Kalte Duschen, Warmer Regen. Wiglaf Droste

Kalte Duschen, Warmer Regen - Wiglaf Droste


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Blamagen, in die sie sich und jede nennenswerte Berufsauffassung tunken, sind selbstverständlich nicht ihrer anerzogenen oder beruflich erworbenen Feigheit ge­schuldet, sondern dem Gebot der Abbildung von Vielfalt sowie den Verhältnissen, die man nicht verändern, sondern nur moderieren will. Dieses höchst einfältige Medienpersonal hat seine unegalen Pranken ausschließlich zu dem Zweck, fortwährend zu erklären, sie seien ihnen ge­bunden. So – und ausschließlich so – ist die AfD/Pegi­da-Kampfvokabel von der »Lügenpresse« zutreffend: Es handelt sich um Brown-Nosing-Journalismus.

       Von Genese bis Langnese

      Ist die Welt nicht furchtbar langweilig, weil sie einem die immergleiche hässliche, mörderische, gemeine und abstoßende Visage zeigt? Man kann das so sehen, und nicht wenige hoffnungsvolle junge Männer fielen oder fallen der Schwermut anheim, manche auch der Schwerwut, der Verzweiflung, der Trunksucht – letzteres nicht deshalb, weil es sich bei ihnen um sogenannte »Feierbiester« handelte, sondern, im Gegenteil, um sehr ernsthafte Existenzen.

      Aber ist diese Sicht auf die Welt hilfreich und klug? Es will mir nicht so scheinen. Der Teil der Menschheit, für den ein Tag nur dann ein guter Tag war, wenn jemand anderes getäuscht, ausgeplündert und dreist betrogen wurde, ist zweifelsohne existent, und der Eindruck, er vergrößere sich und verbreite sich aggressiv metastasenhaft, kann leicht entstehen. Wenn jemandem beim Anblick von Flüchtlingen nichts anderes einfällt, als reflexhaft »Weg hier! Raus mit euch! Verschwindet! Packt euch!« zu krakeelen und gegebenenfalls ein Pogrom anzuzetteln oder individuell kräftig Hand anzulegen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, bekommt das Wort Notschlachtung einen verführerischen Klang.

      Doch soll man sich seinem Feind – das Wort »Gegner« ist hier fehl am Platz – nicht gemein machen, schon gar nicht in der Wahl seiner Grunzsprache und sonstiger Mittel. Wer Flüchtlinge in lebensgefährdende Situationen, denen sie gerade mühevoll entronnen sind, zurückjagen will, macht sich der versuchten oder vollzogenen Beihilfe zum Mord schuldig und gehört dafür verurteilt und eingesperrt. Verbale Mordbrennerei ist durch das kostbare Gut der Meinungsfreiheit nicht gedeckt.

      Dazu kommt, dass die Grölmobber und ihre Anzug tragenden Vorturner gar nicht wissen, was eine Meinung ist; sie lügen bereits, wenn sie das Wort »Ich« nur aussprechen, aber auch das wissen sie selbstverständlich nicht, sonst wären sie ja andere, aber sie haben ja weder von Adorno noch von Rimbaud je gehört. Nennenswerter Gedankengang ist bei ihnen nicht einmal unter dem Mikroskop feststellbar, und wenn die Mischung aus Niedertracht, Dummheit, Gemeinheit und Feigheit einen mangels Masse erfolgenden Hirntod nach sich zöge, hätten die Friedhofsgärtner im Land hunderttausendfach die Hände voll zu tun.

      So simpel aber ist es nicht; auch Hundekothaufen sind Teil des Universums. Das ist mitunter maßlos deprimierend; langweilig ist es nicht. Langeweile entsteht durch mediale Vermatschung und Breittretung, gepaart mit Zer­streuung. Wenn die zurecht verneutrummt »Bevölkerung« genannten Massen, die diese Welt tatsächlich weit über Gebühr mit sich bevölkern, vor der Idiotenlaterne sitzen, sich Cas­tingshows aller Art gefallen lassen, sich auch die Werbeblöcke nicht entgehen lassen, mit dieser Information im Rücken eine Meinung zu Flüchtlingen haben und den ganzen Salat dann noch digital kommentieren, ist die Genese zur geistigen Langnese vollzogen.

      Bevor ich mich einer Depression ergebe, will ich doch lieber fröhlich in Ärsche treten. Erstaunlich, wie viele Gesäße dem gleichen, das ganz unzutreffend »menschliches Antlitz« genannt wird.

       Kinder-Schokolade ... macht den Pimmel grade!

       Wie unfruchtbar kotige Braune gegen süßes Braunes stänkern

      Ja ja, man weiß es: »Kinder-Schokolade« ist ganz schlimm, Zahnärzte geben sie ihren Kindern, damit sie nach Feierabend noch was zu bohren haben. Und Ferrero vulgo Nestlé ist ein übler, global verheerend wirkungsmächtiger Lebensmittelschurke, dem man das Handwerk legen muss. Und Fußball ist nichts als Kommerz. Ja, das stimmt alles, aber Kindern jeden Alters ist es manchmal trotzdem egal. Die wollen dann ihren »Kinder-Riegel«, auch wenn sie klug genug sind zu wissen, was sie sich da in den Kopf stecken. Zwar achten sie auf gute und gesunde Ernährung, aber Ausnahmen müssen unbedingt sein, Prinzipienreiterei hält doch keine Sau aus. Und mit Leuten, die protestantisch »konsequent!« sind, ist nicht gut Kirschen essen, weder solche aus dem eigenen Garten, vom Markt, vom Biohof und schon gar nicht »Mon Chéri« genannte, womit wir wieder bei Ferrero sind.

      Die Süßkrämer von Ferrero verkauften zur Fußball-EM 2016 eine »Sonderedition« ihrer Schoko-Riegel, auf deren Verpackungen Kinderfotos deutscher Nationalspieler zu sehen waren, zum Beispiel von Mario Götze, der so aussah, als hätte er sein Lebkuchentag nie etwas anderes ge­futtert, von André Schürrle, dessen langweiliges Aggressions-Ego nicht einmal mit einer Tonne Lollolade befriedigt werden könnte, von Ilkay Gündogan und von Jérôme Boateng. Man kann Werbeständerei egal wofür doof oder stil- und haltungslos finden, man kann auch, wenn man sonst gerade nichts zu tun hat, über »Kinder-Schokolade« und ihren Verzehr durch die erweiterte Zielgruppe die Hände ringen, aber zwei Dinge tut man nicht ungestraft: einem gut gewachsenen, süßen Herforder Bienenkind seinen Schoko-Riegel verweigern und eine italienische Zuckersüßigkeit deutschnational denunzieren.

      »Pegida BW – Bodensee« zeigt via Facebook = Fressenkladde ein Foto von zwei Schokolade-Schachteln, auf denen Gündogan und Boateng zu sehen sind. »Vor Nichts wird Halt gemacht«, ächzt es aus der braunen Dummlumpenhölle, und die Pedigaisten versuchen es auch erbärmlich schlapp mit dem, was sie für »Humor« halten und fragen scheinheilig: »Gibt’s die echt so zu kaufen? Oder ist das ein Scherz?«

      Für Ferrero ist die kotbraune Attacke ein gefundenes Fressen, um das Verticken der schokobraunen Schore in Kindergärten und auf Schulhöfen in ein antirassistisch aufschimmerndes Licht zu tauchen: »Wir von Ferrero möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich von jeglicher Form von Fremdenfeindlichkeit oder Diskriminierung dis­tanzieren. Wir akzeptieren und tolerieren diese auch nicht in unseren Facebook-Communities. Viele Grüße, dein Kinder-Schokolade-Team«, erklärte die PR-Anduz-Abteilung von Ferrero.

      Es ist eben alles Kommerz, sogar der prognostizierbare Zahnschmerz. Aber manchmal muss es eben genau das sein. Auf den gekrähten Kinderreim »Kinder-Schokolade / macht den Pimmel grade« möchte ich nicht verzichten müssen, und wenn es schon etwas mit »a« sein muss, dann lieber Viagra als Pegida.

       Weichensteller

      »Nur über meine Weiche!«, erklärt der Sozialdemokrat mutig und entschieden, und dann stellt er brav und wie ihm geheißen, die Weiche, damit der Zug auch ja pünktlich abfährt, egal in welche Richtung und wen er wohin abtransportiert oder deportiert, aber der Gang der Dinge ist nun einmal der Gang der Dinge und hat oberste Priorität.

       Lieblingsklarversprecher

      Großes Vergnügen bereitet es mir, jemanden im Brust­ton der Empörung wettern zu hören, die Deutschen folgten der Regel »Wes’ Lied ich ess’, des’ Brot ich sing’«. Die Folge ist häufig allzu billiges Grinsen und Gelächter der Zuhörerschaft: »Wes’ Lied ich ess’, hahahahaha...!«

      Dabei stimmt doch alles an diesem Satz; das akustische Knäckebrot, das aus dem Radio herausbröselt, ist für das menschliche Ohr und die innen angrenzenden Organe hoch gefährlich, der Tod durch Langeweile oder sprachästhetischen Ekel ist stets in greifbarer Nähe. Was als sogenanntes »Brot« vermarktet wird, ist für den Verzehr ungeeignet; wenn man es schon nicht essen kann, bleibt nur der Versuch, es zu singen: »Wes’ Lied ich ess’, des’ Brot ich sing’.«

      Deutschland schmeckt nicht (oder allenfalls nutellabraun), es klingt nicht, es swingt nicht, es groovt nicht – es marschiert. Und zwar immer dem hinterher, der schlechte Musik und nicht minder schäbiges Brot verspricht und dieses fade Versprechen auch einlösen wird, sofern man ihn nicht daran hindert.

       Nie mehr Frieden mit Xavier


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