Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.
Heiners den von diesem korrigierten Bittschriftentwurf als Faksimile abdruckte.64
Die Auseinandersetzungen zwischen Heiner und ten Hompel beschränkten sich nicht auf die Frage der Index-Liga, sondern weiteten sich auf den 1910 eingeführten so genannten „Antimodernisteneid“65 aus und führten dazu, dass ten Hompel nicht nur als Leser, sondern auch als Autor Erfahrungen mit dem Index machen sollte: Sein Kommentar zu den Erläuterungen des Eides in einer Veröffentlichung Heiners wurde von Dingelstad und Hartmann am 11. Dezember 1910 bei der Indexkongregation angezeigt66 und von der Zensurbehörde in Rekordzeit verboten. Zur Begutachtung übergab Indexsekretär Esser, ein Freund Heiners,67 sie dem Benediktiner Laurentius Janssens (1855 – 1925),68 der gleich zu Beginn seines schriftlichen Votums feststellte, dass es sich beim Autor der Schrift um denselben handle, der vor zwei Jahren das bekannte Buch gegen den Index „Indexbewegung und Kulturgesellschaft“ publiziert habe.69 Janssens gab an, sich nicht zur Kontroverse zwischen ten Hompel und Heiner äußern zu wollen, bemerkte aber, ten Hompel liege in einigen Punkten seiner Kritik an Heiner durchaus richtig.70 Ten Hompels leitender Gedanke sei, dass der Eid auch Priester, die in keiner Weise modernistisch seien, unnötig in Gewissenskonflikte bringe.71 Als nicht tolerierbaren Fehler der Broschüre nennt Janssens, dass ten Hompel in maßloser Weise Schell lobe, dessen doktrinäre Werke durch die Indexkongregation streng zensuriert worden seien.72 Alles in allem schloss Janssens sich dem Urteil des Bischofs Dingelstad an, das Buch sei zu verbieten. Die Kardinäle bestätigten dies in ihrer Sitzung am 2. Januar 1911, das päpstlich approbierte Verbotsdekret wurde unter anderem dem „Osservatore Romano“ und dem Münsteraner Bischof zugestellt.73
In den Ruf des „Modernisten“ kam ten Hompel nicht nur durch seine Publikationen, sondern auch durch von ihm organisierte Veranstaltungen: Im Dezember 1909 konnte er den bei der katholischen Literaturkritik umstrittenen und als „modernistisch“ verdächtigten Franziskaner Expeditus Schmidt (1868 – 1939)74 für einen Vortrag über Goethes „Faust“ in Münster gewinnen, der den Bischof veranlasste, über den Münchener Nuntius bei Schmidts Ordensoberen zu protestieren.75 Im November 1910 veranstaltete ten Hompel einen Kurs mit dem protestantischen Pädagogen Friedrich Wilhelm Foerster (1869 – 1966),76 bei dem dieser zum Entsetzen des Bischofs Dingelstad und zur Verwunderung des konservativen Zentrumsblattes „Germania“ vor katholischen Schülern über „Grund- und Kernfragen der Charakterbildung“ referierte.77
Für eine Zusammenarbeit mit evangelischen Christen trat ten Hompel auch in den Debatten um die Zentrumspartei und die interkonfessionellen, christlichen Gewerkschaften ein. Unter Pseudonym publizierte er das Protokoll der sogenannten „Osterdienstagskonferenz“, die er als „Antikulturbund“ und „Antiliga“ deutete, da ihre Ziele den seinen diametral entgegengesetzt waren: Am Osterdienstag 1909 trafen sich um die Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren und Franz Bitter integral gesinnte Katholiken, die den katholischen Charakter der Zentrumspartei betont wissen wollten, sich gegen die interkofessionellen Gewerkschaften aussprachen und eine engere Anbindung des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ an die Bischofskonferenz forderten.78
Bilanz des Bittschriftunternehmens
„Über ten Hompel einen Satz zu schreiben, wäre unnütz; er scheint mir (u. vielen) an fixen Ideen zu leiden“,79 teilte der Münsteraner Kaplan und spätere Professor für Homiletik, Adolf Donders (1877 – 1944)80 seinem Kaplanskollegen und Freund Augustinus Winkelmann (1881 – 1954) in einem Brief mit. Die Urteile anderer Zeitgenossen gingen in eine ähnliche Richtung. Nach Ansicht des Index-Sekretärs Thomas Esser (1850 – 1926) war ten Hompel ein „confuser, harter Westfalenkopf“.81
Betrachtet man aus der Distanz von rund 100 Jahren die streitbaren, oft wenig systematischen Veröffentlichungen ten Hompels, seine Korrespondenz, die Protokolle von Sitzungen, dann wundern einen die Urteile seiner Zeitgenossen nicht. Ten Hompel scheint mit einem großen Selbstbewusstsein und mit viel Idealismus ausgestattet gewesen zu sein und hat mit großem zeitlichem und finanziellem Engagement für etwas gekämpft, was man wohl am besten mit dem Begriff „Laienemanzipation“ zusammenfassen kann. Aber glaubte der über die Grenzen Münsters hinaus praktisch unbekannte Gerichtsassessor ten Hompel selbst daran, dass er mit seiner Index-Petition etwas erreichen konnte? Aufschlussreich ist hier ein Brief an seinen Freund, den Historiker und späteren Rechtskatholiken Martin Spahn (1875 – 1945),82 den er als Unterzeichner gewinnen wollte. Ten Hompel führte aus: Auch wenn Spahn ihn als „Idealisten und Optimisten“ kenne, deckten sich ihre Ansichten über „die Unmöglichkeit des praktischen Enderfolgs“ der Bittschrift. Wörtlich heißt es weiter: „Unsere Generation erlebt nicht den Schatten eines Erfolgs in Rom. Was spätere Geschlechter aus der Summe unserer und anderer Schritte profitieren, können wir nicht abwägen. Allein dabei handelt es sich immer nur um den von Rom allein abhängigen Erfolg.“83
Von einem römisch geprägten Katholizismus wandte sich ten Hompel in den folgenden Jahrzehnten gänzlich ab und ließ sich zunehmend von nationalistischen und völkischen Ideen mitreißen. Abschließend sollen einige Schlaglichter auf seinen bislang noch nicht dokumentierten weiteren Lebensweg geworfen werden.
Übersteigerter Nationalismus und Abkehr vom Katholizismus
Im August des Jahres 1918 wandte sich ten Hompel in einer längeren Abhandlung unter dem Titel „Quo vadis“ in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung gegen die Friedensresolution des Reichstages, die mit Unterstützung des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger vorgebracht wurde.84 Ten Hompel machte sich in seinem viel beachteten Beitrag gegen einen Artikel der Verständigung und für einen „Siegfrieden“ stark.85
Von der Zentrumspartei, der er zwar nicht angehört, aber doch nahe gestanden hatte, distanzierte sich ten Hompel im Dezember 1918, nachdem er sich mit der lokalen Parteiführung überworfen hatte, und trat vorübergehend in die Deutschnationale Volkspartei ein, die er allerdings bereits im Mai 1920 wieder verließ.86
Nach einigen Jahren ohne Parteizugehörigkeit bemühte sich ten Hompel um Aufnahme in die NSDAP, die offenbar im Herbst 1933 erfolgte.87 Über den Präsidenten der physikalisch-technischen Reichsanstalt, Johannes Stark (1874 – 1957), versuchte er die Ernennung von Graf Clemens August von Galen (1878 – 1946) zum Bischof von Münster zu verhindern. Ten Hompel drängte Stark, Hitler vor von Galen zu warnen, der sich durch seine Schrift „Die Pest des Laizismus“ disqualifiziert habe.88 „Unser Führer muss diese an Roms Terror anlehnende Schrift gelesen haben und niemals mehr wird er Galen als Bischof der ultramontanen päpstlichen Hochburg Deutschlands, hier im nordischen Rom noch dulden.“ Von Galen müsse abgelehnt, Vizekanzler Franz von Papen ausgeschaltet und ein „Märtyrer-Bischof aus der Hitlerbewegung“ ernannt werden.89
Das Engagement für seine im Jahr 1907 grundgelegte Kulturgesellschaft sah ten Hompel nun in einer Linie mit dem nationalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ und stilisierte sich zum Vorkämpfer gegen Ultramontanismus und „Deutschfeindlichkeit der Kurie“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie.90 In einer Zusammenstellung seiner schriftstellerischen Arbeiten für die Reichsschrifttumskammer klagte er: „Die Ignorierung meines Schrifttums durch den Nationalsozialismus, dem ich die Wege seit 1908 und über meine Indicierung anno 1910 hinaus ebnete, den ich bewusst vorerlebte und bei sämtlichen Hitlerwahlen zielbewusst durch m. Schrifttum unterstützte, wie Professor Dr. Stark, Hitlers rechte Hand vor der Macht-Ergreifung bezeugen wird, – ist mir vollkommen rätselhaft.“ Voller Stolz verwies er auf seine Indizierung: „Vor Rosenberg war ich der einzige indicierte Laie Deutschlands.“91
Die Abschaffung des Index erlebte ten Hompel nicht mehr. Knapp fünf Jahre nach seinem Tod am 5. Dezember 1943 erschien das römische Verzeichnis der verbotenen Bücher ein letztes Mal.92 Erst im Jahr 1966 fiel die immer stärker werdende Kritik am Index librorum prohibitorum in Rom auf fruchtbaren Boden, und die Geltung der gut 500 Jahre alten Einrichtung wurde aufgehoben.93
Schriften von Adolf ten Hompel: Das furtum usus