Moderne Tauchmedizin. Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin - Kay  Tetzlaff


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wir uns hundertprozentig verlassen und so schwimmen wir daran vorbei und tauchen langsam tiefer. Der Druckausgleich funktioniert problemlos und auch das Ein- und Ausatemgeräusch des Kreislaufgeräts klingt beruhigend gleichmäßig. Wie lästig wäre es, mittels Messgerät ständig überprüfen zu müssen, ob die Gasmischung korrekt ist, wie es die Hersteller einiger Geräte vorschreiben. Auf 21 m stoppen wir, legen die zum Abtauchen verwendete Flasche mit Trimix 50/25 (50% O2, 25% He) ab und nehmen die Trimixflaschen für den tiefen Teil des Tauchgangs auf. Diese enthalten 12% Sauerstoff und 80% Helium. Im Augenwinkel sehe ich, wie Reinhard zu mir schaut. Es ist ein extrem gutes Gefühl, einen aufmerksamen Tauchpartner zu haben. Jeder nimmt 2 Scooter auf und noch weitere Flaschen sowie die Leinenrolle, um Leine in unberührten Höhlenteilen zu verlegen. Ein kurzes Drücken des Schalters der Scooter erzeugt das leise surrende Geräusch, das dem anderen signalisiert, man sei fertig zur Weiterfahrt. Ich höre Reinhards Scooter und sehe ihn an mir vorbeischwimmen. Ein Blick auf das Unterteil seines Kreislaufgeräts zeigt mir an, dass sein Gerät einwandfrei funktioniert. Ich sehe, dass die Flasche mit der Markierung 100 m in sein Gerät eingestöpselt ist und erkenne somit auch während der Fahrt, dass er das richtige Gas einspeist. Diese Kontrolle beruht auf Gegenseitigkeit. Wir tauchen weiter. Wie viele Taucher hier wohl schon waren? Da diese Höhle einen hohen logistischen Aufwand erfordert, sicher noch nicht mehr als vielleicht zwei Dutzend Taucher vor uns. Mit jeder Minute, die wir weiter in den Berg hineintauchen, werden es weniger.

      Mist, die alte Leine ist gerissen, wir brauchen ca. 3 Minuten, um sie zu flicken und setzen unseren Tauchgang fort. Deutlich ist zu sehen, dass diese Leinen unter dem Einsatz von Pressluft verlegt wurden. Nur unter narkotischen Einflüssen würde man solch eine chaotische Leinenführung wählen.

      Reinhard gibt mir kurz ein OK-Zeichen, ich antworte zurück. Wir cruisen gemütlich durch dieses dreidimensionale Gangsystem. Das ist wie fliegen, überlege ich. Ein kurzer Blick auf den Bottomtimer zeigt 87 m und 84 Minuten Tauchzeit. Wir sind jetzt bereits weiter als einen Kilometer im Berg. Ich prüfe kurz während der Fahrt das Finimeter und werfe einen Blick auf Reinhard. Sieht alles gut aus. Wir halten an, um die Scooter zu tauschen. Neben mir sehe ich einen Strudelkolk – eine Vertiefung, in der ein Stein liegt, der sich bei Strömung dreht und so tiefer und tiefer in den Berg fräst. Soll ich ihn rausnehmen, überlege ich? Nein, der Stein liegt dort eventuell schon hunderte von Jahren. Seltsame, aber auch spannende Dinge, die die Natur hier veranstaltet. Reinhard betätigt den Trigger seines Scooters und wir fahren nun mit dem zweiten Scooter weiter und ziehen den anderen hinter uns her.

      Nach weiteren 40 Minuten sind wir am Ende der Leine angelangt. Reinhard nimmt das Reel und knotet es an die alte Leine. Ich leuchte nach vorne und so fahren wir los. Nun bin ich der Pfadfinder, da ich etwas schneller bin und suche Befestigungspunkte für die Leine. Nach jeder Kurve denke ich: Hier war noch nie ein Mensch vor uns und wir sind die ersten Menschen, die diese Felsen sehen. Ein Kiesbett überquerend, stecke ich mir schnell einen Kiesel in die Seitentasche. Meistens schaue ich sie mir dann später an und werfe sie wieder weg. In diesem Moment finde ich diesen Stein einfach spannend. Es geht wieder bergauf, ich spüre es an den Ohren und schaue auf den Tiefenmesser und das Finimeter. Zu weit hoch dürfen wir nicht, da sonst unser Atemgas hypoxisch wäre, also zu wenig Sauerstoff enthalten würde.

      Die Höhle wird enger und enger und irgendwann beschließen wir, dass es für heute reicht und machen das Ende der Leine sorgfältig an einer Felsnase fest. Wir wickeln die Leine mindestens zehnmal um diese Nase herum, so dass den nächsten Tauchern klar wird, dass es sich hierbei um das Ende der Leine handelt. Ich krame währenddessen in meiner Seitentasche nach der kleinen Figur, die wir hier hinten zurücklassen wollen. Die nächsten Taucher sollen ein kleines Mitbringsel haben. Nach kurzen überschlägigen Rechnungen dürften wir jetzt tiefer als 2 km in den Berg eingedrungen sein.

      Wir beschließen, diesmal nicht auf dem Rückweg zu vermessen und fahren in Richtung Ausgang zurück. Der Rückweg geht immer schneller und man freut sich über jede Steinformation, die man wieder erkennt. Beim Aufstieg machen wir unsere bewährten Deepstopps, und dann taucht von weitem die erste Dekoflasche auf und hier hängen auch unsere Heizröhren. Als erstes das Dekogas einstöpseln, den Kreislauf kurz spülen, indem man 3- bis 4-mal durch die Nase ausatmet, dann wird die Heizung eingesteckt.

      Nach kurzer Zeit spüre ich, wie es warm wird. Reinhard und ich schauen uns an – alles in Ordnung. Er reicht mir einen Getränkebeutel aus seiner Tasche und ich nehme einen kräftigen Schluck. Er fragt, ob wir höher gehen und ich nicke. Von weitem nähert sich bereits der Lichtschein der ersten Supporttaucher und wie immer fragen sie, ob wir etwas benötigen und ob alles klar sei. Wir bestellen Tee und geben einen kurzen Statusbericht. Alles, was wir jetzt an Ausrüstung nicht mehr benötigen, wird uns abgenommen und wir können uns darauf verlassen, dass es oben bereits demontiert und zum Auto transportiert wird. Solch ein effektives Team in Aktion zu sehen, ist einfach eine Wohltat und macht riesigen Spaß. Alleine könnten und wollten wir ein solches Projekt niemals durchführen!

      Nach dem Teetrinken und einem Gaswechsel auf 21 m auf Trimix 50/25 nähern wir uns dem Habitat und werden von den Supporttauchern hier erwartet. Einer nach dem anderen zieht sein Kreislaufgerät aus und setzt sich in das Habitat. Auch hier ist es extrem beruhigend, dass jederzeit ein Automat direkt vor uns gehalten wird, um uns im Problemfall Gas zu geben. Im Habitat atmen wir reinen Sauerstoff auf 9 m. Dies ist nur deshalb relativ gefahrlos möglich, weil wir hier im Trockenen sitzen und bei einem eventuellen Krampfanfall nicht ertrinken können. Man muss auch hier immer bereit sein, dem anderen zu helfen, auch wenn dies bisher noch nie nötig war. Nach 12 Minuten mit reinem Sauerstoff wird für ca. 8 Minuten das so genannte „Break-Gas“ geatmet, meist mit 17% Sauerstoff und 55% Helium. Diese Zeit wird trotz dieser Gemischzusammensetzung als vollwertige Dekompressionszeit mitgezählt. Endlich, der erste Supporttaucher taucht im Habitat zwischen uns auf und reicht die Essensröhre nach oben. Reinhard öffnet die Druckausgleichsschraube und mit einem Zischen strömt Gas in die Röhre, damit wir diese auch öffnen können. Nudeln in Tomatensoße. Na ja, Nudeln hatten wir ja zum Frühstück, aber als Vorspeise nicht übel. Der Tee im Trinkbeutel dazu ist noch heiß und es ist ein herrliches Gefühl, warmes Essen und Getränke zu uns zu nehmen. Wir plaudern über den Tauchgang und das Gesehene und so vergeht die Zeit bis zum nächsten Gang recht schnell. Lammkoteletts, lecker und dazu weitere Getränke, um einer Dehydrierung entgegen zu wirken. Wir informieren die Supporttaucher über die geplante Auftauchzeit. Während der Dekompression stellen wir für die Kommunikation mit dem Team die Uhrzeit um, damit wir ein gemeinsames Zeitmaß haben. Pünktlich werden wir abgeholt und von zwei Supporttauchern begleitet, da wir nur ein Backplate und eine Flasche bei uns haben.

      Der Aufstieg von 9 m zur Oberfläche ist nervenaufreibend langsam, aber dies ist extrem wichtig. Ich sehne es herbei aufzutauchen, weiß aber, dass wir unsere Ungeduld zügeln müssen, da hier, auf den letzten 10 Metern, der prozentual größte Druckverlust auftritt. Nach 15 Minuten tauchen wir auf und das ganze Team steht oben und begrüßt uns. Immer wenn ich unsere Leute sehe, weiß ich, warum ich mir das immer wieder gerne antue!

      Kompaktinformation

      ■ Was sind technische Tauchgänge? Es gibt keine abschließende und eindeutige Definition, aber im Allgemeinen versteht man darunter Tauchgänge jenseits der Sporttauchgrenzen, bei denen ein direkter Aufstieg zur Oberfläche durch physikalische oder physiologische (Dekompression) Beschränkungen nicht möglich ist und die unter Verwendung von zusätzlichen Hilfsmitteln, wie Mischgas, Scooter, Rebreather, durchgeführt werden. Meist sind es Tauchgänge mit einem bestimmten Ziel, etwa ein tief liegendes Wrack oder eine Höhle, auf das die gesamte Tauchgangsplanung abgestimmt wird.

      ■ Risiken: Diese liegen meist in der Komplexität der Ausrüstung, der Tauchgangsdurchführung und der Dekompression. Außerdem ist durch den Umstand, dass ein direkter Aufstieg meist nicht möglich ist, jede Fehlfunktion unter Wasser ein erhebliches Risiko.

      ■ Medizinische Aspekte: Etliche Tauchgänge werden heute jenseits der gebräuchlichen Tabellen und Algorithmen durchgeführt. Dies bedingt natürlich unter Umständen ein erhöhtes Risiko, ebenso HPNS (High-pressure-nervous-Syndrom) bei extrem tiefen Tauchgängen sowie Hyperoxie und Tiefenrausch. Beim Einsatz von Kreislauftauchgeräten kommt ferner noch Hypoxie und Hyperkapnie hinzu. Taucher, die ein PFO haben, sollten keine dekompressionspflichtigen blasenreiche Tauchgänge


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