Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.
mußte es kämpfe gegeben haben. er konnte sarkastisch werden. da gab es ein arsenal von waffen. bissige satire, tötende ironie, verletzenden spott. er kämpfte mit aller kraft gegen ein falsches denken, das falsche denken bei andern, das falsche denken bei sich selbst.“4
Haeckers christlicher Existenzialismus: Rezeption von Søren Kierkegaard und John Henry Newman
Theodor Haecker war viele Jahre lang ein Suchender und Ringender um die Wahrheit, die er so auffasste wie Søren Kierkegaard (1813 – 1855), nämlich als eine „Bewegung des Menschen in der Zeit“, und das aus diesen Zeitumständen bedingte Nachdenken über das Christentum. Auch der englische Kardinal John Henry Newman (1801 – 1890), von 1851 bis 1857 der erste Rektor der Katholischen Universität von Dublin/Irland, war einer von Haeckers Vorbildern, ja Wegweisern. Dieser hatte das Streben nach Wahrheit vielfach in den Mittelpunkt seiner spirituellen Reflexionen und Predigten gestellt: „Alle, die der Wahrheit folgen, sind auf der Seite der Wahrheit, und die Wahrheit wird obsiegen. Wenige an der Zahl, aber stark im Geist.“5
Einige Tage nach der Geburt seiner Tochter Irene konvertierte Haecker unter dem Einfluss der Schriften Newmans am 5. April 1921 zum katholischen Glauben. Etwa zur gleichen Zeit hatte er auch den Plan, John Henry Newmans bedeutendes Werk „The Development of Christian Doctrine“ (1845; rev. 1878), worin das Gebot moralischen Denkens und Handelns eine der zentralen Fragen darstellt, ins Deutsche zu übersetzen. Newman betonte in seinen zahlreichen Werken immer wieder die Kontinuierlichkeit in der Entwicklung der christlichen Lehre. Diese „Doktrin“ werde weniger beeinflusst durch Veränderungen oder Innovation als vielmehr durch die Entfaltung dessen, was in der Offenbarung schon enthalten ist. Die Vergangenheit wird dabei gedeutet als eine Art „Aufruf“ hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen. Das erste Kapitel des genannten Newman’schen Werkes befasst sich mit der Entwicklung von Ideen – von mathematischen, physikalischen bis hin zu historischen, ethischen und logischen.
Wichtige Ideen fand Haecker auch bei Søren Kierkegaard, dem dänischen Philosophen, Theologen und Schriftsteller. 1913 erschien im Schreiber-Verlag Haeckers erste, ganz unter dem Einfluss Kierkegaards stehende kulturkritische Schrift „Sören Kierkegaard und die Philosophie der Innerlichkeit“.
Haecker hatte Kierkegaards umfangreiche Tagebücher (Bd. I: 1834 – 1848, Bd. II: 1848 – 1855) aus dem Dänischen ins Deutsche übersetzt und sich dabei vertiefend mit der menschlichen Existenz befasst, die für ihn, einen Menschen von schwermütiger Natur, durch die Erfahrung von Leid und Not, Angst und Tod bestimmt ist.
Eine wichtige Publikation Haeckers aus dem Jahre 1932 trägt den Titel „Der Begriff der Wahrheit bei Sören Kierkegaard“. Wahrheit ist laut Kierkegaard nicht „lehrbar“, aber in den „aufsteigenden“ Begriffen von Ästhetik, Ethik und vor allem Religion „erfahrbar“. Haecker verband diesen Wahrheitsbegriff mit seiner Zeit und seiner Spiritualität. Mit diesen „Ideenlehren“ Kierkegaards und Newmans war der Grund gelegt zu Haeckers Gegnerschaft zur nationalsozialistischen Ideologie.
Im Vorwort Haeckers zur zweiten Auflage des Kierkegaard-Diariums ist dann unter anderem zu lesen: „Menschen der Erinnerung sind es auch, die in der Hauptsache Tagebücher schreiben, und natürlich auch Konfessionen. (...) Jedes Tagebuch ist zum mindesten ein Bekenntnis, mit welchen Dingen und Gedanken der Schreiber an einem bestimmten Tag sich beschäftigt hat ...“6
In seinen Lebenserinnerungen7 mit dem Titel „Die Zeit befiehlt’s, wir sind ihr untertan“, beschreibt Richard Seewald (1889 – 1977), der die Illustrationen zum „Vergil“ schuf, seine Begegnungen mit Theodor Haecker ab 1911/12 in München. Während Haecker, von 1905 bis 1910 als „cand. phil.“ in München – vor allem bei Max Scheler (1874 – 1928) – immatrikuliert, seinen Lebensunterhalt als Redakteur der illustrierten Wochenschrift „Meggendorfer Blätter“ verdiente, war Seewald für diese als Zeichner tätig. Beide waren sich wohl in der Redaktion des Schreiber-Verlags begegnet. Diese Freundschaft dauerte bis zum Tode Theodor Haeckers am 9. April 1945 in Ustersbach bei Augsburg.
Die Redaktion charakterisiert Seewald als eine „durchaus merkwürdige Persönlichkeit (...), denn neben diesem Philosophen, der eben sein Buch ,Sören Kierkegaard und die Philosophie der Innerlichkeit‘ geschrieben hatte, saß in ihr noch ein protestantischer Theologe namens Peterson, der humoristische Kurzgeschichten schrieb, und der jüdische Rechtsanwalt Harry Kahn, von dem dann und wann Lustspiele im Schauspielhaus aufgeführt wurden.“8
Seewald berichtet, dass der Freundeskreis um Theodor Haecker jedes Jahr im Herbst nach Diessen am Ammersee fuhr und ein „heiteres Symposium“ veranstaltete: „Haecker, Ludwig Heinrich,9 Schreiber, Hans Rupé,10 Max Stefl und ich. Ein paar Mal war auch Ficker aus Innsbruck zu Gast. Das Fest ging in einer kleinen Pension vonstatten, die von einer ehemaligen Köchin der österreichischen Botschaft in Bukarest geführt wurde.“11 Im Juni desselben Jahres treffen sich Max Stefl und der Herausgeber der katholischen Kulturzeitschrift „Hochland“, Karl Muth (1867 – 1944), zu einer Vorbesprechung über den Abdruck der Übersetzung von Kierkegaards Tagebüchern.
Theodor Haecker als Schriftsteller
Theodor Haeckers Ruf als Schriftsteller, Kulturphilosoph, Satiriker und Warner vor einem totalitären Staat begründeten seine schon in den Zwanzigerjahren verfassten Beiträge im „Brenner“, einer von Ludwig von Ficker in Innsbruck herausgegebenen kritisch-satirischen Zeitschrift, sowie im „Hochland“ und anderen Schriften, die selbst einem Thomas Mann auffielen.12 Mann war nach der Lektüre von Haeckers „Was ist der Mensch?“ (1933), einer Sammlung von Essays, die dieser Jahre später der Widerstandsgruppe Weiße Rose zur Kenntnis brachte, sehr angetan von dessen katholisch-oppositioneller Humanität.13
Karl Kraus sagte Hinrich Siefken zufolge vom „Brenner“, er „sei die einzige zeitschrift, die man in österreich noch lesen könne. sonst war haecker nicht einzuordnen, er war nirgendwo angepaßt, auch nicht in seinen themen. im ,brenner‘ hatte er als einer der ersten über kierkegaard geschrieben, er hat ihn übersetzt, und seine monographie ,sören kierkegaard und die philosophie der innerlichkeit‘, schon vor dem ersten weltkrieg ...“14
Haeckers schriftstellerisches Werk der dreißiger Jahre ist ein außergewöhnliches Zeugnis der christlichen Widerstandsliteratur. Themen wie „Was ist der Mensch?“ und „Der Christ und die Geschichte“ (1935) wurden ihm zum persönlichen Anliegen, das er in zahlreichen Vorträgen und bei Leseabenden vermittelte. Es geht dabei um das christliche Menschenbild, das frei ist von Überheblichkeit und Machtanmaßung. Das Gegenbild dieser Vorstellung verkörperte für Haecker „Die Bestie“. Diesen Titel trug schon 1923 ein Text im „Brenner“. Er bezog sich auf ein Mussolini-Standbild. Haecker kommentierte darin den von einer „Bestie“, einem Diktator, gelenkten Staat mit den Worten: „Mit der Deifikation des Staates gleichen Schritt hält die Bestifikation des Menschen.“15 Wenn der Staat verherrlicht und zum absoluten Richtmaß wird, wenn er an die Stelle Gottes tritt, geht in gleichem Maße damit ein Werteverlust einher, gehen humane und ethische Werte verloren, kurz: wird der Mensch eben zur Bestie. Im Februar 1924 wurden auf ausdrücklichen Wunsch Haeckers Belegexemplare der Ausgabe des „Brenner“ mit diesem hochpolitischen Artikel an Münchener Zeitungen geschickt. Damit ist unschwer nachzuvollziehen, dass sich diese zuerst über Mussolini geäußerte Kritik auch an Hitler und den Nationalsozialismus richtete.
Im Werk Haeckers ist immer wieder der Rückbezug auf die beiden Denker des Glaubens Kierkegaard und Newman festzustellen. In diesem Sinne vertrat er auch die Philosophie des „christlichen Existenzialismus“. Dabei ist schwerlich zu sagen, an welcher der beiden Persönlichkeiten sich Haecker stärker orientiert hat. War es zunächst wohl Kierkegaard, so wurde späterhin der Einfluss Newmans entscheidender, insbesondere, was die Konversion Haeckers zum katholischen Glauben betraf.
Im Rahmen seiner Übersetzung von Kierkegaards Tagebüchern befasste sich Haecker wie der dänische Philosoph intensiv mit der menschlichen Existenz.
Der Ankündigung des ersten Bandes im Verlagsbericht des Brenner-Verlags vom Frühjahr 1923 ist eine vielsagende Tagebuchnotiz Kierkegaards