Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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war durchaus kein einmaliger Einfluss, sondern mag als eine stete Herausforderung bezeichnet werden. Im Programm seiner Kulturtheorie definierte Ernst Troeltsch den Theologiebegriff auf drei Ebenen, und zwar als Verhältnis von überkommenem Christentum und moderner Kultur, Verbindung von Wissenschaft und Religion und als Zusammenhang von christlicher Religion und bürgerlicher Gesellschaft. Im Mittelpunkt der Erwägungen stand die Frage nach der Überwindung des Konflikts zwischen dem modernen Bewusstsein zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem christlichen Erbe. Angestrebt wurde dabei die Herausarbeitung eines Begriffs der objektiven Realität der Religion durch ihre erneuerte Integration mit Geschichte und Vernunft.5 Diese Überzeugung übernahm Gertrud von le Fort und schilderte in ihrer Dichtung geschichtliche Vorgänge im Sinne eines metaphysischen Werdeprozesses, den das dialektische Prinzip absoluter Wandlungsfähigkeit in allen Lebensbereichen bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Identität auszeichnet. Die produktive Aufnahme der Einsichten von Troeltsch kann bei ihr unter anderem noch durch die Übernahme der historischen, antidogmatischen Methode festgestellt werden.

      Die mit 35 nicht mehr ganz junge Studentin lernte kritisch die Bedingungsfaktoren einer Weltordnung und einer zeitgenössischen Konstellation des Christentums zu reflektieren. Ihrem „Meister“ Troeltsch ist es zu verdanken, dass sie sich von der Fiktion einer geschlossenen christlichen Gesellschaft trennte und die Hinwendung zu einer aufgeschlossenen Glaubensgemeinschaft vollzog. Voraussetzung und gleichzeitig Folge der Verbundenheit mit den Gläubigen war ein ausgesprochener Bekenntnisdrang der Dichterin. Sie erhob einen Anspruch auf geistige Erneuerung ihrer selbst und der Menschheit, wobei ihr in dieser Zeit die im mittelalterlichen römisch-katholischen Grundmodell des Christentums verwurzelte Religiosität zu Hilfe kam. Sie fasste diese Überzeugung folgendermaßen zusammen:

      „Die große abendländische Kunst wird nie zu lösen sein von der großen christlich-katholischen Dogmatik, ja sie ist in ihren überzeitlichen Erscheinungen geradezu deren stellvertretende Priesterin. (...) Diese Kunst nicht nur ästhetisch, sondern auch religiös befragen, heißt also mit vollem Bewußtsein den Boden der großen katholischen Dogmatik betreten, das überzeitliche, überpersönliche Fundament, auf dem die gesamte Kultur des Abendlandes ruht und dem sie also auch in der Verneinung noch unentrinnbar verhaftet bleibt.“6

      Grundzüge der mittleren Schaffensperiode

      Ihre mittlere Schaffensperiode begann 1924 mit der Veröffentlichung der „Hymnen an die Kirche“, mit denen Gertrud von le Fort den Anschluss an die vielfältige geistige Regsamkeit des katholischen Deutschland der 1920er-Jahre herstellt. Seit dieser Zeit kann ihre Dichtung im Vollsinne als „geistlich“ bezeichnet werden. Die Stoffe greifen auf „kirchliches Überlieferungs- und Lehrgut“ zurück7 und ihre Wirkung bewegt sich vornehmlich innerhalb des katholischen Binnenraums. Die „Hymnen an die Kirche“ kennzeichnen eindeutig den intellektuellen und dichterischen Weg Gertrud von le Forts. Einerseits stand sie unter dem Einfluss des französischen „renouveau catholique“ und des literarischen Erneuerungsprogramms von Karl Muth, andererseits war sie berührt vom Kunststreben des christlich orientierten Expressionismus. Sie stand jedoch jenseits der prinzipiellen Auseinandersetzung, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts die katholische Literatur beherrschte. Das Postulat der Schaffung einer katholischen Literatur wird bei ihr zunehmend zu der Frage nach der Möglichkeit einer christlichen Literatur überhaupt. Ein charakteristisches Merkmal der Hymnen ist deren Bildlichkeit, welche die Dichterin größtenteils aus der Poesie ihrer romantischen Vorgänger Joseph von Eichendorff und Clemens Brentano übernahm. Durch die „Romantisierung“ der kirchlichen Wirklichkeit, die Poetisierung des liturgischen Kirchenjahres und die Metaphorisierung des Wahrnehmbaren an der kirchlichen Institution erzielte sie eine bedeutsame Wirkung.

      Wenn Gertrud von le Fort, die im Jahre 1926 zum Katholizismus konvertierte, an eine moralische Erneuerung der Gesellschaft dachte, beinhaltete dies für sie ein religiöses Moment, orientiert vor allem an der Lehre der katholischen Kirche. Das kirchliche Selbstverständnis ist in ihren Werken aus der mittleren Schaffensperiode mit theologischer Reflexion verbunden. Der Pluralisierung von Formen christlicher Religiosität entspricht hier die Ausdifferenzierung der le Fortschen Figuren und die Nachgestaltung herkömmlicher christlicher Literaturformen wie Predigt, Katechismus und Kirchenlied. Dass sowohl das lyrische Ich in den „Hymnen an die Kirche“ als auch die Hauptfigur des Romans „Das Schweißtuch der Veronika“ (1928) ein so ausgeprägtes katholisches Sendungsbewusstsein entwickeln, scheint für die geistige Position der Dichterin in den 1920er-Jahren bezeichnend zu sein. Obwohl sich die Autorin von Weihrauch und vom Klang der Kirchenglocken gefangen nehmen ließ, handelt es sich bei ihrer Dichtung jedoch nicht um kirchliche Propaganda. Kennzeichnend für ihre mittlere Schaffensperiode bleibt aber, dass immer dort, wo christliche Ideen und Tendenzen in die le Fortsche Dichtung einflossen, sowohl die Kirche als Trägerin des Glaubens wie auch deren geistliche Repräsentanten hervorgehoben wurden. In der Dichtung aus Gertrud von le Forts mittlerer Schaffensperiode erfuhr ihre „Katholisierung“ der Sprache einen Höhepunkt. In den „Hymnen an die Kirche“ erfolgte diese durch das Hereinnehmen geschlossener Wortfolgen aus der Liturgie und durch die metaphorische Symbolik. Das le Fortsche Verständnis der Apostolizität der katholischen Kirche begrenzte sich dabei nicht ausschließlich auf die Treue gegenüber der Lehre der Apostel und der Tradition, sondern umfasste auch solche Aspekte wie den Blick auf die Eschatologie, wie die kirchliche Identität, die sich an der Teilnahme am sakramentalen Leben manifestiert, und wie das Hineinwachsen in die Gemeinschaft der Gläubigen.

      Gertrud von le Fort fühlte sich in ihrem Katholizismus durch die religiöse Situation ihrer Zeit bestärkt und hat sowohl mit ihrer Prosa als auch mit ihrem essayistischen Werk an den Bemühungen um ein neues Verständnis der christlichen Dichtung großen Anteil. Nicht zuletzt wird dies auch in ihren Rezensionen und ihrer Korrespondenz sichtbar. Die Frage nach dem genauen Standort der Autorin innerhalb der katholischen Erneuerungsbewegung der Zwischenkriegsjahre beantwortet zu einem gewissen Teil eine Betrachtung der Periodika, in denen ihre Arbeiten veröffentlicht wurden. Während dieser Zeit veröffentlichte sie ihre Arbeiten unter anderem in den Zeitschriften „Christliche Welt“, „Brenner“ und „Heiliges Feuer“. Insbesondere jedoch war sie in den 1920er- und 30er-Jahren mit der Zeitschrift „Hochland“ durch die Unbedingtheit des Glaubensmomentes und durch die existentielle Grundausrichtung geistig verbunden. Das von Karl Muth dort entworfene Programm der Wiedergeburt der Dichtung aus dem religiösen Erlebnis machte Gertrud von le Fort zu ihrer dichterischen Motivation.

      Ein Grund dafür liegt wohl in der von ihr als vorbildlich empfundenen religiösen Dichtung Eichendorffs, welche der Dichterin selbst zufolge den Ausgangspunkt ihres eigenen Schaffens bildete. Gemeint ist hiermit das Bild eines Dichters, der größte poetische Kraft mit tiefster Religiosität in sich vereinigt. Die Sprache steht im Dienste der Begegnung von Literatur und Religion: Weniger als künstlerischer Selbstzweck wird sie verstanden, vielmehr eher als ein Mittel, das zur möglichst breiten Erreichung des von der Autorin für die Dichtung postulierten Ziels beitragen soll. Gertrud von le Fort wollte zeigen, dass die eigentliche Aufgabe der Dichtung darin besteht, das menschliche Leben transparent werden zu lassen. Die Überlebensmöglichkeit christlicher Literatur aus katholischem Geist liegt nach ihrer Überzeugung darin, „christlich“ und „katholisch“ nicht ausschließlich als „kirchlich“ zu begreifen, sowie in einem universalen Verständnis von Katholizität.

      Aus dem moralischen Sendungsbewusstsein der Dichterin ergeben sich ihre ethischen Vorstellungen von Wesen und Aufgabe der christlich-katholischen Literatur. Mit Karl Muth betonte sie die Notwendigkeit der dichterischen Reflexion auf die Hauptaussagen des Christentums als Voraussetzung aller Kunst, mit ihm bleibt sie in ihren ästhetischen Vorstellungen letztlich auch der Klassik und Romantik verbunden. Ihr eigenes Werk seit den „Hymnen an die Kirche“ ist eine gelungene Verbindung von Glaube und Dichtung. In jeder Novelle und in jedem Roman sind Inszenierungen der unterschiedlichsten Formen individueller Religiosität in ihrem Verhältnis zur Institution der Kirche und ihren Vertretern zu finden. Wie bei den französischen Autoren des „renouveau catholique“ nicht primär das literarische Problem einer konfessionellen Dichtung, sondern vor allem die generelle Bemühung um ein modernes, christliches Selbstverständnis eine Gemeinsamkeit begründet, so ist der Zusammenhang zwischen der Dichtung le Forts und der französischen katholischen Dichtung


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