Die Doors, Jim Morrison und ich. Ray Manzarek

Die Doors, Jim Morrison und ich - Ray  Manzarek


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nach Hause zu kommen? Kein fades Schulküchenessen. Keine Pausenbrote. Ein schönes, heißes Mittagessen, von der eigenen Mutter gekocht. Nichts Außergewöhn­liches, nur der typische ­amerikanische Lunch der Fünfziger, zum Beispiel ­Tomatensuppe von Campbell’s, ein Käsetoast, ein paar Karotten oder Sellerie und ein Glas Milch. Wir schlangen unsere Mahlzeit hinunter, und ruck, zuck waren wir wieder weg. Über die Straße rannten wir auf den Schulhof zurück, spielten noch einmal fünfzehn oder zwanzig Minuten, und dann ging’s wieder in die Klasse. Eine verläßliche Routine.

      Meine zwei Brüder und ich waren viel in Chicago unterwegs. Wir trieben viel Sport, wir waren nicht zu bremsen. Die Stadt war ideal, wenn man draußen etwas unternehmen wollte. Sie war wie ein Gitter angelegt, das sich an den Michigansee schmiegte, und alle vier Häuserblocks oder so gab es einen öffentlichen Spielplatz oder einen städtischen Park – im ganzen Stadtgebiet. Kids und Teenager konnten ihre überschüssige Energie überall spielerisch loswerden. In der Nähe unseres Hauses, drei Straßen weiter an der Ecke 34./Hoyne Street, lag der Hoyne Play­ground, unser Stammsportplatz. Dort gab es ein Baseball-Feld – sogar mit einer Flutlichtanlage für die spätabends stattfindenden Spiele der größeren Jungs –, eine Basketballanlage, wo ich mich um Kopf und Kragen spielte, einen Tennisplatz sowie Schaukeln, Wippen und einen Sandkasten für die Kleinen. Ein kleines ­Ziegelhäuschen beherbergte das Büro und den Geräteraum – man bekam hier tatsächlich auch Bälle, Schläger, Springseile und so. Hier hatte der alte Ralph, der sich um die Sportanlage kümmerte, seinen Platz. Er hatte vierzig Jahre lang für die „Chicago Playground District“-Verwaltung gearbeitet, und das hier war nun seine letzte Stelle. Er war ein netter, alter Knabe, er liebte Kinder, und er hielt Hoyne tiptop in Ordnung. Zusammen mit ein paar anderen Jungs aus der Gegend gewann ich die Stadtmeisterschaft im Softball für ihn. Wir hatten ein tolles Team.

      Ich spielte am ersten Mal und war beim Schlagen als dritter an der Reihe. Wir waren alle dreizehn und vierzehn Jahre alt. Typische Chicagoer Kids der ­Fünfziger, und wir konnten werfen, fangen und rennen wie der Wind. Für den alten Ralph war es der erste Titelgewinn seiner ganzen Laufbahn. Er brach ­beinahe ­zusammen und weinte vor Freude, als das Spiel zu Ende war.

      Mein Vater nannte uns stets die Hoyne Giants; er sagte das im Scherz mit so einer Art chinesischem Dialekt. Der Spaßvogel. Im darauffolgenden Herbst machten wir auch beim City-Touch-Football den ersten Platz – mit ­derselben Horde Sportplatz­typen, die Pässe schlugen, angriffen und sich ihre jugendlichen Ärsche abspielten.

      Aber mein Lieblingssport war Basketball. In Chicago gab es im Winter zwei Möglichkeiten für organisierten Sport: Hockey oder Basketball. Hockey?! Hockey kam nicht in Frage, vergiß es, Mann. Es war draußen arschkalt. So kalt wie in ­Dantes neuntem Kreis der Hölle. Wer will bei Eis und Schnee schon draußen sein? In der Eiseskälte rumglitschen und diesem Hockeypuck hinterherlaufen. Die Fußgelenke biegen sich irgendwann zur Seite, entweder o-beinig nach außen oder x-beinig nach innen. Irgend jemand haut dich mit diesem riesigen, harten Hockeyschläger vors Schienbein. Das sind doch echte Totschläger, diese Dinger. Und der Puck ist viel zu hart. Das reinste Gummi­geschoß, das mit diesem Totschläger abgefeuert wird. Du selbst in bester Schußlinie, und dann ist es auch noch so saukalt. Im Gegensatz dazu der ­Basketballplatz … der ist zunächst mal in der Halle … und es ist warm. Man zieht sich die dicken Sachen aus, es ist wie auf Hawaii, man läuft in kurzen Shorts und einem Trägerhemd rum. Bei dreißig Grad. Ahhh … paradiesisch.

      Ich war vierzehn, einsachtzig groß, und ich war gut. Ich spielte viel Basketball mit meinem besten Freund Joe Nies, und wir beide wurden im folgenden Winter als Schlüsselspieler ins McKinley Park City Championship-Basketballteam berufen. Ich spielte im Mittelfeld, er war Verteidiger. Damals war ich schon genauso groß wie heute. Ich war der Lange. Einsachtzig, fünfundsechzig Kilo, ein „Kämpfer“ in der Mitte. Die verschiedenen Wurf- und Schrittechniken hatte ich bestens drauf. Und Joe Nies war gut in Ballbeherrschung und bei ­Pässen. Wir gewannen die Meisterschaft für Jungen unter 14. Ich war sehr stolz auf unser Team. Klasse Jungs.

      In unserem Siegestaumel erkannte ich noch nicht, daß das der Höhepunkt meiner Basketballkarriere sein würde. Im nächsten Jahr war ich immer noch ­einsachtzig, fünfundsechzig Kilo, und die Jungs, die vorher hinten gespielt hatten, gingen nun nach vorn. Sie waren gewachsen und ich nicht. Als ich sechzehn war, waren die früheren Verteidiger einsneunzig – und ich noch immer einsachtzig, fünfundsechzig Kilo. Alle wuchsen und wuchsen und wuchsen – außer mir. Mit vierzehn noch der Große, mit fünfzehn dann Stürmer, und als ich sechzehn war, hieß es: „Ray, du gehst in die Verteidigung.“ Ich sagte: „Ich spiel’ nicht hinten. Ich bin kein Dribbler, ich spiele auf den Korb. Ich bin ein Rebounder, ein Korbjäger.“ Und sie sagten: „Nein, für einen Rebounder bist du nicht mehr groß genug, Ray. Du mußt jetzt hinten rein.“ Und das war das Ende meiner Basketballzeit. Ich war sechzehn, und ich war nicht gewachsen. Also sagte ich mir: „Dann muß ich mich jetzt wohl auf die Musik konzentrieren.“

      ***

      Die ersten Schritte auf meinem langer Weg in die „fließende Welt“ der Musik waren … Klavierstunden! Meine Eltern hatten ein riesiges Klavier gekauft, aus geschnitztem Holz. Es sah für mich nach altdeutschem Bauernstil aus; gedrechselte Beine, hier und da mal ein Blumenornament, dunkelbraun und absolut massiv gebaut. Sie ließen es von einem halben Dutzend Möbelpackern in den Partykeller hinunterwuchten und sagten: „Raymond, du wirst Klavierspielen lernen.“ Ich war sieben oder acht. Ich hämmerte auf die Tasten, alberte ein bißchen rum, machte ein wenig Krach und dachte mir, warum nicht? Vielleicht macht das Spaß. Glücklicherweise waren meine Eltern wirklich hip und hatten kein Akkordeon gekauft. Das war im Mittelwesten in den Nachkriegsjahren nämlich ein höchst beliebtes Instrument. Auf den Bühnen der ganzen Stadt standen Gruppen von Kindern, die „Lady Of Spain“ spielen mußten. Kein schöner Anblick. Chicago, Milwaukee und der gesamte Staat Pennsylvania waren die Akkordeon-Hochburgen Amerikas. Aber meine Eltern waren dafür zu ­modern. Mein Vater spielte Gitarre und war auf der Ukulele nicht zu schlagen. In den wilden Zwanzigern und in den krisengeschüttelten Dreißigern hatte jeder junge Draufgänger im Waschbärpelz eine Ukulele und sang dazu seiner Liebsten von Sonne und Wonne vor. Mein Vater hatte für meine Mutter genauso gesungen. Und sie sang zurück, aber noch viel schöner. Sie hatte in unserer Familie die beste Stimme. Aber sie sangen auch gern zweistimmig, Liebeslieder von der kleinen Stadt in Spanien oder flotte Melodien wie „Steig doch ins Taxi, mein Liebling“. Viele Jahre später ­erzählten sie mir einmal von ihrer Plattensammlung, lauter alten 78ern, die vor ­meiner Geburt in einem Feuer dahingeschmolzen waren. Bluesplatten. Bessie Smith und alle möglichen anderen Sänger und Gruppen, die ihnen nicht mehr einfielen. Und nur Schwarze. Die Musik der South Side von Chicago. Meine Mutter erzählte, wie sie und Dad zusammen auf die Jagd nach Platten gegangen waren.

      „Meist begaben wir uns in die Maxwell Street, wo diese kleinen Plattenläden waren“, berichtete sie. „Eigentlich waren es gar keine richtigen Läden. Die Leute ­lebten da und verkauften außerdem Scheiben. Es herrschte Armut. Die Türen waren mit einer Decke zugehängt, damit es nicht so kalt wurde, und hinter ­dieser Decke ­verkauften sie Schallplatten. Wenn man die Straße entlangging, dann hörte man die Musik, zog einfach die Decke beiseite und ging rein. Sie spielten die tollsten Sachen. Ich sag’s dir, Raymond, diese Schwarzen … die haben’s drauf!“

      „Ja, Mom, da hast du recht“, lachte ich. „Diese Schwarzen, die haben’s drauf.“ Mann, was würde ich für diese Plattensammlung heute geben!

      Also bekam ich Klavierunterricht. Die erste schicksalshafte Stunde schlug an einem Samstagmorgen um genau zehn Uhr. Mein Vater und ich gingen zur Ecke 35./Archer Avenue, einer Gegend mit vielen kleinen Geschäften, betraten ein zweistöckiges Gebäude, dann ging’s eine Treppe hoch, bis zu dem Studio, wo der „kleine Professor“ hauste, wie mein Vater, der Spaßvogel, ihn immer nannte. Nie werde ich diesen Morgen vergessen. Er ist in meine Gehirnwindungen eingebrannt. Das Studio war abgedunkelt, ich weiß nicht warum, und es war ein bißchen unheimlich. Es war Samstag morgen, ein schulfreier Tag – und sein Zimmer war dunkel! Mach die Fensterläden auf, schrie mein Gehirn. Mehr Licht! Und es roch ein bißchen muffig, wie eben bei einem alten Mann zu erwarten, der noch vor dem Krieg aus Europa rübergekommen war. Der Mann begrüßte mich, und ich ging ­unwillkürlich einen Schritt zurück. Er war ein komischer, verhutzelter


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