Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek

Die Doors, Jim Morrison und ich - Ray  Manzarek


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Nachtclub mitten in der South Side. Ein ­blutrotes Neonschild vorn im Fenster mit der Aufschrift PEPPER’S LOUNGE lockte zum Eintreten. Die Stühle und Tische waren aus Holz und kündeten noch von einer ­anderen Ära – in den Dreißigern war der Laden wohl mal eine Flüsterkneipe gewesen. Der Tresen wurde von unten mit Neonlicht beleuchtet, damit die Bar jenen Film-noir-Touch bekam. An diesem Wochenende, als ich meine heidnische Taufe ­empfing, war der Club rappelvoll. Vielleicht 350 Zuschauer, darunter drei Weiße, ich und zwei Schulfreunde, Dick Ellman und Frank Mazzoni. Drei weiße Jungs auf der Suche nach der Wahrheit. Und die fanden wir in dieser Neonspelunke.

      An jenem Abend spielte Muddy für sein Publikum, für die Arbeiter Chicagos. Für Männer, die wie mein Vater in der Autoindustrie, beim Flugzeugbau oder bei der Landmaschinenproduktion beschäftigt waren. Fabrik­arbeiter aus der Stadt der breiten Schultern. Gewerkschaftsleute. Männer mit gutbezahlten Jobs. Männer, die für ordentliches Geld ordentlich arbeiteten. Und jetzt war Wochenende. Sie hatten Geld in der Tasche. Sie waren hier, um den großen Muddy Waters zu sehen.

      I’m drinkin’ T.N.T. I’m smokin’ dynamite

      I hope some screwball starts a fight.

      ’Cause I’m ready, ready as anybody can be.

      I’m ready for you, I hope you’re ready for me.

      – Willie Dixon

      Sie hatten sich herausgeputzt. In einem Blues-Club. Die Männer trugen Schlips und Kragen. Die Frauen kamen frisch vom Friseur, hatten Parfüm aufgelegt und sich feingemacht. Jeder war gut angezogen. Schließlich war es etwas ­Besonderes, wenn man abends ausging. Die Männer der South Side von Chicago gingen mit ihren Ehefrauen oder Freundinnen ins Pepper’s Lounge, um sich einen schönen Abend zu machen, mit ein paar Drinks und einer Show. Aber dieser ­Showman war ein Schamane reinsten Wassers.

      Muddy war an jenem Abend in großer Form. Er brannte. Er war der Bluesman in Vollendung, und ich erlebte eine der überwältigendsten Vorstellungen meines Lebens. Muddy schlug uns alle in seinen Bann, niemand konnte sich entziehen. Er war in seinem Element. Er spielte nicht vor einem weißen Studentenpublikum oder trat beim Newport Folk Festival vor Dilettanten auf, die ihn gar nicht recht zu schätzen wußten. Nein. Dionysos war in seinen Tempel zurückgekehrt, und seine Anhänger bezeugten ihre Ergebenheit. Und er gab es uns!

      I want you to rock me

      Rock me all night long.

      I want you to rock me, baby

      Like my back ain’t got no bone.

      – Muddy Waters

      Die Band wußte genau, worauf es ankam und spielte fordernd und präzise: Schlagzeug, Baß, Gitarre, Klavier und Mundharmonika. Eine typische Bluesband aus Chicago. James Cotton griff zur Mundharmonika – Little Walter weilte zu jener Zeit leider schon nicht mehr unter uns –, und der überragende Otis Spann saß am Klavier. Spann war der Größte. Er und Johnny Johnson, der bei Chuck Berry ­spielte: Diese beiden zeigten mir, was Blues/Rock-Piano bedeutet. Sie waren die Meister dieser Kunst. Indem ich ihnen zuhörte, fand ich den Weg in das Labyrinth: Der Weg war die Stille. Die Pause. Denn es geht so: Du läßt dem Gitarristen Raum, sich auszudrücken, vielleicht begleitest du ihn ein wenig und spielst eine kleine, einfache Figur, die ihm als Grundlage zum Improvisieren dienen kann. Aber du läßt ihm Spielraum für sein Statement … und dann antwortest du ihm. Genauso läuft es mit dem Sänger. Doch sobald die Zeit für dein eigenes Solo gekommen ist, führst du selbst. Dann liegt die ganze Energie bei dir. Wenn ich ein Solo spiele, bin ich der Herr und Meister. Ich habe es in der Hand, wohin der Song geht und wie er sich entwickelt. Alle müssen sich mir unterordnen. Ich kriege Krämpfe, ich flippe aus … und dann füge ich mich wieder und verschmelze erneut mit der Energie der Band. Mit der kollektiven Energie. Dann bin ich wieder ein Rädchen im Getriebe.

      Das Geheimnis liegt im Zuhören. Du mußt den anderen zuhören, ihnen Raum lassen, du mußt das, was sie rüberbringen wollen, mit kleinen Tupfern ­ergänzen, und dann kannst du ihren Statements mit der eigenen durchdachten und geistreichen Aussage antworten. Und: „Üben, üben, üben!“

      Daher war es einfach das Größte, Otis Spann zu sehen. In diesem Club zu sein und Otis und Muddy live zu erleben … mir fehlen schlicht die Worte. Sie hatten eine Ebene erreicht, für die es keine Worte gibt. Die Ebene, auf der Energien und Vibrations fließen. Wo die Elementargeister zu Hause sind. Die innersten Kräfte. Und sie nahmen uns alle mit. Als der Abend fortschritt und der Blues immer stärker seine Zauberkraft entfaltete, begannen die Herren mit Schlips und Kragen und die frisch frisierten und mit Schmuck behängten Damen zunehmend lockerer zu werden. Der oberste Knopf wurde aufgemacht, der Schlips ein wenig heruntergezogen, so daß die arbeitende Halsmuskulatur, die solche Fesseln nicht gewöhnt war, Platz bekam. Das Haar der Ladies begann sich aus der sauber ­auftoupierten Frisur zu lösen. Eine Locke machte sich frei und rutschte ein wenig in die Stirn. Die war mittlerweile feucht und glänzte verschwitzt. Ein Tropfen Schweiß fiel von der Nase eines der Gentlemen herunter. Die Hitze steigerte sich ständig … und die nächste Runde Drinks wurde serviert. Die Stimmung stieg. Die Atmosphäre wurde dunkler und intensiver. Die Hemmschwelle sank, Konven­tionen gerieten in Vergessenheit. Und dann begann das Publikum, mit Muddy auf der Bühne zu sprechen. „Los, Muddy! Mach schon, Mann! All right, all night!“ Auf solche Zwischenrufe reagierte er mit kleinen Gesten, mit einem kurzen Hüftwackeln, oder er fuhr sich blitzschnell mit der Hand über den Schritt, bis dann, später am Abend, das beste Stück von Mr. Morganfield auch mal kurz und kräftig angepackt wurde. Ein paar Frauen quiekten dann richtig. Ein kleiner Schrei des Entzückens, der Vorfreude. Ich drehte mich um, und die Ladies kicherten, während ihre Männer die Augen halb geschlossen hielten und sich in den Hüften wiegten. Das Pepper’s Lounge war wie elektrisiert. Mann, was für ein Abend! Die Leidenschaft und die unbändige Kraft, die hier entfesselt wurden, überwältigten den weißen Boy.

      Ich begriff in diesem Moment, daß ich ein fremdes Reich betreten hatte, das Reich des Dionysos, in dem die Kraft der Fruchtbarkeit herrschte. In Europa – der westlichen Zivilisation – hätte man von Düsternis gesprochen; aber diese Düsternis war nicht negativ, es war die Düsternis der Fruchtbarkeit. Die Düsternis der Langeweile. Dort war der Sex zu Hause, hier lagen die regenerativen Kräfte der Erde. Die ganze Natur, alle Lebewesen erneuern sich über diese dunklen Energien. Die dionysischen Energien. 1958 in Chicago hatte ich noch keine Ahnung, wie man das nannte, aber ich wußte, daß ich hier etwas erlebte, was mir noch nie zuvor ­begegnet war. Es war nichts Europäisches. Es war nicht sauber oder ordentlich. Es war nicht korrekt. Aber es war so voller Leidenschaft und Frohsinn, daß ganz ­zweifelsfrei feststand: So mußte man sein Leben leben.

      An jenem Abend im Pepper’s tanzten und bewegten sich die Menschen auf ihren Stühlen, an der Bar, in den Gängen. Eine Tanzfläche gab es nicht, dazu standen zu viele Tische im Raum. Schließlich spielte Muddy Waters, und der Laden war voll, weit über die zugelassene Gästezahl hinaus. Die Musik übertraf ohnehin alles, was sich nach jüdisch-christlichen Maßstäben schickte. Wir waren ganz nah dran, Dick, Frank und ich. Und wir waren voll dabei. Trinken, rumwackeln, lachen, reden – ganz kehlig und genußvoll. Man merkte, wie die Stimmen der Leute im Laufe des Abends unwillkürlich in eine tiefere Tonart verfielen. Vielleicht war das dem Alkohol zuzuschreiben, aber ich denke, daß es an dem dionysischen ­Freudentaumel lag, an der Leidenschaft und an dem Zauber, den Muddy ausübte. Muddy Waters zauberte wie ein echter Schamane. Das war es, was an jenem Abend lief. Es war ein schamanisches Ritual, und wenn wir bis zum Schluß, bis vier Uhr früh geblieben wären – wir gingen um zwei, das war das längste, was wir drei weißen Novizen aushalten konnten –, wer weiß, wozu wir dann in der Lage ­gewesen wären. Vielleicht hätten wir die Kranken heilen können. Oder die Toten auferstehen lassen. Wir hätten kleine Mädchen aus ihren Köpfen sprechen lassen können. Wir mußten nur bereit sein. Und … der Mojo-Zauber mußte richtig ­wirken! In dieser Nacht tat er das bei jedem. Lieber Gott, sei uns gnädig!

      ***

      Nachdem ich an der St. Rita High School meinen Abschluß gemacht hatte und diese zweitausend Jungen endgültig zurückließ, ging ich an die De Paul Universität. Das College lag in einer sehr guten Gegend von Chicago, und dort wurde Koedukation praktiziert. Ja, endlich. Mädchen! Mit dir in


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