Kalte Duschen, Warmer Regen. Wiglaf Droste

Kalte Duschen, Warmer Regen - Wiglaf Droste


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haben, um dafür abgeurteilt zu werden; die glaubhaft erklärte Absicht ist vollkommen ausreichend für die Anwendung juristischer Mittel und den Entzug jedweder bürgerlichen Rechte. Es gibt mit Nazis nicht das Geringste zu diskutieren; sie sind nicht verführt oder verblendet, sie sind Nazis aus Neigung, irreparabler Schädigung, Niedrigkeit, Gehässigkeit, sadistischer Freude, und sie sind es aus der Jauchegrube ihres »Ich« sich nennenden Niemandslands von Herzen gerne.

      Mit der Aufbewahrung in einem Archipel Gulasch – verpflegt mit dem Giftfleisch, dessen Verzehr sie innerlich wie äußerlich prägt – wären sie noch geradezu übermenschlich freundlich bedient. Eine Abschiebung in den Islamischen Staat wäre schon angemessener und käme natürlich auch finanziell günstiger.

       Bin ich ein Russenliebchen?

      »Auch der Hass gegen die Niedrigkeit / verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser«, heißt es in Bertold Brechts großem Gedicht »An die Nachgeborenen«. Das stimmt, man kann es sehen und hören. Bei manchen Lesern vollzieht sich der Prozess der Hässlichwerdung bei oder direkt nach der Lektüre einer Spiegel online-Kolumne von Jan Fleischhauer, der den deutschen Ableger von Roger Koeppel gibt, seitdem er entdeckte, wieviel Konjunkturpotential im Gejammer über ein links angehauchtes, grün-alternatives Elternhaus steckt, über ein Milieu, das zwischen Petra Kelly, Antje Vollmer und Boris Palmer changiert, zwischen Sekte, Kirchentag bis zur schnödesten Rechtsranschmeiße also, das Kritik und Spott deshalb vollrohr verdient hat, allerdings nicht zum einzigen Topos eines gedeihlichen Berufslebens taugt und fruchtet.

      Man muss den Nachgeborenen Jan Fleischhauer nicht groß ernst nehmen; er schrübe, so man’s ihm entsprechend vergütete, auch das Gegenteil oder sonst irgendetwas, und wer sich über ihn erregt, arbeitet ihm zu und tut ihm einen Gefallen. So verhält es sich nun einmal in den journalistischen Wurf- und Boxbuden, das ist nur das übliche Geschäftsgebaren.

      Wenn Fleischhauer sich seine Vortäuschung von Abscheu allerdings selber zu glauben beginnt, auf die eigene Propaganda hereinfällt und sie dann dem Gesetz des Effektgewinns folgend steigern muss, läuft ihm der Quark vollends aus dem Ruder, und er wird vom leicht vorhersehbaren, verlässlich plumpen Polemiker zum Bauchredner schierer Gemeinheit. In seiner Kolumne »Flüchtlinge als Waffe« schrieb Fleischhauer im Februar 2016: »Unsere Schwäche ist das Mitgefühl. Wenn wir das Bild eines Kindes sehen, das tot an einen Strand bei Bodrum liegt, lässt es uns nicht kalt, sondern weckt den Wunsch, das Elend zu lindern. Dass Deutschland seine Grenzen für Menschen in Not geöffnet hat, verdankt sich keinem Kalkül, sondern einem nationalen Akt der Hilfsbereitschaft.«

      Statt den Vollzug »nationaler Akte« für die zu diesen Zwecken angelegte und vorgesehene rektale Körperöffnung zu reservieren, fährt Fleischhauer fort: »Wer sich allein von Nützlichkeitserwägungen leiten lässt, ist dagegen zunächst im Vorteil. Er ist nicht erpressbar, egal wie groß der Schrecken ist. Wenn die Herren im Kreml sich um das Schicksal eines Kindes sorgen, dann um das eines 13-jährigen Mädchens in Berlin-Marzahn, das man für die Propaganda einspannen kann, weil es so herrliche Schauergeschichten über die Muslime erzählt, die Frau Merkel nach Europa lässt. Zeigen Putin und seine Leute ausnahmsweise Gefühlsregungen, dann sind diese fast immer infantil: Es geht bei ihnen stets um Kränkung und Zorn wegen mangelnder Beachtung, nie um Empathie und Nachsicht.«

      So fleischhauert sich das zusammen: Deutsche fühlen menschlich, Russen tun nur so. Beim Thema Putin läuft Fleischhauer der Gratismut im Mund zu Schaum zusammen: »Man kann sich mit Diktatorenliebe anstecken wie mit einer Krankheit. Wenn in Talkshows über die ›strategischen Interessen‹ der Russen so geredet wird, als gäbe es ein Naturrecht, sich in anderen Ländern den Weg freizubomben, ist das mehr als bizarr. Bei Peter Scholl-La­tour hatte die erfahrungsgesättigte Ruchlosigkeit, mit der er die notorischen Schwafler und Schönredner auflaufen ließ, noch einen gewissen Charme. Bei jemandem wie Gabriele Krone-Schmalz, deren Auslandserfahrung sich auf vier Jahre im Moskauer ARD-Studio beschränkt, bleibt schon nach den ersten Sätzen von der Coolness des Weltreporters nur die Kaltherzigkeit der Kreml-Mam­sell.«

      So kommt ein neuer Beruf in die Welt: »Kreml-Mam­sell«; frühere Propagandaexperten sprachen direkt von »Russenliebchen«. Bei Fleischhauer endet das so: »Wer die Menschen in Syrien erst aus ihren Häusern bombt, damit sie sich nach Norden aufmachen, und dann dort die rechtsradikalen Kräfte unterstützt, die gegen eine Aufnahme Stimmung machen, ist jedenfalls kein Freund Europas und noch weniger ein Freund der Deutschen. In anderen Zeiten hätte man ihn einen Feind genannt.«

      Ich bin kein »Freund der Deutschen«; weder weiß ich, wer oder was das sein sollte, noch halte ich es für ein Pflichtfach. Dass mich die nicht durch Ressentiment, sondern durch Erfahrung erworbene Skepsis Landsleuten (wie zum Beispiel Jan Fleischhauer) gegenüber zu einem Verehrer des Kaffeewürzmischers Wladimir Putin mach­te, wäre mir neu. Fleischhauers Freund-Feind-Rhetorik dünstet dieselbe trübe »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!«-Scheu- und Großklappigkeit aus, die er dem Milieu, in dem er groß wurde, nicht zu Unrecht vorhält. Die Vergangenheit holt eben alle ein, und am ehesten diejenigen, die sich ihr nicht präzise stellen, sondern sie entweder zwanghaft verherrlichen oder aber dämonisieren müssen und damit die Gegenwart verhässlichen, für sich und für andere.

       Phantom in braun

      In Banden-Württemberg sind seit März 2016 wieder Rechtsradikale im Landtag vertreten. Ist Hans Filbinger wieder auferstanden? Nein, die AfD kann das gut ganz alleine, dass sogar die erfolglose Konkurrenz von der NPD über die finalen Grenzschutz-Schuss-Erwägungen respektive Abknallphantasien, mit denen die AfD anschließend dann aber gar nichts zu tun gehabt haben wollte, an der AfD herummaulte. Kurz vor der Landtagswahl bekamen die Traditionsnazis eine derartige Panikattacke, dass sie sich von der AfD distanzierten, die zwar den rechten Rand nicht halten, ihn aber dominieren kann. So kalt waren die Käsemauken der NPDisten, dass sie quasi on the rocks herumstiefeln mussten. »Konsequent abschieben« lautet eine ihrer Parolen; wer aber will sie haben und aufnehmen? Wenn die Selbstausschaffung der NPD allerdings gelänge – vielleicht klappt es ja in Sibirien? –, dann bitte die AfD nicht vergessen, sondern mit in den Gepäckraum werfen. Eine kleine Bitte ans Bodenpersonal erlaube ich mir zu äußern: Don’t handle with care.

      Rechtsradikale Volksvertreter? Als Schuhabtreter oder Schuhcremevertreter für Erdal braun wären sie mir lieber, aber sie werden ja gewählt. Auf die Frage warum, weiß ich außer der anthropologischen Konstante Niedertracht und frei flottierenden »Denen zeig’ ich’s!«-Phantasien keine Antwort. Es wird der oder die Rechtsradikale nicht ernsthaft gesellschaftlich geächtet, sondern es wird im Gegenteil die Meinungsfreiheit, die Rechtsradikale außer für sich selbst und ihresgleichen keinen Deut interessiert, zu ihren Gunsten ausgeleiert, bis sie schlapp, am Boden und leicht zu kassieren ist. Es wäre nicht das erste Mal.

      Demokraten sind gegenüber Nichtdemokraten im strategischen Nachteil, sich an demokratische Gepflogenheiten zu halten und ihren Maßgaben entsprechend zu handeln. Für das in Phantasialand stattfindende Ausleben archaischer Tagträume – auf eigene Faust, oder, wie bei Til Schweiger, auf eigene Panzerfaust, »aufzuräumen«, endlich mal »den ganzen Dreck wegzumachen«, das einengende juristische Regelwerk zu durchbrechen, das demokratische Korsett abzustreifen und atavistische Weltvorstellungen als »Recht und Ordnung« zu deklarieren –, sind entsprechende Filme im Kino, im TV und im Computer überreichlich vorhanden.

      Gewählt aber wird in der sogenannten wirklichen Wirklichkeit, und das kann sehr konkrete Folgen nach sich ziehen: Eine demokratisch legitimierte Minderheit lässt die Mehrheit nach ihrer Pfeife keinen Schieber, sondern einen Abschieber nach dem anderen tanzen. Die »etabliert« genannten Parteien – früher in LTI-Sprache: »Systemparteien« genannt, machen es den Rechtsradikalen leicht: Sie übernehmen entweder in weiten Teilen die Forderungen der Rechtsradikalen oder sind durch Lobbyismus und andere Formen der Korruptheit alles andere als taugliche Werbemittel oder Testimonials für demokratisch verfasste Verhältnisse. Mit Phantomdemokraten lässt sich kein de­mokratischer Staat machen.

       Phantomhelden im Zoo

      Immer wieder erstaunlich


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