtigte Robert de Taube fälschlich des Besitzes von Munition und bedrohte ihn. Über die kommende Nacht wurden die Männer im Saal festgehalten, Decken und Kissen hatten die jüdischen Frauen zu bringen. Verpflegung besorgte der kurzfristig zur Klärung laufender Viehverkäufe unter Bewachung zum Grashaus gebrachte Robert de Taube aus eigenem Besitz.
Donnerstag, 10. November 1938, war ein Werktag. Zivilisten, Schulkinder und Personen, die auf die Omnibusse warteten, hatten direkten Zugang zum unübersehbaren Geschehen. An den Aktionen in Neustadtgödens und auf dem Horster Grashaus waren insgesamt ungefähr 80 SA-Leute beteiligt. Etwa 40 SA-Leute beherrschten zeitweilig die engen Straßen des Orts und kommunizierten auf Zuruf. Im Horster Grashaus, das die SA vollständig okkupiert hatte, wurde geplündert.
Friedrich Cohen, Richard Stein, Salomon de Taube und Alfred Weinberg aus Neustadtgödens sowie Kurt Herz, Helmut Josephs, Jan Lazarus, Rudolf Lion, Kurt Stern, Robert de Taube, Samuel de Taube und Arthur van der Wall vom Horster Grashaus wurden am Morgen des 11. November von der Polizei auf einem Lastwagen, der sonst für Viehtransporte genutzt wurde, zur Reichsbahnstation Sande gebracht. Vor der Schule, an der der LKW vorbeifuhr, sangen unter Anleitung des Lehrers Schulkinder eines der übelsten NS-Lieder: „Wenn´s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s nochmal so gut. Schmeißt sie raus, die ganze Judenbande, schmeißt sie raus aus unserem Vaterlande. Schickt sie nach Jerusalem und schlaget ihnen die Beine ab, sonst kommen sie wieder heim.“ 9
Die Männer mussten auf dem Bahnhof von Sande in einen Zug mit den in Wilhelmshaven festgenommenen Juden, darunter auch Ernst und Kurt de Taube, sowie den Juden aus Wittmund einsteigen. Anschließend transportierte die Polizei alle per Bahn nach Oldenburg. Außer den nicht in die Altersvorgabe passenden Salomon und Samuel de Taube (81 bzw. 83 Jahre) sowie Jan Lazarus und Kurt Herz (14 bzw. 16 Jahre), die in Oldenburg frei kamen, wurden sie von hier zusammen mit den Juden aus Oldenburg Stadt und Land in Eisenbahnwaggons in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin verschleppt.
V. Der Zwangsverkauf des Horster Grashauses
Samuel de Taube fuhr mit geliehenem Geld unverzüglich zusammen mit seinem Bruder Salomon von Oldenburg zum Grashaus zurück. Er schrieb 1942: „Dort hausten noch die SA-Leute, und die Wirtschafterin10 erzählte uns weinend, sie täten, als ob alles ihnen gehörte. Sie hatten alle Schränke aufgerissen und mitgenommen, was ihnen passte. Während ich mit meinem Bruder eine Tasse Tee trank, kam ein Wagen mit vier Herren vorgefahren, von denen einer der Kreisbauernführer war. Ich fragte, was die Herren wünschten, worauf ich angefahren wurde: ‚Was machen Sie denn hier noch? Sie haben hier nichts mehr zu suchen, und wenn Sie nicht gleich machen, dass Sie wegkommen, dann werden wir es Ihnen zeigen!’ Ich sagte: ‚Es ist doch wohl noch mein Gut,’ worauf mir erwidert wurde: ‚Ihnen gehört gar nichts, das ist jetzt alles anders. Wo sind die Bücher?’ - ‚Die sind nicht hier, das Gut habe ich an meine Söhne verpachtet, und die Bücher werden in Wilhelmshaven geführt.’ ‚Morgen früh um 10 Uhr sind die Bücher hier, sonst sollen Sie sehen, was Ihnen passiert!’ Ich fuhr dann mit meinem Bruder nach Wilhelmshaven. Am nächsten Morgen kamen dort ein Gestapobeamter, der Landrat aus Wittmund11