Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek

Die Doors, Jim Morrison und ich - Ray  Manzarek


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so wie heute die Zeichentrick­serien im Fernsehen. Das war damals gerade die Übergangszeit zwischen Radio und Fernsehen, und jeder wußte, daß ich diese Samstagssendungen liebte. „The Lone Ranger“ und der großartige „Captain Midnight“ – man mußte damals einfach einen Dekoderring haben. Für zwei Sammelpunkte von den Cornflakes-Paketen und einen Vierteldollar bekam man einen kleinen billigen Plastikring, den man dann innig liebte; wenn man ihn ein paarmal benutzt hatte, ging er kaputt, aber man trug ihn trotzdem, weil es cool war, und weil man damit zu „Captain ­Midnight’s Billy Batson Boy Rangers Club“ gehörte, und zu Smiling Ed McConnel’s Gang, ­zusammen mit Froggy, dem Kobold. „Spiel deinen Zauberbogen, Froggy … boinnggggg!“ Ich liebte diese Sachen, und nun saß ich hier mit Shygoltz, ohne daß eine Lulu für uns getanzt hätte. Scheiße!

      Als ob das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre – die geistige Quälerei fing erst richtig an. Er öffnete ein rotes Notenheft, das verschiedene ­Musikstücke enthielt. Sehr einfache, kleine Stücke.

      Er sagte mit seinem osteuropäischen Akzent: „Okay, Rehmont … das ist die Musick. Und so wird sie aufgeschribben.“

      Ich sah mir das an und dachte: Das ist irgendeine Botschaft aus dem Weltall. Garantiert verfaßt von Ming, dem Grausamen. Es war nicht zu entziffern. Hätte ich doch bloß meinen „Captain Midnight“-Dekoderring mitgehabt, wünschte ich. Die Seite war mit Punkten und Strichen übersät. Irgend jemand hatte noch ein paar horizontale Linien mit Punkten über die Seite verteilt. ­Vertikale Linien faßten die Punkte zu Gruppen ohne erkennbares Muster ­zusammen. Die Punkte hatten ­kleine Stiele, die sich nach oben reckten. ­Manche Stiele hatten am Ende noch eine kleine Flagge, manche zwei Flaggen. Links am Anfang der Seite trugen die Linien ein bizarres Symbol: einen barocken Kringel, der über alle fünf Striche hinwegging. Was für eine komplizierte Geheimsprache!

      „Was bedeuten diese Punkte und Striche, Sir?“, fragte ich den kleinen ­Professor. „Das sagt mir überhaupt nichts.“

      Er kicherte. „Das iss ganz leicht, mein Kleiner. Siehst du diese Note?“

      Aha, diese Punkte mit Stielen nannte man Noten. Er zeigte auf einen Punkt unterhalb der fünf Linien, der von einem kleinen Strich gekreuzt wurde.

      „Das ist das mittlere C. Das entspricht dem mittleren C auf dem ­Klavier.“ Und er spielte ein C an. Da saß ich also vor 88 Tasten. Alle sind schwarz oder weiß. Sie sehen alle absolut gleich aus. Und Shygoltz kann sie ­irgendwie von­einander unterscheiden. Wie zum Teufel macht er das? Mein Hirn verwandelte sich in Hafergrütze. Sie sehen alle gleich aus, schrie mein Haferflocken-Hirn. All diese weißen und all diese schwarzen Tasten. Hier links sind ein paar tiefe und hier rechts ein paar hohe … aber sie sehen alle gleich aus! Das ist total verrückt! Wie kann man das jemals begreifen? Es war mir ­völlig schleierhaft, wie sich ­irgendjemand merken konnte, wo irgendwas bei diesen Tasten lag.

      Er wiederholte: „Das ist das mittlere C“ und schlug den Ton an. „Versuch du es, Rehmont.“ Er nahm meine Hand, ich streckte den Zeigefinger aus, und dann bewegte er meinen Arm rauf und runter, so daß ich den Ton mehrfach anspielte.

      Ich dachte: Laß meine Hand los! Ich bin kein Baby. Ich kann den Ton ohne deine Hilfe spielen, vielen Dank. Ich war sauer. Warum hatte mich mein Vater in dieses Höllenhaus gebracht?

      „Sehr gut, Rehmont. Jetzt spiele ich einmal das ganze Stück für dich.“

      Ich wollte ihn bremsen. Nicht weitermachen! Ich kann das nicht, dachte ich. Ich werde niemals, nicht in tausend Jahren, diese verschlüsselte Botschaft des grausamen Ming lesen lernen. Aufhören!! Aber er machte immer weiter, und das Stück, das er spielte, ging so (jetzt bitte zum Klavier gehen, lieber Leser): C-D-E, E-D-C, D-E-C. Das war alles.

      „Lei-ter auf, Lei-ter ab, jetzt ein Sprung.“

      Und mir ging ein Licht auf. Der Haferbrei war weg. Ich war wieder Raymond Daniel Manzarek Junior. Mit einem IQ von 135. Das kann ich auch! Ja! Das ist nicht zu schwer für mich, verklickerte mir mein Hirn.

      „Versuch du es“, drängte Shygoltz.

      Und das tat ich … ich klopfte mit dem Zeigefinger auf die Tasten. Das ­machte ich einmal, und dann sang ich die Worte, während ich spielte: „Lei-ter auf, Lei-ter ab, jetzt ein Sprung.“

      Und der kleine Professor grinste. „Sähr gutt, Rehmont.“

      Mein Vater klatschte in die Hände – mein erster Applaus – und strahlte ­seinen kleinen Jungen an. So fing es für mich an. Der kleine Musiker.

      And we’re on our way and we can’t turn back.

      Damit begannen lange Jahre des Übens. Eine halbe Stunde nach der Schule und eine halbe Stunde nach dem Abendessen. Die halbe Stunde nach dem Essen war kein Problem, weil meine Mutter mir hinterhältig die Wahl ließ, Klavier zu üben oder beim Abwasch zu helfen. Ich entschied mich natürlich für ersteres. Und sie liebte es. Sie machte den Abwasch und summte mit, während ihr Junge nebenan Klavier spielte, ihr Ehemann die Zeitung las und Rich und Jim auf dem Boden ­herumwuselten. Das war ihre Familie. Und sie war eine glückliche Frau.

      Das Üben nach der Schule war allerdings eine Strafe. Meine Mutter und ich ­gerieten ständig aneinander. Eine halbe Stunde nach der Schule? Kam gar nicht in Frage. Nicht für einen Jungen, dem die Energie zu den Ohren rausschoß. Ich mußte Dampf ablassen, hatte Hummeln im Hintern und brauchte Bewegung! Außerdem wohnten wir ja gerade gegenüber von der Schule mit den zwei Pausenhöfen. Den Spielhöfen. Ich konnte hören, wieviel Spaß die anderen Kinder hatten. Ich konnte das helle Geschrei und das Kreischen hören, das im Kinderhirn den Schalter für „wilde Spiele“ umlegt und das gesamte Nervensystem aktiviert. Ich lugte zum Fenster raus und sah, wie die anderen herumtollten, und natürlich wollte ich unbedingt dabeisein.

      „Ich will heute nicht üben, Mom“, quengelte ich. „Ich will raus und spielen.“

      Meine Mutter versuchte dann, ruhig zu bleiben. „Nach dem Üben kannst du spielen gehen.“

      „Aber das dauert noch endlos … ich habe keine Lust“, erwiderte ich.

      „Es ist nur eine halbe Stunde, Raymond“, sagte sie auf diese beruhigende Art und Weise, die einen jungen Wilden die Wand hochtreiben kann.

      Vielleicht kann ich mit ihr handeln, dachte ich. Mein gemeines Hirn war zu jeder Lüge bereit. „Ich hol’ es nach dem Essen nach. Dann übe ich eine ganze Stunde“, behauptete ich.

      „Raymond …“ Ich haßte es, wenn sie in diesem Ton sprach und mich ­Raymond nannte. „Du kannst mir nichts vormachen. Ich bin deine Mutter. Ich weiß genau, daß du nach dem Essen keine Stunde spielst. Dann kommst du mit der nächsten Ausrede.“ Da hatte sie natürlich recht. Und dann kam sie mir mit Vernunft. „Du verschwendest mit dem Streiten soviel Zeit. Du könntest schneller draußen sein, als du denkst, wenn du jetzt anfängst.“

      Ihre Logik war unangreifbar. Mir blieb nur noch ein Wutausbruch. „Ich hasse das Klavier“, brüllte ich. „Ich will nie wieder üben … ich hasse es!“ Was für ein Auftritt! Darauf kann sie ja wohl nichts mehr erwidern, dachte ich.

      Von wegen. Es kam die ganz große Geste, schicksalsergeben, mit zitternder Stimme und einer falschen Träne. „Wenn das so ist … dann weg mit dem Klavier. Dann schmeißen wir es einfach auf die Straße …“ Gespieltes Schluchzen. „Mir ist das egal. Dann mußt du nie wieder spielen.“ Und mit Nachdruck: „Nie wieder!“

      Hey Mom. Augenblick mal. Nie wieder? So sehr hasse ich es nun auch ­wieder nicht! Mein Hirn begann angesichts ihres Frontalangriffs fieberhaft zu ­arbeiten. Erwachsene können die Auseinandersetzung immer noch einen Schritt weiter drängen, als die Kinder es eigentlich wollen. Mit ihrer psychischen Stärke kriegen sie ein Kind ohne weiteres klein. Sie gewinnen immer. Wenn sie das ­untereinander versuchen, nennt man das Krieg. Oder Mord.

      „Okay, okay. Ich fang ja schon an“, maulte ich.

      Sie war nicht bereit, ihren Sieg so schnell zu genießen.

      „Nein. Brauchst du nicht … wir schmeißen das Klavier weg.


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