Problemzone Ostmann?. Ellen Händler

Problemzone Ostmann? - Ellen Händler


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eine kleine Zentrale in der Nähe der Baustelle aufzubauen, bestehend aus zwei oder drei Wohnwagen und einem Sanitärwagen. Ich übernahm die Arbeiten vor Ort und schlug vor, unsere Fahrzeuge mit Hängern auszurüsten, um nicht nur zwölf, sondern 20 Tonnen auf einmal zu transportieren. Später bat ich die Technologen, einmal auszurechnen, wie lange man denn für so eine Baugrube eines Hochhauses brauchen würde. Wenn wir es ein, zwei oder drei Tage schneller schafften, könnte man den Gewinn in DDR-Mark ausrechnen und vergüten. So entstanden für das Tiefbaukombinat ganz neue Objekt- und Brigadeverträge mit der Folge, dass meine Leute viel mehr Geld verdienten. Natürlich ging das nicht ohne Widerstände. Die Truppe war nicht homogen. Es gab schon Sprüche: »Du rote Sau, ich häng dich auf.« Es war ganz schön wild. Aber wir erhielten die höchste Auszeichnung der FDJ* auf einem Jugendfest – den Ernst-Zinna-Preis, verbunden mit 30.000 Mark Prämie. Das war das überzeugendste Argument. Danach waren wir eine echte Truppe, über ganze drei Jahre lang.

      Parallel dazu wollte ich mein vergammeltes Abitur aufbessern. So habe ich mich zwei Jahre aus eigenem Antrieb in die Abendschule gesetzt, um die beiden Vieren in Biologie und Chemie zu verbessern. Mit Zweien bewarb ich mich für einen Studienplatz im Fernstudium an der Technischen Hochschule Leipzig in der Fachrichtung Technologie der Bauproduktion Tiefbau. Ich wurde angenommen. Dann begann etwas ganz Kurioses: Man bekam, wenn man im Betrieb arbeitete und studierte – das wäre heute unvorstellbar – 56 Studientage zur freien Verwendung, ohne dass jemand gefragt hätte, was man an diesem Tag genau machte. Ich war immer noch der Brigadier und jede sechste Woche war ich die ganze Woche in Leipzig oder in Berlin an der Uni. Und das viereinhalb Jahre lang, verbunden mit einem Kaderentwicklungsplan. Ich sollte nach Abschluss des Studiums Produktionsdirektor des Tiefbaukombinats werden. Mein Grundstudium absolvierte ich in Leipzig, das Fachstudium in Berlin an der Humboldt-Universität. Das waren noch einmal drei Jahre unbeschwerte Zeit mit 56 Studientagen, die schon mal Badetage wurden. In Vorbereitung meiner späteren Tätigkeit als Produktionsleiter wurde ich als Bauleiter eingesetzt, zuständig für die Verkehrsbauten des neuen Stadtbezirks Berlin-Hohenschönhausen. Der Verdienst ging damit von 700 auf 1.100 Mark hoch, was natürlich nicht so viel war, wie die Kraftfahrer bekamen. 1982 erreichte mich die Anfrage, ob ich nicht die Streckenbauabteilung für die Tatrastraßenbahnen*, einem Betrieb der Deutschen Reichsbahn, übernehmen wollte. Das schlagende Argument waren 340 Mark mehr Gehalt. Das hat mich interessiert, zumal ich ohnehin nicht Produktionsdirektor werden wollte. So wurde ich 1984 der Bauleiter für die Tatrabahnen.

      Zu diesem Zeitpunkt zerbrach meine erste Ehe mit zwei Töchtern. Sie war aus meiner Sicht zerrüttet. Sicherlich trug dazu bei, dass ich mich kurz vorher in eine Kommilitonin verliebt hatte. So stellte ich für meinen Eintritt in die Tatra-Bauleitung die Bedingung, dass sie dort auch tätig sein kann. Sie wurde Disponentin und ich Bauleiter. Wir bauten zusammen die Tatrastraßenbahn von Berlin-Springpfuhl bis zur Wendeschleife Ahrensfelde. Als die Aufgabe der Verkehrserschließung des Wohngebiets in Berlin-Hellersdorf für 80.000 Leute anstand, wurde ein neuer Betrieb der Deutschen Reichsbahn gegründet. Auftrag war der Neubau der U-Bahn-Strecke nach Hönow, ein 800 Millionen DDR-Mark Projekt. Dort wurde ich Haupttechnologe, verantwortlich für die Koordinierung aller dort eingesetzten 48 Kreisbaubetriebe aus der ganzen DDR. Die hätten lieber im Vogtland oder an der Küste in ihrem eigenen Kreis gearbeitet als Stellwerke oder Bahnhofsgebäude in Berlin zu bauen. Und alles stand unter Zeitdruck. Diese Strecke in nur zwei Jahren zu planen und zu bauen wäre heute undenkbar. Wir hielten den Termin. Pünktlich eröffnete die neue U-Bahn-Strecke am 30. Juni 1989. Danach suchte ich nach einer neuen Herausforderung, zumal zu dem Zeitpunkt meine Ex-Frau und meine beiden Töchter per Ausreiseantrag das Land in Richtung Westberlin verlassen hatten. Das traf mich schwer. Ich nutzte nun alle meine inzwischen guten Beziehungen, um für den Umbau des Bahnhofs Zoo in Westberlin zuständig zu werden. Der unterstand der Deutschen Reichsbahn der DDR. Zwischen Juli 1989 und Januar 1990 überprüfte man meine Kaderakte. Das Thema war mit der Wende erledigt.

      Mit dem 9. November änderte sich für mich eigentlich alles. Endlich konnte ich meine Töchter wiedersehen. Inzwischen hatten meine zweite Frau und ich zwei Söhne miteinander. Mit ihr bin ich jetzt seit 36 Jahren verbunden. Gewohnt haben wir damals in Berlin-Hellersdorf in einer Neubauplattenwohnung mit 86 Quadratmetern für 80 Mark. Und das in sehr schöner Umgebung direkt am Stadtrand mit sehr vielen jungen Leuten. Meine Frau hatte einige Verwandte im Westen, unter anderem einen sehr netten Patenonkel, einen Braunschweiger Gynäkologen. Bei unserem ersten Besuch umarmte er mich und erklärte mir, dass ich doch blöd wäre, wenn ich weiterhin als Angestellter arbeitete. Viel besser wäre es, selbst eine Baufirma zu gründen. Vieles war zu bedenken. Ich war entschlossen, quittierte meinen Job und begab mich auf die Suche nach einem Grundstück. Das brauchte man, um Maschinen abstellen zu können. So fuhr ich nach A., das ich 1974 nach dem Abitur verlassen hatte. Dort hatte gerade ein junger, 28-jähriger Bürgermeister aus der DDR-CDU seine Arbeit aufgenommen. Er war sofort bereit, mir eine Fläche zuzuweisen. Den amtlichen Vermerk für meine Tiefbaufirma gab mir der Kreisbaudirektor. Er setzte den DDR-Stempel auf einen DDR-Kopfbogen. So war meine Firma für Tief- und Straßenbau am 9. Februar 1990 etabliert. Mein Nachfolger bei der Bahn überließ mir einen alten kleinen Bagger und einen Radlader und ein paar Aufträge. Nur Arbeitskräfte fehlten mir. Es gab nämlich keinen Arbeitsmarkt. Also suchte ich und fand einen notorischen Trinker und zwei Stasileute, die früher auf der Autobahn die Fahrzeuge kontrolliert hatten. Einen Mitarbeiter aus der alten Firma überzeugte ich auch. Mit vier, fünf Leuten und unserer Hände Arbeit begannen wir, unser Geld zu verdienen. Nach dem ersten Monat stand auf unserer Rechnung ein wahnsinniger Betrag von 88.000 Mark. Das war ein Erfolg. Dann hörten wir im Radio von einem Kredit, einem Sonderprogramm für ostdeutsche Betriebe. Wir gingen zur Dresdner Bank. Man erklärte uns, dass Baubetriebe gefördert würden, und fragte, wie viel Geld wir denn haben wollten. Da schoss ich sofort heraus: 400.000 DM. Und die Sachbearbeiterin: »Ja, das ist in Ordnung. Kommen sie morgen früh um 8:00 Uhr das Geld abholen.« Davon kauften wir sofort vernünftige Arbeitsgeräte. Im Nachbardorf machte mich eine junge Bürgermeisterin darauf aufmerksam, dass die Oberfinanzdirektion in Cottbus Gelder für Bauprojekte verteilte. Ich überzeugte sie, für ihr Dorf eine Entwässerungsanlage zu bauen. Die Projektunterlagen lagen seit Jahren im Dorfarchiv. Damit fuhren wir beide nach Cottbus. Wir saßen zusammen mit 50 Bürgermeistern. Dort hieß es, dass nur der Geld erwarten könne, der bereits ein fertiges Projekt hätte. Das konnte die Bürgermeisterin des Nachbardorfs vorlegen. Das Projekt wurde für gut befunden. Auf die Frage, was das denn koste, rutschte mir raus: »2,6 Millionen.« Sie bekam die Bewilligung. So bauten wir die Entwässerung und unsere kleine Baufirma entwickelte sich, bis ich eines Tages in Berlin meinem alten Vorgesetzten, dem Vizepräsidenten der Reichsbahn Baudirektion, begegnete. Er wäre jetzt der Sprecher der Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit, obwohl er ein Absolvent der Parteihochschule Moskau war. Er schlug mir vor, meine Aktivitäten wieder mehr auf Eisenbahn-Bauarbeiten zu verlegen. Wir waren nun inzwischen 60 Leute und bauten von 1994 bis 2002/2003 in ganz Deutschland Eisenbahnstrecken. Zur Jahreswende 2002 wurde die Sache komplizierter. Es kam zu sehr vielen Insolvenzen. Meine Firma musste geschlossen werden, weil wir leichtsinnigerweise an einem Großprojekt, der Schnellverbindung München-Nürnberg, beteiligt waren, die wegen technischer Fehler in der Projektierung anderthalb Jahre auf Eis lag. Die auflaufenden Kosten beliefen sich auf erhebliche Größenordnungen. Meine Tätigkeit im Bausektor stellte ich 2006 endgültig ein.

      Dazu muss man wissen, dass meine Frau ab 1990/91 eine eigene Baufirma gegründet hatte. Eine Reihe meiner Erfahrungen konnte sie nutzen. Arbeit gab's genug. Diese Firma gibt es bis heute. Sie ist sehr erfolgreich, gerade auch als verlässlicher Partner der Deutschen Telekom bei der Erschließung in Berlin und im ganzen Bundesgebiet. Meine Frau führt diese Firma immer noch. Ich aber beschloss, mich mit 51 Jahren aus diesem Sektor zu verabschieden.

      Es war mir körperlich und seelisch zu viel geworden. Ich hatte nervliche Probleme wegen des Stresses: Von früh bis in die Nacht, fast jeden Tag in der Woche nur unterwegs zu sein und die Familie nicht zu sehen, das war zu viel. Wir hatten Baustellen in ganz Deutschland, die ich täglich aufsuchen musste. Wir bauten den Bahnhof Bitterfeld, die Strecke Rostock-Wismar, Nürnberg-Ingolstadt, diverse Brücken im Raum Leipzig, in Mecklenburg-Vorpommern, in Frankfurt oder Berlin, insgesamt mehr als 400 bis 450 Kilometer Eisenbahnstrecke. Für mich war es einfach genug. Bei einem Urlaub 2006 eröffnete ich meiner Frau, dass ich eine Farm für die Zucht wilder Tiere gründen wollte. Das war zu


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