Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek

Die Doors, Jim Morrison und ich - Ray  Manzarek


Скачать книгу
paranoid. Kein Vertrauen mehr in die Energie. Die Energie, aus der wir bestehen und die das ganze Leben trägt. Das Verständnis für die Lebenszyklen ist uns abhanden gekommen. Wir können nicht einmal mehr an diese Zyklen glauben. Alles erscheint uns linear. Alles ist Fortschritt. Wir müssen von einem Punkt zum nächsten eilen. Wir müssen auf ein Ziel hinarbeiten. Wenn der jüdisch-christlich-moslemische Mensch keinen Fortschritt sieht, wird er verrückt. Wenn das Leben sich im Kreis bewegt, wird er verrückt. Wenn er nicht weiterkommt, wird er verrückt.

      Und so ist es auch – wir werden verrückt.

      Wir trafen uns später an diesem Nachmittag im Doors-Büro. Wir waren völlig entgeistert. Wir alle: John, Robby und ich, Kathy Lisciandro (unsere Sekretärin), Leon Barnard (unser Pressemann), Vince Treanor (unser Equipment- und Road­manager) und der kleine Danny Sugerman (Bürobote und Doors-Manager in spe). Wir waren am Boden zerstört. Wir hatten darauf gewartet, daß Jim zurückkam, damit wir weiterarbeiten, neue Songs ausprobieren und uns im Proberaum ­einigeln konnten. Wie hatten wir uns gefreut, wieder zusammenzuspielen, ein ­weiteres Album zu machen (die neuen Songs waren klasse), Konzerte zu geben, viel Spaß zu haben, tolle Erfahrungen zu sammeln. Und plötzlich ist es nicht nur so, daß Jim nicht wiederkommt. Er ist tot.

      Keine künstlerische Erfüllung mehr. Kein Liebesakt mehr auf der Bühne. Jim und ich, wir würden uns nie wieder wie Dionysos und Apoll ­herausfordern. Wir vier würden nie wieder diese Ebene erreichen, diesen heiligen, erleuchteten Ort, an dem die Musik der Doors gemacht wurde, nie wieder. Es war vorbei, und wir alle waren plötzlich ein bißchen weniger als früher. Nun würde immer ein Stück von uns fehlen. Unser ganzes weiteres Leben lang.

      Zweites Kapitel

      Die South Side von Chicago

      Daß mir dieses Stück einmal fehlen würde, wußte ich damals noch nicht, als ich zwischen 34. Straße und Bell Avenue in Chicago/Illinois aufwuchs und zur Schule ging. In dieser Stadt wurde ich am 12. Februar 1939 geboren. Ich wußte nur, daß ich lebte und daß das Abenteuer an eben jener Kreuzung begann. Sie war meine „axis mundi“.

      Um halb vier Uhr morgens erblickte ich zum erstenmal das Licht dieses Planeten, genau zur Stunde des Wolfes, und noch dazu am Geburtstag von ­Abraham Lincoln. Er ist auch ein Wassermann, und unsere Karte ist der Karokönig. Ich kam zur Welt im Jahr des Hasen, der das Glückssymbol unter den chinesischen Sternzeichen ist … und ich konnte mich sicher in dieser Hinsicht nie beklagen. Der Mond steht bei mir im Schützen, Jims Aszendent.

      Ich ging auf ein kleines Gymnasium, die Everett School. Dort verbrachte ich acht Jahre. Wir wohnten gleich gegenüber, 3358 South Bell Avenue. Das war sehr bequem. Ich ging jeden Tag zum Mittagessen nach Hause – hatte ich ein Glück! Meine beiden jüngeren Brüder auch, Rich und Jim. Was für ein Leben! Mama kochte zu Hause! Mein Vater, Ray Senior, arbeitete in der Fabrik von ­International Har­vester McCormick als Mechaniker. Ein ordentlicher Gewerkschaftler. Meine Mutter Helen kümmerte sich um ihre vier Männer. Sie ­machten ihre Sache beide hervor­ragend. Wunderbare Eltern. Sie gaben uns viel Unterstützung … meist jedenfalls.

      Ich bin polnischer Abstammung. Manzarek (eigentlich Manczarek geschrieben) ist ein polnischer Name. Ich gehöre zur dritten Generation, die hier ansässig ist; meine Großeltern waren mit der großen Auswandererwelle aus Ost- und ­Südeuropa Ende des letzten Jahrhunderts rübergekommen.

      Sie arbeiteten wahnsinnig hart. Und unsere Eltern arbeiteten ebenso hart und wollten, daß ihre Kinder zur Schule gingen. Damit sie mal was Besseres wurden. Damit sie eine gute Ausbildung hatten. Und die bekamen wir. Wir ­gingen aufs College. „Ihr sollt mal studieren und es besser haben als wir.“ „Klar, Mom, klar, Dad, machen wir.“ Leider gingen wir dann an die UCLA und wurden Künstler. Das hatten sie sich vermutlich anders vorgestellt. Wir sollten solide Berufe ergreifen. Ich sollte Anwalt werden. Dorothy Fujikawa – meine spätere Frau – sollte Medizin studieren. Jim Morrison sollte Diplomat werden. Wenn er nicht auf die U.S. Naval Academy in Annapolis ginge (wie sein Vater), sollte er in den diplomatischen Dienst eintreten. Jim Morrison auf der Militärakademie? Unmöglich, sich das ­vorzustellen. Anstatt also die Träume unserer Eltern zu leben, begannen wir zu ihrem großen Ärger, unsere eigenen zu entwickeln. Wir wurden Künstler! Und schlimmer noch … wir experimentierten mit Drogen. Wir konsumierten psychedelische Substanzen, rauchten Grass und durchbrachen die Bewußtseinsmauer. Der Schleier – das Netz von maya, wie die Hindus sagen – fiel von unseren Augen, als wir die Pforten der Wahrnehmung öffneten. Ich glaube nicht, daß Mom und Dad sich das so für uns gedacht hatten. „Ihr jungen Leute müßt mit dem Marihuana­rauchen aufhören“, sagte mein Vater einmal zu mir. „Aber Dad“, entgegnete ich, „ich bin jetzt glücklicher als je zuvor in meinem ganzen Leben.“ Was konnte er darauf schon sagen? „Und du solltest nicht mit dieser Chinesin zusammenleben … du weißt doch, das sind zwei Kulturen, das verträgt sich nicht.“ Ich hätte beinahe laut losgelacht. „Nein, Dad“, sagte ich mit unterdrücktem Grinsen, „erstens ist sie Japanerin, und außerdem liebe ich sie.“ Was hätte er mir jetzt erwidern können? Er ging dann meist, nachdem er gesagt hatte, was er seiner Meinung nach hatte sagen müssen, damit alles seine Ordnung hatte. Die reine väterliche Sorge. Er tat das nur, um seinen Prinzipien Ausdruck zu verleihen, seiner Auffassung davon, wie die Dinge sein sollten. Und das konnte ich ihm nicht zum Vorwurf machen. Ich liebte meinen Vater. Er starb 1986. Er hielt die Doors für das Größte, und er liebte Dorothy schließlich auch; in seinen Enkel, unseren kleinen Pablo, war er völlig vernarrt. Meine Aufnahme von Carl Orffs „Carmina Burana“ mochte er besonders. Abtrünnige Mönche und Gesänge in wildem Latein berührten ihn richtig. Er hatte sich im Alter vom katholischen Glauben abgewandt … nachdem er mit der ganzen ­Familie nach Kalifornien gezogen war. Das Licht und die Freiheit hatten schließlich auch ihn gepackt. Er wollte, daß „The Roasted Swan“ aus den „Carmina“ bei seiner Beerdigung gespielt werden sollte. Er war ein irrer Typ.

      Chicago war eine gut geplante, gut angelegte Stadt, und Familie Manzarek nutzte alles, was sie bot. Mein Vater ging mit uns überall hin. In die Parks, zu den Sommerstränden am Michigansee, in die Museen – für Naturgeschichte, für Wissenschaft und Industrie –, ins großartige „Loop“ downtown, in die ­Premierentheater wie das Chicago und das Oriental, in die Waldgebiete im Westen der Stadt, wo man zelten, Fleisch grillen, picknicken und wandern konnte, zum Soldier’s Field, wo Stockcar-Rennen und Football-Spiele stattfanden, zum Achterbahnfahren im Riverview Amusement Park, zu den Rodeos und Sportveranstaltungen im International Amphitheater und zu der jährlichen ­Automobilausstellung … wir machten einfach alles! Mein Vater war dabei immer der Anführer. Er war wunderbar. Er konnte allerdings auch ziemlich hart sein und dir einen Tritt in den Hintern geben, wenn dein Hintern das brauchte. Aber meist war er wunderbar und aufbauend, stark, männlich und ­beschützend.

      Natürlich hatte er keine Ahnung, wie ich mich mal entwickeln würde. Aber er liebte es, wenn ich mich ans Klavier setzte und ein bißchen Boogie-Woogie oder eine kleine zweistimmige Bach-Invention spielte. Dann lag er mir zu Füßen. Ich war sein Erstgeborener, und er war stolz auf seinen Nachwuchs. Er stärkte mir stets den Rücken … solange ich ordentlich zur Schule ging und gute Noten nach Hause brachte.

      Meine Mutter war in unserem Haus natürlich die ungekrönte Königin. Ihr Mädchenname war Helen Kolenda (sie erzählt gern, daß das auf Polnisch „Weihnachtslied“ heißt). Sie hat eine wunderbare Singstimme, ganz klar und rein. Sie liebt Musik, und sie liebt die Doors. Sie verliebte sich geradezu in Jim Morrison und behandelte ihn wie ihren vierten Sohn. Sie hätte ihn sicher liebend gern selbst großgezogen und sich um ihn gekümmert, so wie um ihre anderen drei Jungs. Mit ihrer Herzlichkeit und ihrer guten Küche. Mit ihrem großen, ­golden gebackenen Truthahnbraten, zart und saftig und mit einer knusprigen, knackigen Kruste. Mit ihren gebratenen, nach Knoblauch duftenden Lamm­keulen, der selbstgemachten Rinderbrühe mit Einlage, den Maiskolben und ­aufgeschnittenen Tomaten von den Bauernhöfen und Feldern der Kornkammer des amerikanischen Mittelwestens. Nicht zu vergessen das selbstgebackene Weißbrot mit Mohn, heiß und golden und mit frischer Landbutter beschmiert. Und ihre Zitronenbaiser-Pasteten, ganz süß und sauer, fast dreißig Zentimeter hoch, mit Gipfeln und Strudeln blassen weiß­goldenen Baisers. Und ihr Apfel­kuchen, den sie in großen Backformen zubereitete, außen mit zartem, weißem


Скачать книгу