Gaias Vermächtnis. Hans-Rudolf Zulliger
sondern auch an die Wirbeltiere, von denen wir abstammen. Insbesondere haben auch frühere, einfache Lebewesen durch ihre Innovationskraft komplexe Lebensformen überhaupt ermöglicht.« [→ Tafel 1 der Ausstellung; → Abb. der Ausstellung]
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Wir wissen so viel … und doch wissen wir so wenig: »Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen auf möglichst genauen Beobachtungen. Heute glaubt man, die Erde könnte genau genommen 4,543 Milliarden Jahre alt sein, doch diese Nuancen stehen hier nicht zur Diskussion, denn uns ist bewusst, dass alle Beobachtungen immer mit Fehlern behaftet sind und uns nie die absolute Wirklichkeit erfahren lassen. So war zum Beispiel 1997 das Alter des Universums in der ersten Ausstellungsversion mit 15 Milliarden Jahren angegeben. Bei unserer letzten Revision 2009 waren die Forscher sicher, dass es 13,7 Milliarden Jahre sind. 2015 gab es dann eine Korrektur aufgrund der entdeckten dunklen Materie im All, und die Zahl wurde auf 13,86 ± 0,037 Milliarden Jahre angepasst. Für den Text in dieser Ausstellung haben wir uns vorsichtshalber auf ›knapp 14 Milliarden Jahre‹ geeinigt und lassen uns nicht durch allzu genaue Zahlen verführen. Mit der kürzlich publizierten Erkenntnis, dass die Neutrinos nun doch eine kleine Masse haben, sind wiederum leicht korrigierte Zahlen zu erwarten. Die genaue Zahl mag für Wissenschaftler relevant sein, doch für unsere Betrachtungen genügt es zu wissen, dass seit dem Urknall unvorstellbar viel Zeit verstrichen ist. Um sich diese großen Zeiträume besser vorstellen zu können, sind die Tafeln der Ausstellung proportional zur abgelaufenen Zeit aufgestellt. Das physische Abschreiten durch alle Entwicklungsepochen lässt den Besucher ein Gefühl für diese großen Zeiträume erfahren.« [→ Tafel 2 der Ausstellung]
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Als Wesen mit einem geschulten Vorstellungsvermögen und unserem inhärenten Wissensdurst können wir den ganzen Planeten und das umschließende Weltall erfassen, wenn auch nur rudimentär. Durch bahnbrechende Fortschritte der Wissenschaften und neue Technologien in der Messtechnik (angetrieben von Erkenntnissen in der Forschung), erlauben uns diese Werkzeuge eine neue Sicht der Erde. Teleskope mit hoher Auflösung und Empfindlichkeit über einen großen Wellenlängenbereich, von Gammastrahlen, Röntgenstrahlen, Radiowellen, Licht und Infrarotquellen lassen uns tief in das Weltall eindringen. Satellitengestützte Computertechnologien verschaffen uns neues Wissen über die dynamische Wechselwirkung des Lebens. Mikroskope machen die kleinsten Strukturen von Molekülen sichtbar und lassen uns den Mikrokosmos der Lebewesen erforschen. Dabei stoßen wir auf wundersame Kunstwerke der Natur. Diese Mikroorganismen sind emsig damit beschäftigt, Leben auf der Erde zu erhalten. Ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird [→ Tafel 3 der Ausstellung].
Erst vor 600 Millionen Jahren (der Besucher legt bis dahin 840 Meter oder umgerechnet 3,8 Milliarden Jahre von den gesamten 1000 Metern zurück) entstanden kleinste Meerestiere, wie zum Beispiel die winzigen Rädertierchen. Erst im Paläozoikum, 540 bis 245 Millionen Jahre vor unserer Zeit, wagten Algen und später Tiere den großen und gefährlichen Sprung vom Wasser aufs Festland; dies ungefähr eine Milliarde Jahre, nachdem einige Bakterien das Land kolonisiert hatten. Während Pflanzen und Pilze ihr Debüt auf dem Land gaben, veränderte sich die Erde: Kontinente rückten zusammen, brachen auseinander und fügten sich neu zusammen.
Einen Höhepunkt der Ausstellung stellen die Dinosaurier und ihr spektakuläres Verschwinden dar: Ein Massenaussterben setzte ihrem Dasein ein jähes Ende. Man nimmt an, dass vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid mit einem Durchmesser von zehn Kilometern in die Halbinsel von Yukatan eingeschlagen hat. Schockwellen erschütterten in der Folge die ganze Erde. Schutt flog hoch in die Atmosphäre und regnete mit sengender Hitze hinab. Schließlich blockierten Staubschichten und Aerosol das Sonnenlicht, und die Temperatur sank dramatisch. Nachfolgende Vulkanausbrüche spien giftige Gase und Asche in die Atmosphäre. Alle Tiere über einem Gewicht von 25 Kilogramm verschwinden, darunter auch die Dinosaurier. Ungefähr 85% aller Meeresprotoktisten und Meerestiere gehen zugrunde. Es brauchte weitere 20 Millionen Jahre, bis die Vielfalt der Lebensformen wiederhergestellt ist.
Unser direkter Vorfahre, der Homo sapiens, erschien erst vor etwa 200 000 Jahren. Die etymologische Untersuchung des Wortes sapiens verweist auf einen verstehenden, verständigen bzw. weisen, gescheiten, klugen und vernünftigen Menschen. In der Ausstellung nimmt er auf den letzten fünf Zentimetern des Pfades einen sehr bescheidenen Platz ein.
So weit zur Ausstellung, die mich auch für das vorliegende Buch inspirierte.
Gedanken und Einsichten
Unter Evolution, konkret: biologischer Evolution, versteht man die kontinuierliche Entwicklung von vererbbaren Merkmalen einer Population von Lebewesen über einen längeren Zeitraum. Evolution von Leben ist eine Geschichte von Dauerhaftigkeit und gleichzeitig von Wandel. Leben ist überschwänglich, innovativ, aber auch zutiefst konservativ. Die Entwicklung ist dynamisch, nicht linear und voll von Versuch und Irrtum. Natürlich sind gewisse Organismen spezialisierter oder komplizierter als andere – alle teilen jedoch die gleich lange Entwicklungsgeschichte. Das Studium dieser Reise durch die Zeit ist voller Wunder und Fragen über Sinn und Zweck. Wie konnte sich dies alles entwickeln? Wie entwickelten sich Intelligenz und Schönheit dieses unglaublichen Geschehens? Wir staunen, wir sind innerlich bewegt, demütig und überwältigt. Manchmal sind wir auch erheitert von diesem wundersam komplexen Werk, das sich auch ohne unser Dazutun immer weiterentwickelt, gesteuert von unsichtbaren und scheinbar magischen Kräften.
Als Physiker habe ich gelernt, dass wir nicht wissen, was vor dem Urknall vor knapp 14 Milliarden Jahren war. Zeit und Raum haben erst mit diesem monströsen und unvorstellbaren »Vorfall« begonnen zu existieren. Die Wissenschaft hat keine Erklärung dafür, woher unser Weltall mit einer Ausdehnung von etwa 1024 km, in dem sich Milliarden von Galaxien befinden und in denen sich jeweils Milliarden von Sternen tummeln, kommt. Gibt das Ganze einen Sinn oder hat es überhaupt einen Zweck? Mich als Erdenbürger erfüllt dieses Nichtwissen mit Bescheidenheit, und ich verbeuge mich in Hochachtung vor der Kraft und Energie des »Wesens«, dem wir das zu verdanken haben. Ich gebe mich geschlagen vor der Intelligenz der Naturgesetze, die unser Leben hervorgebracht haben, und gestehe: »Ich weiß nicht, wie das alles entstehen konnte! Und ich werde es auch nie wissen.« Doch bin ich ein Lebewesen, das die Wahrheit nicht nur in naturwissenschaftlichen Gesetzen sucht. Es gibt sehr wohl Erfahrungen und eine innere Gewissheit, dass alles mit allem verbunden ist. Diese Überzeugung beruhigt mich, da ich sie nicht mehr beweisen muss. Sie gibt mir die Gelassenheit und Ruhe, mich vom Universum getragen zu fühlen; ich bin überzeugt, dass die Schöpfung im Allgemeinen dem Leben gegenüber wohlgesonnen ist.
Ich fühle mich privilegiert, zu der Spezies zu gehören, die einen Geist zum Nachdenken hat und die Schönheit der Schöpfung als Ganzes erleben kann. Das Schicksal lässt mich in einem außerordentlich friedlichen und wohlhabenden Land wohnen. Mit großzügiger Unterstützung von vielen mir wohlgesonnenen Helfern hatte ich die Chance auf eine gute Ausbildung. Dazu habe ich das große Glück, eine außergewöhnliche Frau geheiratet zu haben und zwei liebevolle Kinder mit aktuell vier reizenden Enkelkindern im näheren Umkreis zu wissen.
Habe ich das alles verdient? Natürlich nicht, es ist eine Gabe der Schöpfung. Daraus entstand in mir eine tiefe Dankbarkeit und eine Berufung, mich für eine nachhaltige Entwicklung, auch für zukünftige Generationen, einzusetzen. Mit Urvertrauen versuche ich, Nachhaltigkeit tatkräftig zu leben und zu unterstützen.
Die folgenden Schilderungen unserer Reise hin zu einem nachhaltigen Lebensstil ist eine Einladung, sich ebenfalls auf die persönliche Suche und Route zu einem nachhaltigen Leben im Einklang mit der Natur zu begeben.