Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek
stand einfach da, er summte die Melodie vor sich hin … und lächelte. Die Doors waren zusammen, sie waren im Studio, sie machten Musik. So sollte es sein. Wir gaben alle unser Bestes, und die Arbeit lief gut. Wir alle wußten es, und wir lächelten in uns hinein. Genau wie Jim.
Und dann ließ er die Bombe platzen.
„Ich gehe nach Paris“, sagte er.
Schweigen. Innerlich begannen sich Räderwerke zu drehen. Zweifel, Vorahnungen, Ängste machten sich im Raum breit. Ein dunkles grünes Ding umklammerte meine Wirbelsäule. Bruce und Robby standen eine Sekunde lang wie erstarrt da. John hüstelte nervös, weil er die Spannung nicht ertrug.
„Wir sind hier fast fertig“, fuhr Jim fort. „Die meisten Mixe sind im Kasten. Es klingt doch alles toll. Warum macht ihr nicht weiter und schließt das Ganze ab? Ich fahre in zwei Tagen nach Paris. Pam ist schon da, sie hat eine kleine Wohnung gefunden … sie hat schon alles organisiert. Ich fahre zu ihr rüber.“
Und das war’s. Eine einfache, kleine Bemerkung, so unschuldig dahingesagt, und das Schicksal der Band entschied sich in einem Augenblick. Aber wir wußten es nicht. Niemand wußte es. Jetzt noch nicht. Nicht inmitten dieser ungeheuren Kreativität. Dieses Gemeinschaftsgefühls. Dieser Kunst. Ich wußte nur, daß das grüne Ding einen Tentakel bis zu meinem Magen ausstreckte und ihn ein wenig zusammenzog. Hier stimmte etwas nicht.
Something’s wrong, something’s not quite right.
Jim war sonst immer da, wenn die Songs fertig abgemischt wurden. Das war der Moment, in dem das Schöpferische und die harte Arbeit verschmolzen. In dem das Feintuning stattfand. Die Lautstärke der einzelnen Instrumente, die EQ-Einstellungen, die Anordnung der Instrumente im Klangspektrum, sogar die Schnitte – alles mußte genau eingepegelt und für die Endabmischung auf nur zwei Spuren vorbereitet werden. Dieser Mix kam schließlich auf die Platte. Dieser Mix war es, den die Leute zu Hause hören würden. Unser Baby.
Es war der Moment, in dem das Baby geboren wurde. Nach monatelanger Schwangerschaft. Von der allerersten Inspiration über die Proben. Über die Augenblicke, wenn die Muse eines jeden Stücks verführt werden wollte und die wahre Natur dieses Songs nervortrat. Über die ersten Bandmitschnitte. Über nächtelange Aufnahmesessions, in denen man die Muse noch einmal beschwor, zurückzukommen, sich noch einmal mit uns zu vereinen, während die Recorder liefen (oh, sie ist launisch und verlangt völlige Unterwerfung, und man kann ihr Erscheinen nicht erzwingen oder herbeireden). Über Gesangsaufnahmen bis zu Overdubs mit Klimperklavier und Bottleneck-Gitarren.
Und Jim wollte wegfahren: bevor er das Endergebnis gehört hatte; bevor er wußte, welche Gestalt diese wochen-, diese monatelange Arbeit letztlich annehmen würde?
Ich hätte es wissen müssen. Da war etwas faul. Ich wußte nicht was, aber es paßte irgendwie nicht. Trotzdem versuchte ich, es optimistisch zu betrachten. Hauptsächlich, weil ich diese Reise tief in meinem Innern für eine gute Idee hielt.
„Paris“, sagte ich. „Das klingt echt spannend, Mann. Das ist bestimmt eine gute Stadt, um mal von allem ein bißchen Abstand zu gewinnen.“
„Ja, das glaube ich auch“, bekräftigte er.
„Wie lange … äh, wie lange willst du denn bleiben?“
„Weißt du, Ray, ich hab keine Ahnung“, entgegnete Jim, und seine Augen schienen in weite Ferne zu blicken. Ganz weit weg. Ohne voll da zu sein, sahen sie alles. Besonders die Tragödie, die Zerbrechlichkeit des Lebens.
All my life’s a torn curtain.
All my mind come tumbling down.
„Ich habe noch keine Pläne“, erklärte er. „Ich brauche eine Pause. Ein bißchen Zeit für mich. Ein paar Monate, ein halbes Jahr. Vielleicht ein Jahr. Wer weiß, Mann. Ich habe keine Ahnung.“
„Da kannst du bestimmt deine Notizen aus Miami weiter ausarbeiten“, stachelte ich ihn an. „Ich möchte das Buch gern lesen.“ Es sollte „Observations On America, While On Trial For Obscenity“ heißen – „Beobachtungen über Amerika von einem der Obszönität Angeklagten“.
Er lächelte. „Denen werde ich ganz schön einheizen. Jetzt bin ich mal dran.“
„Ein neuer de Tocqueville“, machte ich ihm Mut. „Wir brauchen einen für das 20. Jahrhundert.“
Er verzog den Mund zu seinem verlegenen Kleine-Jungen-Lächeln und winkte ab. „Oh Mann.“
„Hey, du kannst das. Wer sonst?“
***
Auf seltsame Weise machte seine Abreise aber auch Sinn. „L. A. Woman“ war fertig, unser sechstes Studioalbum in vier Jahren; „Absolutely Live“ hinzugerechnet, ergaben sich sieben LPs. Sieben, die Zahl der Stufen, die in den Himmel führen. Die Zahl der Chakras, der Energiezentren in der Yoga-Lehre, die sich vom Steißbein bis zur Oberseite des Gehirns verteilen. Es war auch die Zahl der Alben, die wir in unserem nachverhandelten Deal für Elektra abliefern mußten. Jetzt war dieser Vertrag erfüllt. Wir waren frei und offen für alles. Wir konnten wieder unterschreiben, wir konnten zu Atlantic Records gehen (Atlantic-Präsident Ahmet Ertegun hatte sich sehr um uns bemüht), wir konnten gar keinen neuen Vertrag abschließen, die Band auflösen, zusammenbleiben, Filme machen, Bücher schreiben, malen, tanzen, egal was. Wir waren frei und konnten tun, was wir wollten. Oder überhaupt nichts machen. Eine lange Pause einlegen und über Gott, die Menschen und das Leben nachdenken.
Ich hoffte, ehrlich gesagt, daß Jim die Pause nutzen würde, um sich von seinen Saufkumpanen zu lösen; um von den Schmarotzern loszukommen, die sich wie Kletten an ihn hängten und ihn in viel zu viele Bars, Kneipen, Gin-Höhlen und sonstwohin schleppten. Speichellecker. Blutsauger, wie John, Robby und ich sie nannten. Seine „Freunde“, wie sie später bezeichnet wurden. Und die Abende gingen natürlich immer auf Jims Kosten. Jim zahlte. Auf die eine oder andere Weise. Er bewirtete seine nichtsnutzigen Kumpels, sie zogen seine ganze Energie ab und ließen dem Dichter in ihm keinen Raum.
Er saß mit ihnen in einer Bar, und seine ganze Energie ging fürs Reden drauf. Alkohol verführt dazu. Genau wie Typen, die zu laut über deine Witze lachen. Elvis hatte die auch. Die Memphis-Mafia. Und Jim hatte sie. Wir nannten sie die Santa-Monica-Mafia.
Sie lachten, rissen Witze, blödelten herum und trieben allerlei Unfug, und er schrieb keine Gedichte. Er war nicht schöpferisch. Anstatt große Reden zu schwingen und frühmorgens zu Pam zurückzutorkeln, hätte er großartige neue Verse schmieden sollen. Wieviel hervorragende Lyrik ging in dieser sinnlosen Flut von besoffenem Aktionismus verloren? Wie viele großartige Gedichte fielen diesen schlechten Angewohnheiten zum Opfer, wurden verschwendet an betrunkene, gleichgültige Ohren, die ihn nur gewähren ließen, bis sie herausgefunden hatten, wie sie den nächsten Drink oder die nächste Droge von ihm schnorren konnten?
Für Pam Courson, Jims Lebensgefährtin und Seelenverwandte, waren sie ein rotes Tuch. Pam war sauer, weil Jim dauernd unterwegs war und sich mit seinen Freunden betrank. Ständig verschwand er mit ihnen für ein paar Tage, um dann plötzlich wieder bei ihr aufzutauchen, als sei nichts geschehen. Man könnte ihre Beziehung als „stürmisch“ bezeichnen. „Instabil, bis an den Rand des Selbstzerstörerischen“ kommt der Wahrheit allerdings noch näher.
… and our love becomes a funeral pyre.
Es war ein Versöhnungsversuch, daß er auf ihren Vorschlag hin mit ihr nach Paris ging.
Verdammt, es war eine wirklich gute Idee; zumindest schien es zu jener Zeit so. Paris war die Stadt des Lichts, seine „City Of Light“ – und eine ordentliche Dosis Helligkeit konnte er in seiner Schattenwelt gut gebrauchen. Paris war die Stadt der Künstler. Er hätte ein Prototyp der nächsten Bohemien-Generation werden können, ein Amerikaner in Paris. All die Schriftsteller, die wir bewunderten, waren nach Paris gegangen. Warum also nicht auch Jim? Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Henry Miller, Jim Morrison – das klang gut in meinen Ohren. Gute Gesellschaft.
Dann gab es da die Inspiration dieser faszinierenden Stadt. Ich wollte, daß er nach Paris ging und wieder