Problemzone Ostmann?. Ellen Händler
Bank nach der Wende eröffnen wollte und um meine Zustimmung gebeten wurde.
Nach wie vor stört mich die Bewertung derer, die uns die Freiheit zur Wende brachten. Dass die ehemalige SED als Partei weiter existieren kann, sich nie grundlegend mit ihren Fehlern auseinandersetzen musste, sich nicht neu gründete, sondern mit den alten Kadern weitergeführt wurde, finde ich nicht in Ordnung. Den rechten Rand, deren Forderungen und Hass, zum Beispiel gegen die Juden, kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Andererseits muss man aber bestimmte Themen, die auch von der AfD aufgegriffen werden, diskutieren. Man darf sie nicht totschweigen. Dass das nicht funktioniert, haben wir in der DDR erlebt. Es wird in der Gesellschaft immer unterschiedliche Ansichten geben, von Links, Mitte und Rechts. Man muss über diese intensiv diskutieren und natürlich Auswüchse mit dem Rechtsstaat bekämpfen. Ich würde mir wünschen, dass man sich heute nach über 30 Jahren mehr und intensiver mit der DDR-Geschichte, den Parteien, mit dem widersprüchlichen Leben auseinandersetzt.
Alfred, Jahrgang 1929 | 3 Kinder, verwitwet
Ost: Werkzeugmacher, Pionierleiter West: Tierparkbegleiter
Jugendherbergsleiter, Produktionslenker
FDJ* – diese drei Buchstaben gehören zu meinem Leben
wie Vater und Mutter
Das letzte Aufgebot, ich gehörte dazu. 15-jährig waren meine Klassenkameraden für »Führer und Vaterland« als Soldaten der HJ-Division Dresden in Altenberg/Erzgebirge von der SS in den Tod getrieben worden. Nur einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass ich zu diesem Zeitpunkt, am 9. Mai 1945, nicht mehr Teil dieser Einheit war. Für mich war der Krieg zu Ende, als einige Tage vorher unsere Gruppe im Müglitztal Panzer der Roten Armee mit unseren Panzerfäusten aufhalten sollten. Aber es kamen keine. Ein junger Leutnant der Wehrmacht fragte, ob wir mit ihm zu den Amis durchbrechen wollten. Wir wollten. So landeten Karabiner und Munition im Fluss.
FDJ* – diese drei Buchstaben gehören zu meinem Leben wie Vater und Mutter. Es waren junge Antifaschisten der Antifa-Jugend Loschwitz und später die Kommunisten im Werkzeugbau des Sachsenwerkes/Niedersedlitz, die mir halfen, das faschistische Gedankengut aus dem Gehirn zu schwemmen. Elternhaus, Schule, Jungvolk und Hitlerjugend hatten es von früher Kindheit an bei mir und vielen meiner Altersgenossen tief im Kopf verwurzelt. Immer mehr wurde mir klar, was wir doch für eine betrogene Generation waren. Der größte Teil meiner ehemaligen Klassenkameraden aus der 17. Volksschule Dresden konnte diesen Prozess nicht mehr erleben. Sie waren für »Volk und Vaterland« gestorben.
Im Sachsenwerk/Niedersedlitz (SW) hatte ich meine Lehre als Werkzeugmacher 1943 begonnen und 1946 mit der Facharbeiterprüfung im »Roten Werkzeugbau« bestanden. Dies hieß so, weil hier eine Gruppe von Kommunisten tätig war, die während der Nazizeit als Mitglieder der VKA (Vereinigte Kletterabteilung, auch »Rote Bergsteiger« genannt) aktiv gegen die Nazis kämpften und dafür kurz nach der Machtergreifung der Nazis 1933 in eines der ersten Konzentrationslager, die Burg Hohnstein (Sächsische Schweiz), verbracht wurden. Gebrochen werden konnten sie aber nicht. Anfang März 1946 hatte ich ein Erlebnis, welches für mein Leben von großer Bedeutung werden sollte. Ich begleitete meine neuen Freunde der Antifa-Jugend Loschwitz in den Saal des Sachsenverlag Dresden. Hier fand die Gründung der FDJ* in Sachsen statt. Der Saal war brechend voll mit Jungen und Mädchen und ihren älteren Gefährten. Ich stand ganz hinten am Eingang. Ich gehörte ja nicht dazu, war nur Gast. Es wurden Reden gehalten. Das meiste verstand ich nicht. Alles war so neu, obwohl es die Sprache meiner Loschwitzer Freunde war. Am Schluss sang ein Chor ein Lied – und viele stimmten ein, nur einer nicht. Ich! »Es rosten die starken Maschinen ...« Das war die Sprache, die jeder verstand. Ich wollte mitmachen. So wurde ich am 13. September 1946 als Mitglied der FDJ* im Sachsenwerk aufgenommen.
Die FDJ-Gruppe von nicht einmal 30 Freunden wurde meine erste politische Heimat nach dem Krieg. Mitte 1948 wurde die FDJ-Leitung zu unserem sowjetischen Generaldirektor des SDAG* eingeladen. Noch in Uniform der Sowjetarmee hörte er sich unsere Nöte an. Dann sagte er: »Ihr müsst einen Wettbewerb machen. Kommt wieder und schreibt auf, was ihr als Prämien ausgeben wollt.« So entstand die Idee unseres ersten innerbetrieblichen Wettbewerbs. Viele Prämien wurden gebaut. Ich gehörte zu einer Gruppe, die Spielzeug für die Betriebskinder aus Blech bastelten. Am Schluss konnten sich viele Kinder über die Mini-Trümmerlok mit ihren Loren freuen. Mit solchen Initiativen wuchs unsere FDJ-Gruppe bis Ende 1948 auf über 300 Freunde. Von meinen Freunden wurde ich im März 1949 zum hauptamtlichen Pionierleiter gewählt und begann am 1. April meine Tätigkeit an der 88. Grundschule in Dresden-Pillnitz. Für die 180 Schulen gab es damals acht Pionierleiter. Nur wenige hatten zuvor mit Kindern gearbeitet. Logisch, dass wir zusammenhielten, wie eine kleine Familie. Wir teilten oft unser (karges) Brot, wie Geschwister. Als Werkzeugmacher verdiente ich immerhin um die 400 Mark. Das war damals ein recht guter Lohn. Natürlich nicht im Verhältnis zu den Schwarzmarktpreisen: Zwei Kilogramm Brot kosteten 80 Mark, eine (!) Zigarette im Schnitt drei Mark. Unser ›fürstliches Gehalt‹ als Pionierleiter betrug lange Zeit monatlich 180 Mark (brutto), das waren 168 Mark netto, und reichte vorne und hinten nicht.
Meine ersten Erfahrungen bei der Organisation, Versorgung und Betreuung vieler Kinder machte ich 1949 als Lagerleiter im Pionierlager Bräunsdorf. Dort hatte mich ein Mädchen beklaut. Meine 18 Mark waren weg, die Kinder waren alle so traurig und sammelten für mich. So kamen acht Mark zusammen.
Silvester 1948 begegnete ich meiner Inge das erste Mal im Erbgericht Kreischa. »Erbgericht« heißen hier die Dorfgaststätten. Als wir uns einige Zeit darauf wieder trafen, wurden wir uns einig, unser Leben zukünftig gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Edith verbringen zu wollen. Im Rosengarten an der Elbe steckten wir uns am 26. Juli 1949 die versilberten Ringe an die Finger. Jetzt waren wir verlobt! Ein Jahr später wanderten sie von der linken an die rechte Hand. Wir wurden Mann und Frau. Ab Februar 1950 lebten wir drei Erwachsene, Inges Oma kam zu uns, in zwölf Quadratmeter zur Untermiete unter dem Dach. Zumindest hatten wir fließendes Wasser, wenn auch nur bei Regen die Wand herunter. Sonst schleppten wir das Wasser von der ›Plumpe‹ auf dem Hof herauf. Wenigstens einen Ausguss gab es neben dem Kohleherd in der ›Küche‹. Im Winter fror das Wasser im Glas auf dem Nachttisch. Die Schlafzimmermöbel hatten wir auf Raten gebraucht gekauft. Wegen der Dachschräge zahlten wir nur für sechs Quadratmeter Miete, insgesamt 20 Mark. Unsere Wohnung erreichten wir über die ›Hühnerstiege‹, die Inge, hochschwanger, auf dem Hintern herunter segelte. Zum Glück kam sie mit nur ein paar blauen Flecken davon. Den Kampf um eine neue Wohnung habe ich gewonnen, weil ich eine Aktivistenurkunde von 1948 vorweisen konnte. Mit dem Einzug in die neue Wohnung musste ich lernen, die Vaterrolle zu spielen. Im Februar 1952 gab unsere Tochter Marita ihr erstes Brüllerchen von sich.
Große Hilfe erhielten wir von Oma Zuber, Inges Großmutter. Sie schlief neben dem Baby. Oma Zuber war die wichtigste Person in Inges Leben. Die Familie war aus Tschechien ausgewiesen worden, im Rahmen des Beneš-Dekret*. Inge trat als junge Kommunistin in die Fußstapfen von Opa und Vater und wurde jung Mitglied der Partei. Im gleichen Betrieb wie Vater arbeitete sie als Kernmacherin. Das war eine schwere Arbeit in der Gießerei. Auf der Kreisparteischule erwarb sie sich 1948 nicht nur erste Kenntnisse in den Gesellschaftswissenschaften, sondern verliebte sich auch noch in ihren Lehrer. Ergebnis: Edith, geboren am 21. Mai 1949. Dumm nur, dass der Herr Papa nicht der Papa sein wollte. So bot ich mich später an, Edith zu adoptieren. Inges Mutter war dagegen, nahm Edith zu sich. Sie hat nicht eine Nacht bei uns geschlafen. Entsprechend war die Bindung meiner Kinder zu ihr.
Unvergesslich waren für mich die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin vom 5. August bis zum 19. August 1951. Sie standen unter dem Motto: »Für Frieden und Freundschaft – gegen Atomwaffen«. Teilnehmer: 26.000 Jugendliche aus 104 Ländern, Ehrenpräsident war Prof. Joliot-Curie aus Frankreich, Präsident des Weltfriedensrates. Trotz vieler Repressalien durch die Polizei nahmen mehr als 35.000 junge Menschen aus der BRD und aus Westberlin am Festival teil. Danach wurde ich Instrukteur in der Stadtleitung der FDJ* Dresden. Wir bereiteten das erste Pioniertreffen im August 1952 in Dresden vor. Besonders viel Kraft steckten wir in die Vorbereitung der Pionierparade, die Pionierfeste im Großen Garten und im Pionierpalast, die Auftritte von Kulturgruppen, die Wettkämpfe der jungen Sportler im Rudolf-Harbig-Stadion. Martin Andersen Nexö,