Gaias Vermächtnis. Hans-Rudolf Zulliger
definierten wir etwa 30 Subprozesse, die in acht Hauptprozesse zusammengefasst wurden:
1 Produktion und Logistik
2 Marketing und Produkteentwicklung
3 Kundendienst
4 Finanz und Controlling
5 Personal
6 Verkauf
7 Gebäudemanagement
8 IT und Kommunikation
Die Managementprozesse sind mit Team-Verantwortlichen entwickelt und betreut worden [→ Anhang 3].
Hier möchte ich drei Beispiele dieser Subprozesse erwähnen, die eher unerwartete Auswirkungen hatten. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen kam aus der Speditionsabteilung. Mit ihren sechs Mitarbeitern lautete ihre primäre Aufgabe, den Kunden die fertig fabrizierten Geräte vollständig, termingerecht, effizient und umweltgerecht zu liefern. Eine der Anforderungen hieß, Energie einzusparen. Die Mitarbeiter schlugen vor, wenn möglich Überseelieferungen per Schiff und europäische per Bahn auszuführen. Zusätzlich unterhielt die Abteilung drei Fahrzeuge, um täglich in alle Ecken der Schweiz dringende Ersatzteile zu liefern oder verspätete Produktionsteile von Lieferanten abzuholen. Einer der Mitarbeiter schlug deshalb vor, diese teuren und zeitraubenden Fahrten zu reduzieren, denn es würde genügen, einmal pro Woche in eine geografische Region zu fahren, wenn es gelänge, zusammen mit dem Einkauf, die Liefertreue der Lieferanten zu verbessern. Diese Vorschläge wurden umgesetzt, sie sparten 75% aller Fahrten und zwei Fahrer ein. Glücklicherweise wuchs die Firma in dieser Periode so stark, dass wir viele der »eingesparten« Mitarbeiter anderswo einsetzen konnten, anstatt sie entlassen zu müssen. Zudem boten wir den älteren Mitarbeitern eine attraktive Frühpensionierung an, die häufig angenommen wurde. Diese Maßnahmen resultierten in einer Halbierung des Energieverbrauchs dieser Abteilung und eine Reduktion des Personals um 30%, was etwa 40% der Kosten einsparte. Eine typische Win-win-Situation, wie sie in solchen Prozessen häufig anzutreffen ist.
Ein weiteres positives Resultat erzielte der Gebäudemanager. Er unterbreitete den Vorschlag, die veraltete Beleuchtung in der Produktion durch neue, zu 30% effizientere Leuchten zu ersetzen. Der Kostenvoranschlag war mit CHF 35 000 eher bescheiden, doch die Finanzabteilung kalkulierte, dass die Investition durch die Stromersparnisse erst nach fünf Jahren amortisiert werden konnte. Da unsere geforderte Amortisationszeit für Investitionen unter drei Jahren liegen musste, wurde der Antrag von der Finanzabteilung abgelehnt. Mein oberstes Ziel war jedoch, die Mitarbeiter für unser Programm zu motivieren, und ich suchte nach Argumenten, diesen Antrag zu retten. Da Gebäude typischerweise eine viel längere Amortisation aufweisen und die Beleuchtung schon 25 Jahre alt war, schlug ich vor, die Leuchten trotzdem zu installieren. Dank meiner Position als Direktionspräsident konnte ich mich durchsetzen, und die neue Beleuchtung wurde installiert. Kaum war diese in Betrieb, baten mich zwei geschätzte Mitarbeiter aus der Produktion um ein Gespräch. Normalerweise endeten diese Anliegen in Beschwerden oder persönlichen Wünschen. Doch wurde ich positiv überrascht, weil sie mir zu meiner Aktion gratulierten: »Endlich hat das Management realisiert, dass wir gutes Licht für unsere Präzisionsarbeit benötigen und dass die Leuchten dort platziert sein müssen, wo wir diese Arbeit verrichten.« Diese zusätzliche Motivation der Mitarbeiter wäre mit Geld kaum möglich gewesen, zumal die Qualität unserer Produkte anstieg. Die daraus folgenden Ersparnisse waren weit mehr als CHF 35 000 wert.
Auch das dritte Beispiel hat mit Energiesparen zu tun. Der Gebäudemanager hatte zusätzlich den Auftrag, Heizöl und Strom zu sparen. Mit Stolz präsentierte er die erfreuliche Nachricht, dass er den Heizölverbrauch um 30% reduziert hätte. Ich konnte mir dieses Resultat nicht erklären und bat ihn, mir seine Grafik zu erläutern. Dabei bemerkte ich, dass er das Diagramm in der vertikalen Achse, die den Verbrauch von Öl aufzeigte, durch den Umsatz der Firma dividierte und statt des totalen Verbrauchs den pro Umsatzfranken eingetragen hatte. Da der Mehrumsatz jedoch in dem bestehenden Gebäude entstand, machte eine solche Betrachtung keinen Sinn. In absoluten Zahlen hatte er also nichts eingespart. Nun, wenn man seine Mitarbeiter zu kreativem Denken und Handeln motiviert, muss man damit rechnen, dass es einige Übereifrige gibt, die über das Ziel hinausschießen.
Gesamthaft war das Programm jedoch sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein ökologischer Erfolg. Insgesamt verdoppelten wir in diesen vier Jahren den Umsatz ohne merklichen Anstieg der Anzahl der Mitarbeiter. Wichtiger waren jedoch die Innovationen, die der Nachhaltigkeitsgedanke auslöste. Unsere Produkte wurden neben anderen Vorteilen diejenigen mit dem geringsten Ressourcenverbrauch an Wasser, Strom und Chemikalien. Diese Erfahrung bestätigte, dass Mitarbeiter in den Führungsprozess einbezogen werden müssen und dass Nachhaltigkeitsprozesse fast immer auch einen positiven finanziellen Nutzen haben. Wichtiger jedoch war die Tatsache, dass viele Mitarbeiter mit Stolz und Eifer an diesen Prozessen teilnahmen und sich stärker mit der Firma und ihren Zielen identifizierten.
Aus dieser Erfahrung stellten wir uns die hier aufgeführten Fragen in der folgenden Reihenfolge:
1 Kann ein Prozess oder ein Produkt eliminiert werden?
2 Kann ein Prozess durch einen besseren ersetzt werden?
3 Können schädliche Nebenwirkungen reduziert oder eliminiert werden?
4 Kann der erzeugte Abfall rezykliert werden?
5 Kann der nicht rezyklierbare Abfall sicher entsorgt werden?
Doch weshalb sollten wir überhaupt solche Nachhaltigkeitsmaßnahmen ergreifen? Wie im Vorwort angesprochen, gibt es mindestens zwei Gründe, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Erstens sind diese Maßnahmen unentbehrlich, wenn die Menschheit überleben soll. Endliche Ressourcen, kontinuierliches Wachstum der Bevölkerung, die Belastung der Ökosphäre mit Giften und Abfall sowie das Ausstoßen von Treibhausgasen in die Atmosphäre werden unseren Wohlstand und unsere Überlebenschancen kontinuierlich mindern.
Ein weiterer Grund ist, dass die meisten von uns wissen, was uns längerfristig durch unser unverantwortliches Verhalten bevorsteht. Diese Tatsache zu verdrängen trübt unsere Lebensfreude, sie hängt wie ein Damoklesschwert über uns. Auch wenn es uns noch gut geht, wissen wir, dass wir den zukünftigen Generationen ihre Zukunft stehlen. Der Ausweg ist, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen und das Bestmögliche für eine Genesung unseres Planeten zu tun.
Gedanken und Einsichten
Wir können wesentlich zur Verbreitung von nachhaltigem Verhalten beitragen, wenn wir konsequent und unmissverständlich kommunizieren, von welcher Nachhaltigkeit wir sprechen, denn das Denken ist die Grundlage des Handelns. Auch der Umkehrschluss stimmt: Inkonsequentes Handeln deckt unklares Denken auf.
Was klar ist: Es gibt keine eindeutige Definition des Wortes Nachhaltigkeit. Die gängigen »Definitionen« beschränken sich auf anzustrebende Ziele oder Zustände. Das beste Beispiel für Nachhaltigkeit, das diesen Namen verdient, ist die Evolutionsgeschichte. Evolution hat insgesamt immer wieder Leben begünstigt, erhalten und weiterentwickelt.
Ein für mich passender und selbst erklärender Begriff wäre »Bio-Nachhaltigkeit«, was langfristiger Erhalt und Weiterentwicklung von Leben bedeutet. Obwohl es keine exakte Beschreibung von Leben gibt, wissen wir sehr wohl, was getan werden muss. Auch ohne genaue Definitionen besteht kein Zweifel, dass unsere langfristigen Überlebenschancen dann am besten sind, wenn wir die natürlichen Prozesse möglichst wenig stören. Dort, wo wir zu viel Schaden angerichtet haben, müssen wir restaurieren und reparieren. Da wir die Zukunft nur beschränkt voraussehen können, bleibt uns nichts anderes übrig, als aus der momentanen Sicht das Beste zu machen. Bei begründeten Zweifeln ist es ratsam, besser nicht in die Natur einzugreifen, um große Risiken zu vermeiden. Dieses Verhalten ist bekannt als Vorsorgeprinzip, einem der Grundpfeiler der Ökologie. Glücklicherweise gibt es unendlich viele offensichtlich positive Aktivitäten, von denen wir wissen, dass sie hilfreich sind.
Bis jetzt sind unsere Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit nicht überzeugend. Kaum ein ernsthafter Klimawissenschaftler glaubt zum Beispiel daran, dass wir das Klimaziel eines Temperaturanstiegs von unter zwei Grad auf unserem Planeten einhalten können.
In diesem Zusammenhang