Tales of Beatnik Glory, Band III (Deutsche Edition). Ed Sanders
einzig Negative, was Sam an diesem ganzen Nachmittag hörte, war die neidische Mary Meth, die Annie zusah, wie sie eilig in den Park lief, wo ihr Freund Suncatch wartete, und fragte: »Was ist hier wohl Slum, und was die Göttin?«
Sechzehn Dichter schlenderten vorbei, und nicht einer von ihnen schien sich um die Karriere Sorgen zu machen, und mindestens drei Stunden lang hatte keiner das Werk eines anderen Dichters runtergemacht! Gut die Hälfte von ihnen blieb stehen und bat Sam, sich Gedichte anzusehen, die sie gerade getippt hatten.
Seine Freundin Linda Quintano setzte sich kurz zu ihm, voll Begeisterung und wildem Elan. Sie hatte einen Subventionsantrag für die Bürokraten von Johnsons Great Society zugunsten der Tagesbetreuungsstätte auf der Avenue B hingekriegt. Sie war voller Zuversicht, dass sie damit auch etwas erreichen würde.
Es wurden spontane Geschenke verteilt, so an jenem Nachmittag, als — fünfundzwanzig Jahre vor dem Eisenhans und den trommelnden Männergruppen — eine Gruppe von Männern als »Überwinde den Geiz«-Unterausschuss der Vereinigung psychedelischer Händler vom Tompkins Square, die Straße entlangmarschierte und Dollarscheine verteilte als Versuch, die Auswirkungen exzessiver Geldgier zu lindern, welche die psychedelische Psyche zerstörte.
Baldy Dom, der Kredithai, gerade aus dem Gefängnis entlassen, bot vor einem leerstehenden Geschäft alle Arten von zweifelhaften Wucher- und Grundstücksgeschäften an, nur ein Stück entfernt von der Stelle, wo Sam Thomas auf den Stufen der Total Assault Cantina saß. Heute ließ Baldy Dom den Dingen einfach ihren Lauf, rückte den ganzen Nachmittag lang niemandem auf die Pelle und lehnte sich in einem Thonet-Sessel gegen die Ziegelmauer des Gebäudes, sodass die Frühlingssonne sein blasses Gefängnisgesicht anstrahlen konnte.
Eltern kamen vorbei, die ihre Söhne und Töchter in ihren Pennbuden besuchen gingen, und Sam konnte an ihrem selbstsicheren, entspannten Gang erkennen, dass sie gewillt waren, über unerlaubt langes Haar ebenso hinwegzusehen wie über Miniröcke, die nicht breiter waren als ein Gürtel, über Wasserpfeifen, dreckiges Gebäck, vernachlässigte Berufslaufbahnen, fehlende Möbel, revolutionäre Poster, seltsame Schlafsäcke und Hinweise auf Rauschgift.
In der Elften Straße gingen Polizisten zu einer Tür hoch, um eine dieser Pennbuden auszuheben. Sie hörten Gelächter und Jazz von gegenüber und beschlossen, es bleiben zu lassen.
Leute schauten hoch und winkten dem Celestial Freakbeam Orchestra zu, dessen Mitglieder gerade wie aufgereiht am Rand des Daches standen und auf die Avenue hinunterschauten, während aus den Trompeten und Zugposaunen eine volle und fröhliche Melodie kam, als würden Wimpel gegen ein Partyzelt knattern. Irgendwie fing, während die Bläser ihre heisere Botschaft verkündeten, etwas an, das eines der legendärsten Ereignisse des Jahres 1967 werden sollte: das Spontaneous Ballet of Avenue A.
Eigentlich gab der Postbote den Anstoß für das Spontaneous Ballet of Avenue A, als er auf dem Gehsteig einen Stepptanz hinlegte, während er die Post für den Schönheitssalon aus seiner Tasche zog. Er überreichte sie dessen Inhaberin tanzend.
Die Inhaberin sprühte zufälligerweise selbst ebenfalls gerade vor Freude, weil ihr Freund ihr am Telefon gerade von seiner Arbeitsstelle aus einen Heiratsantrag gemacht hatte! Und dann war aus dem Labor der Anruf gekommen, dass sie schwanger war!
Sie stand auf den Stufen zu ihrem Geschäft und tanzte mit ihrer frisch zurechtgemachten Lockenpracht, die im tollen Sonnenlicht wie die Hieroglyphe einer Sonne aus dem alten Ägypten vibrierte. Sam wünschte, er hätte seine Kamera mitgenommen.
Ohne Verzug breitete sich das Spontaneous Ballet aus. Leute fingen an, auf die Straßen herauszutänzeln und herumzuzucken, sie drehten sich und wirbelten im Kreis, während sie bei Grün die Fahrbahn überquerten, rissen die Arme hoch, hüpften im Stand, und die Hörner, Tubas und Basstrommeln des Celestial Freakbeam Orchestra erteilten ihrem Tanz den Segen.
Der Typ von der Pizzabude an der Ecke Elfte Straße und Avenue A trat ins Freie und muss den Weltrekord im Hochschleudern von Pizzateig aufgestellt haben. Er bückte sich bis zum Boden, schleuderte dann die rotierende Scheibe wie ein von einer Feder hochschnellendes Katapult in den Himmel. Sams staunende Augen folgten ihm nach oben, oben — mindestens dreieinhalb Stockwerke hoch — während der Pizzamann zweimal herumwirbelte, bevor er dann im richtigen Moment danach griff, um wieder hineinzulaufen und Tomatenmark über den Teig zu löffeln, ihn mit Käse und Gewürzen zu bestreuen und in den Ofen zu feuern.
Auf der anderen Straßenseite stellte sich eine Gruppe von Müttern mit Kinderwagen schön in einer Reihe nebeneinander auf und ließ sie zunächst in die eine und dann in die andere Richtung im Rhythmus dahinflitzen, während sie den Jungmüttertanz vorführten.
Dora the Diver kümmerte sich um die Mülltonnen der Avenue A. Auch sie begann eine langsame, kreisende Sarabande um den Drahtkorb an der Ecke hinzulegen, wobei sie mit genau abgestimmten Bewegungen die Hände und Arme einmal eintauchte und dann wieder herauszog.
Der Polizeiwagen, dessen Besatzung sich gerade entschieden hatte, die Tür der erwähnten Pennbude nicht aufzubrechen, hielt in der Mitte der Avenue an, und schon tanzten die Polizisten heraus und umkreisten das Fahrzeug — Sam zählte mit — fünfmal, dann stiegen sie wieder ein und fuhren in Richtung Vierzehnte davon, aber erst, nachdem Indian Annie ihre Antenne mit einer Blumengirlande geschmückt hatte.
Es gab aber auch feiner abgestimmte Momente beim Spontaneous Ballet of Avenue A. So schaltete zum Beispiel der Typ, der die Nähmaschinenreparaturwerkstätte gegenüber betrieb, alle Maschinen in seinem Laden ein und stellte dabei das Tempo so ein, dass die Nadel eines der ersten elektrisch betriebenen Modelle im Fenster sich in einer Art und Weise auf und ab bewegte, dass die Abwärtsbewegung zu Sams Freude den Rhythmus des Celestial Freakbeam Orchestra aufnahm!
Der als der Hippiekapitalist bekannte Mann kam aus seiner Zentrale heraus und begann im Stand zu joggen, wobei er eine Peyote-Kürbisrassel schüttelte, während siebzehn Konzepte für Weltraumzweigstellen psychedelischer Unternehmen ihm durch den Kopf gingen. Eine nach der anderen hauten ihn die Ideen förmlich um: ein nationales Netzwerk von Ballfotografen, die die Aura von Mädchen in miedergesprenkelten Roben und Kerlen im Smoking festhalten sollten. Wow! Aufblasbare Übernachtungskuppeln für die Dächer! Wow! Eisenbetonboote, von psychedelischen Künstlern verziert! Ewigkeit! Schuhabsatzverstecke für Marihuana! Gewaltig! Lachgas-Heißluftballonfahrten! Weiter!
Eine Frau kam in einem dunkelroten Mantel an Sam vorbei und zuckte mit den Schultern zum Rhythmus der Band, überglücklich, dass sie das Geld für die Miete zusammengekratzt hatte! Vor ihren Augen tanzte ein anderer die Straße entlang, dessen Buch gerade von einem Verlag angenommen worden war!
Dann sprang eine Studentin von einem Stadtbus und sprintete in der Mitte der breiten Avenue dahin, wobei ihre Sandalen flock! flock! flock! machten, als sie auf den Asphalt schlugen. »Ich hab’ ein Ausgezeichnet! Ich hab’ ein Ausgezeichnet!« rufend schwenkte sie ihren Aufsatz »Der existentielle Reiz des Perlenauffädelns« für die philosophische Fakultät der New York University triumphierend über ihrem Kopf.
Drei Soldaten in nagelneuen Glockenhosen und mit Perlenschmuck sahen, wie ringsum alles tanzte, und sie vollführten eine Art Tanz der Verstohlenheit, während sie ihre Uniformen heimlich da und dort in Mülltonnen steckten. Sie hatten in Indian Annies Kommune übernachtet und wollten nun nach Kanada und Schweden, um zu warten, bis der Krieg vorüber war.
In diesem Moment torkelte der unter dem Namen Snarl bekannte Barde aus dem Park heraus, in einem Leninistischen Taumel der durch Speed verstärkten Selbstbezogenheit, bei dem auf zwei Schritte vor einer zurück folgte. Er hielt Dylans Gitarre auf einem schmutzigen gestreiften Polster wie eine Reliquie vor sich. »Da«, sagte er, »gib das eurem kleinen Jungen vom Klan. Groovy meinte, er würde mich in den Arsch treten, wenn ich sie nicht zurückgeben sollte. Beachte bitte, dass ich sie künstlerisch verschönert habe.« Er zeigte mit einem Finger, der aussah, als wäre er mit Kirschenmarmelade eingeschmiert worden, auf das Wort OM neben dem Schallloch, dessen Buchstaben aus kleinen aufgeklebten Methedrin-Tabletten bestanden.
Als das wunderbare Licht langsam schwächer wurde, bemerkte Sam eine sich ununterbrochen