Cher - Die Biografie. Peter Lanz
aber Spector schickte ihn auch hinaus, um das Firmenauto auf einen anderen Parkplatz zu stellen, Besorgungen zu erledigen oder im Background-Chor im Studio mitzusingen. Phil Spector war ohnedies der Ansicht, dass er »für den Chor nicht teure Sänger« bezahlen müsse, »sondern bloß Leute brauche, die ein bisschen Lärm machen können«.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss Sonny Bono erkannt haben, welche Chancen sich ihm mit Cher boten. Ihr Talent als Sängerin hatte er festgestellt, und die Tatsache, dass sie, jung und unfertig, offenbar nur darauf wartete, von ihm zu einem Star modelliert zu werden, war ihm auch nicht verborgen geblieben.
»Das Musikgeschäft, das ich durch Sonny kennenlernte, fing an, mir Spaß zu machen«, sagte Cher später über jene Zeit. »Ich brauchte aber einen Mentor, der mir weiterhelfen konnte.« Und wer wäre ein besserer Mentor gewesen als Sonny Bono?
Das Studio von Phil Spector, Gold Star, war ein beliebter Treffpunkt für Künstler, die sich in Los Angeles aufhielten, und es war da beinahe Tag und Nacht die Hölle los. Man saß auf engstem Raum herum, trank, rauchte und quatschte. Und wenn einer gebraucht wurde, sprang immer wieder jemand ein. Sonny musste sich auch öfter mal als Musiker betätigen, und man erzählt sich die Geschichte, dass Phil Spector Cher einmal im Aufnahmeraum herumhocken sah und sie anherrschte: »Kannst du singen?« Worauf Cher mit den Achseln zuckte und antwortete: »Ein wenig.« »Dann beweg dich schleunigst hinters Mikrofon, du bist als Chorgirl engagiert.« Ob es nun so lief oder anders, fest steht, dass Cher bei den größten Hits des Gold-Star-Studios mitsang: Bei Da Do Ron Ron, Then He Kissed Me und He’s Sure the Boy I Love von The Crystals, bei Darlene Loves Wait Till My Bobby Gets Home und The Boy I am Gonna Marry. Auch bei vielen Ronettes-Platten sang Cher im Hintergrund mit. Dabei hielt Phil Spector besonders am Anfang nicht allzu viel von Chers Stimme. Spector war versessen auf Mädchen mit einem klaren, geschmeidigen Timbre, Cher hatte dagegen eine harte, erwachsene Stimme. Aber mit der Zeit gewöhnte er sich an das Timbre, und wenn man sich die Songs, die damals entstanden, aufmerksam anhört, merkt man, dass Cher bei den Aufnahmen immer mehr stimmliches Gewicht bekam und ihre Stimme immer deutlicher hineingemixt wurde.
So gut die Karriere des Mädchens Cherilyn auch anfing, die Mutter machte ihr einen Strich durch die Rechnung. »Eines Tages«, erinnerte sich später Georganne LaPiere, die Schwester von Cher, »brachte Cherilyn einfach Sonny mit zu uns nach Hause. Er sah irgendwie … anders aus, als Mutter sich das vorgestellt hatte. Er trug sein Haar bereits lang und rannte ganz in Leder gekleidet herum. Als unsere Mutter ihn zum ersten Mal sah, sagte sie: ›Wer ist das?‹, und Cher antwortete einfach: ›Der Mann, den ich heiraten werde.‹« Georgia LaPiere flippte in diesem Moment völlig aus. Ein Mann, wesentlich älter als ihre Tochter, ohne einen – in ihren Augen – vernünftigen Job, der noch dazu eine Frau und eine Tochter hatte und so herumrannte, das war einfach zu viel. Noch dazu fühlte sie sich von Cher hintergangen, weil die ihr doch so lange vorgespielt hatte, bei einer Freundin zu wohnen. Sonny sagte damals: »Ich glaube, Ihre Tochter sucht nicht nur einen Mann, sondern auch einen Vater. Ich werde ihr alles geben, was sie braucht.«
Das war Wasser auf die Mühlen von Georgia LaPiere. Insgeheim hatte sie sich den Töchtern gegenüber stets schuldig gefühlt, weil sie so häufig die Männer wechselte und damit Cherilyn und Georganne das Gefühl der Beständigkeit nahm. »Als Sonny nun sagte, Cher suche auch nach einem Vater«, berichtet Georganne, »war alles zu spät.« Das schlechte Gewissen machte sich bemerkbar, und die Mutter herrschte Sonny an: »Mir ist gleich die Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Chers Vater aufgefallen. Aber das möge der Himmel verhüten, dass meine Tochter auf solch einen Mann hereinfällt. Ein schrecklicher Gedanke, dass mein Schicksal sich bei meinem Kind wiederholen könnte!«
Chers Mutter geriet total aus dem Häuschen. Sie verlangte von Cher, sofort aus Sonnys Wohnung auszuziehen. Mehr noch: Sie verbot ihrer minderjährigen Tochter jeden Umgang mit dem älteren Mann und stellte sie vor die Wahl, entweder wieder nach Hause zu kommen oder in einem Erziehungsheim für Mädchen untergebracht zu werden.
Cher entschied sich für das Heim, wo sie es allerdings nicht lange aushielt. Besonders die letzten Monate des freien Alleinlebens hatten sie geprägt. Und nun sollte sie sich den strengen Regeln und dem Zwang des Heimlebens unterwerfen? Zu allem Überfluss waren die meisten anderen Mädchen in der Anstalt ziemlich kaputte Typen. Viele von ihnen waren bereits mehrmals von daheim weggelaufen, andere hatten Bewährungsstrafen abzusitzen, wieder andere kamen aus völlig zerrütteten Familien. Cher zog sich – so gut das eben ging – von den anderen zurück. »Ich saß die meiste Zeit allein mit meinem Kofferradio da und lauschte, ob vielleicht irgendein Song kam, bei dem ich mitgemacht hatte, oder ob ich vielleicht Sonnys Stimme hören konnte.« Im Grunde war das Radio ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Nur hin und wieder gelang es ihr, sich davonzustehlen und Sonny anzurufen.
Für Cher war das wohl die bis dahin schlimmste Zeit ihres Lebens. Gerade, als sie die ersten Schritte ins Show-Biz tun wollte, schien alles wieder vorbei zu sein. Als der Mann ihrer Träume endlich anfing, sie wahrzunehmen, wurde sie von ihm getrennt. »Durch das Leben meiner Mutter war ich immer der Meinung gewesen, der Märchenprinz, von dem meine Schulfreundinnen geschwärmt hatten, sei tatsächlich nur ein Märchenprinz. Aber als ich Sonny kennenlernte, wusste ich, dass es ihn wirklich gibt.«
Und nun war alles zu spät. Als ihre Mutter merkte, dass Cher Sonny auch während der Trennung nicht vergessen hatte und dass beide immer noch heimlich miteinander telefonierten, beschloss sie, einen noch größeren räumlichen Abstand zwischen Salvatore Bono und Cherilyn zu bringen, und übersiedelte mit ihren Töchtern von Kalifornien nach Arkansas. Cher hasste Arkansas, und zu ihrem Glück benutzte der damalige Ehemann ihrer Mutter die Gelegenheit des Alleinseins dazu, die Scheidung von Georgia einzureichen. So musste die Mutter – widerstrebend zwar, aber doch – zurück nach Los Angeles, um die Formalitäten mit dem Anwalt zu erledigen.
Georgia LaPiere wollte im Grunde all ihre eigenen versäumten Chancen in der Person ihrer Tochter nachholen. Sie drängte Cher, das Schauspielstudium wieder aufzunehmen. Cher sprach bei Jeff Corey vor und wurde tatsächlich – als jüngstes Mitglied – für seinen Pasadena-Playhouse-Workshop akzeptiert.
Aber Cher ging zu keiner einzigen Unterrichtsstunde. Sie wusste nicht recht, wie ihre Zukunft aussehen sollte, sie rebellierte gegen die Wünsche von Georgia – und sie traf sich immer wieder heimlich mit Sonny, der sie drängte, den Gedanken an die Schauspielerei aufzugeben und in die Musikbranche einzusteigen.
Sonny war sich auch in Chers Abwesenheit mehr denn je darüber bewusst, dass das junge Mädchen seine große Chance für eine Karriere war. Er wusste nur zu gut, dass seine eigene Stimme für einen Welterfolg, von dem er träumte, nicht gut genug war, und er setzte auf das ungewöhnliche Timbre des zarten dunkelhaarigen Mädchens mit den hochstehenden Backenknochen. Er schleppte also Cher immer, wenn er sie heimlich treffen konnte, zu Phil Spector und versuchte, ihn zu überreden, eine Solo-Platte mit Cher aufzunehmen.
Einmal, es war Anfang 1964, brachten zwei Komponisten, Pete Anders und Winnie Poncier, einen Song vorbei, der sich an die zu dieser Zeit in den USA herrschende Beatles-Hysterie anhängte: Ringo, I Love You. Im Text machte ein Mädchen dem Schlagzeuger der Beatles, Ringo Starr, eine Liebeserklärung. Ein nichtssagendes Liedchen, dem man die Spekulation, sich an den Ruhm der vier Liverpooler anzuhängen, vom ersten Ton an anhörte. Cher war hin und her gerissen. Einerseits sah sie ihre Chance, mit einer Single endlich ins Rampenlicht treten zu können, andererseits war sie bereits Profi genug, um zu merken, dass Ringo, I Love You nicht so stark war, um eine Anfängerkarriere zu tragen. Sonny sagte ihr: »Du kannst dir mit einem Flop deinen Namen kaputt machen. Also suchst du dir am besten irgendeinen Phantasienamen. Wenn’s klappt, prima. Wenn’s schief geht, nimmst du dir einen neuen.«
Im Februar 1964 kam der Song bei Annette-Records heraus, die Sängerin nannte sich Bonnie Jo Mason und weder das Lied noch die Interpretin wurden in den USA von irgendjemand richtig wahrgenommen. Man kannte Chers tiefe Stimme nicht und viele meinten, ein Mann würde das Liebeslied singen. »Ich war ziemlich fertig«, erzählte Cher, »dass meine erste große Chance danebengegangen war.« Viele Jahre später sagte Cher in einem Interview mit dem Spiegel: »Die Radios wollten den Song nicht spielen. Ich habe ja eine tiefe Stimme und es gab Leute, die glaubten, da sänge ein schwuler Mann dem Schlagzeuger der Beatles ein Liebeslied. Das war