Der Serienmörder von Paris. David King

Der Serienmörder von Paris - David  King


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was hat es mit den vielen erotischen Drucken auf sich, die wir fanden?“

      „Das ist ganz einfach die Besessenheit eines Sammlers.“

      Am Ende der Durchsuchung hatte die Polizei keine Beweise gefunden, um eine Mitschuld Georgettes an den Morden zu belegen. Sie fanden zwar einen fünfkarätigen Diamantring, den sie aber als Geschenk ihres Mannes erklärte. Auf Basis dieses Fundes könnte die französische Polizei sie später des Besitzes von Diebesgut beschuldigen. Zum jetzigen Zeitpunkt hielt Massu eine Anklage jedoch für überflüssig. Er bat sie, eine Tasche zu packen und mit ihm auf die Wache zurückzukehren. Nachdem er sie durch die Menge zum Wagen eskortiert hatte, wunderte sich Massu über die vielen neugierigen Menschen, die unverhohlen durch die Scheiben gafften. Georgette hielt sich daraufhin ein Taschentuch vor das Gesicht. Der Chauffeur musste mehrmals die Hupe betätigen, damit der Mob Platz zur Durchfahrt machte.

      Georgette Petiot wurde ins Hôtel-Dieu gebracht, das älteste Krankenhaus der Stadt. Im Schatten von Notre Dame auf der Île de la Cité gelegen, beherbergte es die Kranken und Verwundeten auf strengstens nach Deutschen und Franzosen getrennten Stationen. Darüber hinaus verweilten hier wichtige Zeugen bei Kriminalprozessen. An diesem Ort, so glaubte man, könnte Madame Petiot Fragen beantworten, geschützt vor Reportern, Fotografen, Kamerateams, einer aufgewiegelten Menge oder eventuell sogar Personen, die ihr (oder genauer gesagt Monsieur Petiot) – begründet oder unbegründet – die Schuld für das Verschwinden eines Menschen gaben. Massu hoffte zudem, dass er durch die engmaschige Überwachung seine wohl wichtigste Informationsquelle vor einem möglichen Selbstmordversuch schützen könnte.

      Marcel und Georgette Petiot heirateten am 4. Juni 1927 in ihrer Heimatstadt Seignelay. Georgettes Vater, Nestor Lablais, ein ehemaliger Schlafwagenportier einer Bahngesellschaft, besaß in dem Ort eine Gaststätte und Pension, ihre Mutter, Anna Villard Lablais, hatte vor der Hochzeit dort als Zimmermädchen gearbeitet. Als Georgette 14 Jahre alt war, zog die Familie nach Paris, wo ihr Vater das Restaurant Côte d’Or im 7. Arrondissement, in der Nähe der Chambre des Députés, des Parlaments, erwarb. Lablais war schnell unter dem Spitznamen „der lange Arm“ bekannt, da er seine Gäste beeinflusste: prominente Politiker, Geschäftsleute und weitere gesellschaftliche Persönlichkeiten. Er erkannte schon früh das Talent und Potential des Schwiegersohns.

      Auch andere sagten Villeneuve-sur-Yonnes jungem Bürgermeister eine glänzende Zukunft voraus. Petiots Befürworter verglichen ihn sogar mit Georges Clemenceau, einem französischen Arzt, der in die Politik gewechselt war und zu allerhöchsten Weihen gekommen war. Henri Chéron, ein der Hochzeit beiwohnender Politiker, erklärte der Braut, dass er im Fall der Übernahme der Staatsmacht ihn als einen seiner Minister berufen würde. Chéron sollte einige Jahre darauf tatsächlich hohe Positionen besetzen, darunter ab 1934 zwei Regierungszeiten lang als Finanz- und Justizminister. Doch am Ende dieser Zeit wurde Petiots vielversprechende Karriere als der „neue Clemenceau“ durch den Skandal natürlich unmöglich gemacht.

      Während Petiots Amtszeit als Bürgermeister verschwanden häufig kleinere Gegenstände aus dem Rathaus. Manchmal waren es auch Bargeldbeträge, meist aber eher wertloser Plunder wie Löffel, ein Aschenbecher oder ein kleines Andenken, das in der Tasche Platz fand. Die Bürger tuschelten schon bald über die merkwürdige Marotte ihres Ortsvorstehers. Depond-Clémet, ein Schmied, erinnerte sich, wie Petiot seine Werkstatt aufsuchte, um sich Teile für den Sportwagen anfertigen zu lassen. Da der Bürgermeister schnell und rücksichtslos fuhr, wurde er in kürzester Zeit zu einem regelmäßigen Besucher. Petiot kam „summend, pfeifend und witzelnd“ vorbei, tratschte ein wenig und interessierte sich für die Tätigkeiten der Arbeiter. Fast jedes Mal nach seinem Besuch fehlte etwas, ein Werkzeug oder ein Schlüssel. Als ihn einer der Angestellten der Schmiede einmal auf frischer Tat ertappte, legte der Bürgermeister das Teil wieder zurück, lachte, aber entschuldigte sich nicht.

      Während seiner Amtszeit beschuldigte man Petiot noch anderer, bizarrer Straftaten. Einmal vermutete man, dass er sogar eine Trommel entwendet hatte. Der Spielmannszug der gegnerischen rechtslastigen Partei hatte am Abend vor dem Konzert im Festsaal des Rathauses seine Instrumente aufgebaut. Bei der Ankunft am nächsten Morgen entdeckten die Musiker, dass ihnen die Basstrommel fehlte. Innerhalb nur weniger Tage erhielt ein anderer Musikzug der Stadt, der oft für Petiots sozialistische Partei auftrat, eine neue, erst kürzlich lackierte Trommel, zufälligerweise exakt so groß wie die entwendete. Es war ein Geschenk des Bürger­meisters.

      Petiot polarisierte die Bewohner der Stadt, viele Bürger aber priesen seine Leistungen. Die Reform der Grundschule, die Modernisierung des Abwassersystems, die Verbesserungen bei der Müllabfuhr und der Bau einiger Annehmlichkeiten wie eines Tennis- und eines Kinderspielplatzes zählten zu den unbestreitbaren Leistungen des Arztes. Petiot bewegte sogar die Bahngesellschaft zu einem häufigeren Halt im Städtchen. Angeblich soll er die Geschäftsführer von der Notwendigkeit überzeugt haben, indem er sich symbolisch vor einen langsam fahrenden Zug warf.

      Andere jedoch kritisierten den Bürgermeister wegen seiner skrupellosen Taten, worunter Verstrickungen in Korruptionsaffären und ein beinahe schon diktatorischer Umgang mit dem Stadtrat zählten. Kontroversen charakterisierten die Amtszeit. Weiterhin verschwanden kleinere Geldbeträge und andere Gegenstände. Zumindest ein Angestellter im Rathaus, Léon Pinau, kündigte und behauptete, dass er sich nicht in den Strudel der Skandale ziehen lassen wolle, die mit Sicherheit noch vom Bürgermeisterbüro ausgehen würden.

      Wie nicht anders zu erwarten, führte dann ein kleiner Skandal im Sommer 1931 zu Petiots Rücktritt. Vorausgegangen waren langwierige Ermittlungen hinsichtlich des Diebstahls von Öl und Treibstoff. Bei einer Routine-Rechnungsprüfung in seinem Büro fand man 2.890 Francs Gebühren aus dem Verkehrsmeldeamt (es handelte sich hier um Anträge zur Nummernschilderfassung), die nicht weitergeleitet worden waren. Petiot beschuldigte seinen Sekretär des Fehlers, der die volle Verantwortung auf sich nahm und auf sein Alter, die schlechte Sehkraft und Erschöpfung wegen zu vieler Überstunden verwies. Allerdings wurde Petiot Ende August suspendiert. Am 26. des Monats, einen Tag, bevor die Suspendierung in Kraft trat, legte er das Amt nieder.

      Allerdings kehrte Petiot mit Elan und Schwung zurück und ließ sich auf eine weitere intensive, leidenschaftlich geführte und – wie nicht anders zu erwarten – kontroverse Wahlkampfkampagne ein. Er erzählte den Einwohnern, wie er durch die Kriegserfahrungen die „Menschen lieben lernte“ und dass diese Erlebnisse ihn dazu bewogen hätten, die Laufbahn eines Arztes anzustreben, um ihre Gesundheit zu verbessern. Seine Gegner versuchten ihn mit bissiger Rhetorik zu bekämpfen: „Trocknet Petiot im Sumpf seiner von ihm gebauten Kanalisation aus“, lautete ein Slogan auf einem Wahlkampfplakat.

      Petiots übersprudelndes Selbstbewusstsein und seine unorthodoxen Strategien erwiesen sich als Vorteil. Zum Ende des Wahlkampfs hin gestattete er seinem Herausforderer Henri Guttin, als Letzter bei einer Veranstaltung im Rathaus zu reden. Zuerst aber hielt Petiot eine feurige Ansprache, bei der er seine vielen Errungenschaften und die Arbeit zugunsten der Armen herausstellte. Als Guttin sich ans Rednerpult stellte und die Notizen hervorholte, wurde es plötzlich stockfinster. Der Kandidat musste sich nun im Dunkeln durch die Zettel mühen, was einen recht unbeholfenen Kontrast zum dynamischen Petiot darstellte. Als Verursacher des Stromausfalls konnte später der Arzt selbst ausgemacht werden.

      Schließlich aber wurde Petiot besiegt. Auf eine eventuelle Niederlage schon vorbereitet, hatte er bereits eine zweite Kampagne begonnen, diesmal mit dem Ziel der Wahl für die Nationalversammlung. Petiot gewann die Wahl und wurde mit 35 Jahren der jüngste Repräsentant von Yonne. Doch er sollte diese Position nicht lange bekleiden.

      Erneut beschuldigte man Petiot des Diebstahls. Diesmal hatte er mit einer Apparatur aus Elektrokabeln, Steckern und kleinen Schaltern den Stromzähler in seinem Haus manipuliert und somit Diebstahl begangen. „Das ist doch eine offensichtliche Schmutzkampagne“, versuchte Petiot von den Anschuldigungen abzulenken und sie den politischen Gegnern anzulasten. Doch die Beweislage gegen ihn war mehr als erdrückend. Am 19. Juli 1933 sprach ihn das Gericht in Joigny schuldig und verurteilte ihn zu einer 15-tägigen Haftstrafe und zusätzlich zu einer Geldstrafe von 300 Francs zuzüglich einer einmaligen Zahlung von 200 Francs für den entstandenen Schaden. Er legte Berufung ein. Das Gericht setzte die Haftstrafe komplett aus und reduzierte die Geldstrafe


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