Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek

Die Doors, Jim Morrison und ich - Ray  Manzarek


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dem ich sechs Jahre zuvor am Strand von Venice Beach gesessen hatte. Denjenigen, mit dem ich die Doors gegründet hatte. Den ich für einen der besten Dichter hielt, die ich je ­gelesen hatte. (Der legendäre Beat-Poet Michael McClure hat Jim als den „besten Dichter seiner Generation“ bezeichnet.) Dieser Typ war ein Künstler. Und er war mein Freund.

      „Okay, wir sehen uns, Bruder“, sagte Jim und verfiel dabei kurzzeitig in eine Art Südstaatenakzent, ein sehr charmantes Überbleibsel seiner Kindheit in Florida. Das passierte nur selten, wenn er beispielsweise unter Streß stand oder überaus glücklich war. Oder, und das kam in letzter Zeit häufiger vor, wenn eine Flasche Wild Turkey von Jim Morrison Besitz ergriff und ihn in einen Menschen verwandelte, den ich nicht kannte. Und weg war er. Verließ die Session, haute einfach ab. John, Robby und ich sahen uns wie paralysiert an. Wir konnten nur die Achseln zucken.

      „Ich halte es für eine gute Idee“, bemerkte Robby.

      „Ich auch“, nickte ich. „Paris zieht Schriftsteller an, das ist einfach so.“

      „Vielleicht findet er die Muse wieder“, äußerte Robby voller Hoffnung.

      „Aber wenn er nicht aufhört zu trinken? Dann wird er nie wieder etwas Gutes schreiben“, warf John ein, pessimistisch wie immer.

      „Mach dir keine Sorgen, John“, versuchte ich seine Bedenken zu zerstreuen. „Der Dichter steckt in ihm drin, in Paris kommt er wieder heraus.“

      „Ja“, gab John fast etwas verächtlich zurück, „und was ist mit Jimbo?“

      Wir schwiegen einen Augenblick. Stille. Ein Schatten der Angst zog über uns hinweg. John brach das Schweigen wieder einmal mit seinem nervösen Husten. Wir versuchten, einfach weiterzumachen. Es war unmöglich. Die letzten Arbeiten an „L. A. Woman“ würden nun, ohne Jim, noch einen weiteren Tag warten müssen. Wir wußten damals nicht, daß es das letzte Mal gewesen war, daß wir Jim Morrison gesehen hatten, tot oder lebendig.

       Zwei Monate später hatten wir noch immer nichts von Jim gehört. „L. A. Woman“ war unser Comeback-Album geworden. Die Kritiker waren begeistert. „The Doors are back!“ „Eine einzigartige Mischung aus Power und Präzision.“ „Ungeschliffen und echt.“ „Morrisons Verse sind klar formuliert und ausdrucksstark.“ Die erste Single „Love Her Madly“ – ein swingendes und melodisches Stück, in dem Robby Krieger eine Auseinandersetzung mit einer Freundin ver­arbeitet hatte – wurde ein Hit. Unser Radiosong. Lange, eher intellektuelle Nummern (oder Epen, wie wir sie nannten), ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Doors-Albums, gab es mit „Riders On The Storm“ und dem Titeltrack ebenfalls. „Been Down So Long“ und „Maggie M’Gill“ beackerten unsere Blues-Wurzeln. Alles war perfekt, mit einer Ausnahme … Jim war nicht da.

      Wir waren scharf darauf, mal wieder live zu spielen und fingen an zu proben und an neuen Songs zu arbeiten. Zogen unser gewöhnliches Ding durch, eben gemeinsam Musik zu machen. Robby hatte ein paar neue Kompositionen, und John versuchte sich wie ich am Songschreiben. Die Proben liefen gut, es gab erste Interviewanfragen zu „L. A. Woman“, die Plattenfirma war mit dem Album sehr glücklich, die ersten Tourangebote kamen rein, und niemand wußte, daß Jim Morrison nach Paris gegangen war, um sich dort ein bißchen zu erholen, was auch dringend nötig war. Wir hatten es nicht direkt geheimgehalten, aber außerhalb des engsten Doors-Kreises waren wir mit dieser Information auch nicht gerade hausieren ­gegangen. Daher entwickelte sich zwar alles ganz wunderbar, blieb aber letzten Endes doch in Wartestellung.

      Schließlich äußerte John ungeduldig: „Ich ruf ihn an.“ Ich entgegnete: „Warum? Laß ihn doch eine Weile in Ruhe. Er will nicht, daß ihn jemand nervt. Er wird schon anrufen, wenn er soweit ist.“ John konnte seine Anspannung nicht länger verbergen und wanderte im Proberaum auf und ab. „Ich muß es einfach wissen“, insistierte er. „Ich kann nicht mehr warten.“ Also rief er ihn an.

      Am nächsten Tag erstattete John Bericht. Alles war in bester Ordnung. Jim ging es gut, er amüsierte sich prächtig. Er hatte sich den Bart abrasiert, er war ­begeistert über die guten Kritiken, die das Album bekommen hatte, und vor allem freute er sich darauf, bald wieder aufzutreten.

      „Sobald ich zurück bin, gehen wir wieder auf Tour“, sagte er zu John. „Ich will diese Songs live spielen. Dazu hatten wir bisher ja noch nie Gelegenheit.“

      „Genau“, stimmte John begeistert zu. „Und weißt du was, wir könnten sogar einen Bassisten mitnehmen. Vielleicht sogar einen Rhythmusgitarristen. Wie auf dem Album. Ray, Robby und ich haben schon mal darüber gesprochen.“

      „Laß uns doch den Bassisten nehmen, der auch auf der Platte dabei war.“ Jim ließ sich von Johns Begeisterung anstecken. „Wie heißt der noch?“

      „Jerry … Jerry Scheff“, berichtete John über die knisternde Transatlantik­verbindung. „Und den anderen Typen nehmen wir auch, Marc Dingsbums oder wie er heißt.“

      „Hey, Scheeeiße, John, komm, los, wir buchen uns eine kleine Tour. Na, was meinst du?“

      „Wann?“

      „Wenn ich wieder da bin.“

      „Wann ist das denn? “

      „Weiß ich nicht … Ich habe hier ziemlich viel Spaß“, antwortete Jim. „Eine Weile werde ich noch bleiben.“

      „Ist okay“, erwiderte John, „ich sag’s den anderen.“

      „Grüß sie von mir“, meinte Jim. „Ach, eins noch, John.“ Jim machte eine Pause. „Versuch, cool zu bleiben, ja?“

      KLICK.

      Dies war das letzte, was wir von Jim hörten. Es war Anfang Juni. Einen Monat später, am 3. Juli 1971, starb Jim Morrison unter wirklich höchst „mysteriösen Umständen“.

      ***

      Ich bekam einen Anruf von einem Typen, der sich damit brüstete, unser Manager zu sein. Im Grunde war er unser Roadie, und eines Tages hatten wir ihn schließlich dazu befördert, das Telefon zu beantworten, und das war ihm zu Kopf gestiegen. Er wurde arrogant, und er genoß es, vor Konzertpromotern und Journalisten, die nach Interviews fragten, den großen Mann zu markieren. Aber scheiß drauf, er war vertrauenswürdig. Bill „South Bay“ Siddons.

      „Ray, ich habe schlechte Nachrichten. Ich habe gerade einen Anruf aus Paris erhalten. Jim ist tot.“

      Quatsch, dachte ich spontan. Damals, gegen Ende der Sechziger und ­Anfang der Siebziger, spülte eine Welle der Paranoia über Amerikas Jugend hinweg. Tod und Todesgerüchte suchten uns heim, drangen in unser Bewußtsein und gelangten schließlich auch ins Unterbewußtsein, wo sie wie ein bös­artiges Krebsgeschwür weiterwucherten.

      In jenen dunklen Jahren war jeder tot … auf die eine oder andere Weise. Janis Joplin war tot, Jimi Hendrix war tot. Paul McCartney war tot, weil er auf dem Cover des Beatles-Albums „Abbey Road“ ohne Schuhe über die Straße lief – so wie man in Italien einen Toten begräbt. Er war barfuß, trug einen Anzug und ging nicht im Gleichschritt mit den anderen Jungs, also mußte er tot sein – jedenfalls lautete so das Gerücht. Die Kennedys waren tot. Martin Luther King war tot. Eine wahre Todesbesessenheit griff um sich. Und sie richtete sich auf unsere Helden. Unser Planet füllte sich außerdem schnell mit den Geistern von toten jungen Soldaten – Amerikanern und Vietnamesen sowie vietnamesischen Frauen und Kindern. Das ganze Ding war für den wachen Geist kaum noch zu verkraften, und Gerüchte breiteten sich aus wie Unkraut.

      Wir waren auf einer Party, Rock ’n’ Roll in Hollywood. Jede Menge Leute. Jede Menge Gras und billiger Wein. Echter Bohème-Stil. Jim hätte auch da sein sollen, aber er verspätete sich, wie üblich. Plötzlich stürzte jemand herein und rief:

      „Oh mein Gott! Oh Gott! Jim Morrison ist gerade bei einem Autounfall ­umgekommen!“

      Jim fuhr die „Blue Lady“, seinen Shelby GT 500. Ein richtig scharfes und ­gefährliches Gerät, von daher hätte es schon wahr sein können. Niemand wußte, was er tun sollte. Wir redeten irgendwelchen Blödsinn und liefen mit kleinen panischen Schritten hin und her. „Wie ist das passiert?


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