Gleich knallt's. Eva Encke

Gleich knallt's - Eva Encke


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du das alles für mich machst, mein Engelchen.“

      Lotte schluckte eine bissige Bemerkung hinunter und strich ihrem Mann stattdessen über den Kopf.

      „Ich bin froh, dass es dir wieder so gut geht. Und die Kur wird dir sicherlich auch bekommen. Die Ärzte werden schon wissen, was das Richtige für dich ist.“

      Bei den letzten Worten sah Lotte angestrengt aus dem Fenster. Sie wusste, dass Reinhard es spürte, wenn sie etwas anderes sagte, als sie meinte. Aber er erwiderte nichts und daraus schloss Lotte, dass ihr Mann im Augenblick nicht so gut im Gedankenlesen war.

      Nein, sie dachte in Wahrheit ganz anders über diesen Kuraufenthalt. Reinhard hatte sich gut erholt von der Operation und den nachfolgenden Komplikationen. Wenn sie ihn mit nach Hause nehmen dürfte, würde die Rekonvaleszenz sicherlich optimal verlaufen. Wo könnte sich Reinhard besser erholen als in seiner gewohnten Umgebung? Gehegt und gepflegt von seiner Frau, aufgemuntert von Besuchen seiner Freunde und seiner Kinder. Diese Kur war doch eine Schnapsidee. Sie diente doch nur dem Zweck, die leer stehenden Kurkliniken mit Privatpatienten zu füllen.

      Lotte hielt es für besser, diese Gedanken für sich zu behalten.

      Sie würde ihn morgen früh zum Bahnhof bringen, so, wie man es von einer guten Ehefrau erwartete.

      Gestern hatte sie sich beiläufig nach Schwester Gabi erkundigt. Sie hatte sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Aber der Verdacht, dass Gabi, die ja offensichtlich ein Auge auf Reinhard geworfen hatte, vielleicht auch in Bad Kissingen eine Kur antrat, bestätigte sich nicht.

      „Schwester Gabi ist nicht mehr hier auf der Station tätig. Sie arbeitet jetzt in der Registratur“, hatte die Oberschwester berichtet und Lotte triumphierend angelächelt. Seltsamerweise empfand Lotte keine Schadenfreude bei dieser Mitteilung, im Gegenteil, irgendwie tat Schwester Gabi ihr plötzlich leid.

      Nach Reinhards Zusammenbruch tranken sie Kaffee im Schwesternzimmer und dabei hatte sie eine ganz andere Gabi kennengelernt. Eine, die aufmerksam zuhören konnte, die aus ihrem Geheule und Gestammel herausgehört hatte, wie verzweifelt sie war.

      Doch bevor sie das Gespräch vertiefen konnten, war die Oberschwester aufgetaucht und Gabi musste eine erneute Standpauke über sich ergehen lassen.

      Danach hatten sie sich nicht mehr gesehen. Die Versetzung in die Registratur war mit Sicherheit eine Art Bestrafung, die Arme …, dachte Lotte.

      Andererseits, warum war sie auch so zickig zu ihr gewesen?

      Nein, sie würde nicht noch einmal mit der Oberschwester sprechen und aufklären, dass Gabi eigentlich nicht schuld war an dem Zusammenstoß im Krankenzimmer.

      Bei dem Gedanken an Gunilla von Wolfersdorff spürte Lotte ein Ziehen im Magen. Der erste Anschein war wohl falsch gewesen, diese Dame war alles andere als sympathisch!

      „Von Schwester Gabi kann ich mich gar nicht mehr verabschieden“, unterbrach Reinhard Reinermann plötzlich die Stille und Lotte spürte wieder einmal, dass ihre Gedanken ihren Mann erreichen konnten.

      „Ich habe gehört, sie arbeitet jetzt in der Registratur. Warum sie diesen Wechsel wohl gemacht hat? Wahrscheinlich ist da weniger Stress. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass diese lebhafte Frau sich in einem Ablagekeller wohlfühlt.“

      Reinhard sah seine Frau erstaunt an.

      „Und ich dachte, du magst sie nicht.“

      Reinhard Reinermanns Abreise nach Bad Kissingen klappte wie am Schnürchen. Pünktlich wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, pünktlich erschien seine Frau, um ihn abzuholen, pünktlich lief der Zug im Dortmunder Hauptbahnhof ein.

      Als Charlotte ihrem Mann am Bahnsteig mit einem Taschentuch hinterher winkte, musste sie schlucken. „Nein, fang jetzt bloß nicht an zu flennen, blöde Kuh“, schimpfte sie sich selbst aus.

      „Er ist weg und jetzt denkst du mal ein bisschen an dich!“

      Mit energischen Schritten verließ Lotte das Bahnhofsgebäude.

      Sie lenkte das Auto durch den lebhaften Vormittagsverkehr und sah plötzlich vor sich das Hinweisschild mit der Grafik, die die Westfalenhalle symbolisierte.

      Westfalenpark, schoss es Lotte durch den Kopf. Warum nicht? Ein Spaziergang im Frühling durch den Park war bestimmt herrlich. Das Haus und der Garten konnten warten. Sie wollte ihre neue und so ganz und gar ungewohnte Freiheit genießen.

      Ohne weiter nachzudenken, reihte sich Lotte in die Abbiegespur ein und fuhr Richtung Westfalenpark.

      Sie parkte unten an der Buschmühle. Dort war jetzt am Vormittag der Parkplatz menschenleer und das war Lotte nur recht. Schließlich wollte sie nicht unbedingt gesehen werden, denn wie wollte sie erklären, dass sie mitten in der Woche morgens um 11.00 Uhr im Park spazieren ging?

      Lotte holte tief Luft. Warum war es ihr immer so wichtig, was andere dachten und sagten, warum wollte sie immer so perfekt sein und warum drehte sich in ihrem Leben alles nur um Reinhard, das Haus und die Kinder? Hatte sie kein Anrecht auf ein eigenes Leben, auf eigene Bedürfnisse, eigene Gefühle?

      Die Sonne schien warm, als Lotte den Weg vorbei am Buschmühlenteich nahm und dann rechts zum Japanhaus abbog. Sie war lange nicht mehr hier gewesen. Schon von Weitem sah sie die japanischen Kirschbäume leuchten. Die rosa Blütenpracht war überwältigend. Lotte stellte sich direkt unter einen Baum, schaute nach oben und sah nichts anderes als üppige Blüten. Sie begann langsam, sich im Kreis zu drehen, und die Blüten drehten sich mit, verschmolzen wie in einem Kaleidoskop miteinander, eine rosa Spirale, die sich immer und immer wieder änderte und doch ihre Schönheit beibehielt.

      Lotte spürte, dass ihr schwindelig wurde und sie schloss die Augen. So blieb sie stehen, atmete den süßen Duft der Blüten ein und sah deren Pracht auch mit geschlossenen Augen.

      Als der Schwindel nachließ, wagte Lotte, wieder hochzuschauen. Und dort, unter dem vergänglichen Traum einer japanischen Kirschblüte kam Lotte zu einer überraschenden Erkenntnis: „Du vergeudest deine beste Zeit!“

      Lotte stürzte ans Telefon, als es klingelte.

      „Reinhard, endlich, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Warum rufst du erst jetzt an?“

      Reinhard Reinermann überhörte den leisen Vorwurf seiner Frau und berichtete von der tollen Kurklinik, seinem schönen Zimmer, dem schmackhaften, aber dennoch gesunden Essen und den medizinisch so wichtigen Therapien. Lotte runzelte die Stirn, soviel Euphorie war sie von Reinhard eigentlich nicht gewohnt. Trotzdem hörte sie sich geduldig die Schilderungen ihres Mannes an und freute sich für ihn.

      „Und sonst, wie geht es dir denn gesundheitlich, Reinhard?“

      „Oh, ich bin sehr zufrieden, Lotte. Ich glaube, ich bin hier in den besten Händen. Auch mit den anderen Kurenden hab ich großes Glück. Man lernt hier interessante Leute kennen. Aber am wichtigsten ist natürlich die medizinische Kompetenz hier. Du wirst sehen, wenn ich wieder nach Hause komme, bin ich ein ganz neuer Mensch.“

      Insgeheim wartete Lotte darauf, dass ihr Mann sich auch nach ihrem Befinden erkundigte, aber er schien daran gar nicht zu denken. Also berichtete sie nicht von den quälenden Rückenschmerzen, die sie seit ein paar Tagen plagten und die einfach nicht weggehen wollten. Jeden Abend saß sie mit dem Wärmekissen in ihrem Fernsehsessel, doch der Schmerz wurde immer schlimmer.

      Aber warum sollte sie Reinhard damit belasten, jetzt, wo es ihm endlich etwas besser ging?

      Also erkundigte sie sich noch nach dem Wetter und beendete dann das Gespräch, in dem sie ihrem Mann versicherte, dass sie ihn liebe.

      „Ich dich auch“, antwortete er, aber sie fand, dass sich der unvollständige Satz wie eine leere Floskel anhörte.

      Die Sitzhaltung auf dem kleinen Hocker mit dem Telefonhörer in der Hand hatte Lottes Rückenschmerzen aufflammen lassen. Stöhnend erhob sie sich jetzt, ging ins Bad, um sich die schmerzende Lendenwirbelsäule mit einer lindernden Salbe einzureiben.

      „Du musst zum Arzt“, hielt Lotte ein Selbstgespräch.


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