Ich rede zu viel. Francis Rossi

Ich rede zu viel - Francis Rossi


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Angelegenheit in unserer Familie. Mir verpasste man als zweiten Namen den meines Vaters Dominic, wohingegen mein jüngerer Bruder ihn als ersten erhielt. Ich weiß wirklich nicht, warum. Schätze mal, sie müssen ihn wohl gemocht haben. Meine Eltern hatten direkt vor mir eine Tochter namens Arselia bekommen, die aber an einer angeborenen Herzerkrankung verstorben war. Als Katholikin schwor sich Mum, das nächste Kind Francis zu nennen – nach dem heiligen Franz von Assisi – und auch einige weitere Heilige zu Hilfe zu rufen, warum man mir den längsten Namen der Familie gab: Francis Dominic Nicholas Michael Rossi. Nichts von dem bedeutete mir damals etwas. Erst als ich eingeschult wurde, stellte „Francis“ ein Problem dar, denn die anderen Kinder hänselten mich, weil ich einen Mädchennamen trug. Ich versuchte, das irgendwie hinzubiegen, indem ich jedem erklärte, mein richtiger Name laute Mike – oder einfach nur Ross. Aber mal ehrlich, so lange die anderen Kinder mich in Ruhe ließen, konnten sie mich rufen, wie sie wollten – was sie dann auch taten.

      In meiner Familie gleichen Namen und Beziehungen einem Dickicht. Ich fand niemals heraus, in was für einer Beziehung die einzelnen zueinander standen. Nonna, meine Großmutter, war eine Coppola, was – so erklärte man es mir – eine gute Abstammung bedeute. Als ich eine dieser Stammbaum-Webseiten aufrief, las ich folgende Informationen, die ich merkwürdig fand: 1881 arbeiteten Coppolas in Großbritannien überwiegend als Eisverkäufer. Tatsächlich waren sogar 100 % der Coppolas Eisverkäufer.

      Und nun raten Sie mal, wie sich mein Vater den Lebensunterhalt verdiente – richtig, indem er Eis verkaufte. Abgesehen von dem Eiswagen besaß die Familie die Eisdiele Rossi’s Ice Cream am Catford Broadway. Dad versuchte immer, neue Möglichkeiten zum Geldverdienen zu finden. An den Abenden fuhr er mit dem Wagen los und verkaufte statt Eis „Fish and Chips“. Als ich mich das letzte Mal erkundigte, erfuhr ich, dass der Familie das Geschäft immer noch gehöre und sie es als Wettbüro vermiete.

      Ich wurde an einem Sonntag geboren, dem 29. Mai 1949. Laut der neueren Fassung eines alten Kinderliedes sind Sonntagskinder „glücklich und schlau“. Laut Originaltext aus dem Oxford Dictionary of Nursery Rhymes werden Sonntagskinder anders beschrieben: „And the child that is born on the Sabbath day / Is bonny and blithe, and good and gay.“ Das klingt für mich aber auch nicht so zutreffend!

      Als ich auf die Welt kam, lebten wir alle in Großmutters geräumigem Haus in der Mayow Road, Forest Hill, da sich meine Eltern keine eigene Wohnung leisten konnten. Mein Großvater Pop – wenn Sie hinsichtlich der verwandtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr mitkommen, versuchen Sie es trotzdem – überließ die geschäftliche Seite des Eis-Business allein Nonna. Er war eigentlich Parkettleger von Beruf. Als Teenager hatte Dad seine Ausbildung bei ihm gemacht, doch dann verlor er bei einem Unfall beinahe seine Hand: Er bat seinen jüngeren Bruder Chas, ihn mit dem Auto zu einem Job im Norden zu fahren. Alles in Ordnung, bis auf die Tatsache, dass Chas seine Führerscheinprüfung noch nicht bestanden hatte. Das erklärt dann auch, warum es ihm gelang, quer über die Straße und direkt auf einen Bus zuzufahren.

      Mein Vater flog im hohen Bogen aus dem Fenster, gerade noch rechtzeitig genug, dass der Bus über seine Hand rollen konnte. Als der Rettungswagen ankam, suchten sie immer noch nach Fingerteilen. Der arme Kerl musste 40 Operationen über sich ergehen lassen, um die Hand behalten zu können. Als Mum mich zu einem Besuch ins Krankenhaus mitnahm, fiel ich beinahe in Ohnmacht – die Ärzte hatte seine Hand zur schnelleren Heilung in der Bauchhöhle vernäht! Das erklärten sie zumindest meiner Mutter. Letztendlich musste er fortan mit einer Art deformierten Klaue leben. Mir war das egal. Kids werden mit so etwas spielend fertig. Meist winkte er uns Kindern zu und nahm dabei die Rolle eines Monsters ein. Wir rannten dann lachend weg. Erst Jahre später dämmerte es mir, dass er sich sehr dafür geschämt haben muss. Er mochte es ganz und gar nicht, wenn andere die Behinderung bemerkten, und versteckte die Hand vor seinen Enkeln.

      Als wir einige Jahre später zu seinem wenige Meilen entfernt gelegenen Süßwarenladen in Balham zogen, hielt Dad das Geschäft mit dem Eiswagen immer noch am Laufen. Als einer meiner Onkel starb, hörte ich ihn und die ganzen anderen Männer, die sich darüber unterhielten, wie sie die Fahrtroute unter sich aufteilten sollten. Geschäft und Familie stellten für sie keinen Unterschied dar. Ich war noch viel zu jung, um andere Familien – englische Familien – zu kennen, die anders lebten und mit solchen Themen anders umgingen. Als es mir dann bewusst wurde, war es schon viel zu spät, und ich handelte so wie meine „Sippe“. Arbeit und Familie war alles, was ich jemals gekannt habe. Die Abende als Kind drehten sich meist um meinen Dad und seine Brüder, denen man zuhörte, wie sie von ihren Erlebnissen des Tages erzählten. Wie viele Hörnchen sie verkauft hatten. Wer einen guten Tag im Eiswagen erlebte und wer nicht.

      Neuerdings sprechen die Leute von einem „vorbildlichen Arbeitsethos“, und man kann behaupten, dass das auf mich zutrifft. Allerdings habe ich es nicht anders gelernt. Abgesehen vom sonntäglichen Kirchenbesuch – und sogar da hieß es für Dad noch, so schnell wie möglich zurück zur Arbeit im Eiswagen zu kommen – erlebten wir niemals so etwas wie arbeitsfreie Tage. An Abenden und am Wochenende zu schuften, war für mich die Normalität. Ich glaube, dass diese Erfahrung meine spätere Einstellung beeinflusste, als ich erste Erfahrungen mit einer Band sammelte. Ungewöhnliche Tageszeiten, genau an den Tagen und in den Nächten zu arbeiten, wenn die sogenannten „normalen“ Leute sich entspannten, sich nie auf einen Urlaub zu freuen – all das stellte für mich kein Opfer dar. Genauso wenig, wie jeden verdienten Penny ins Geschäft zu investieren, oder in meinem Fall: die Show am Laufen zu halten. So wurde ich nun mal erzogen. Die Öffentlichkeit vergleicht Rockmusiker immer mit Kindern in einem Süßwarenladen – tja, ich wuchs tatsächlich in so einem Geschäft auf, was mir aber nie etwas bedeutete, denn die Süßigkeiten standen immer nur zum Verkauf bereit. Natürlich habe ich die Früchte meiner Arbeit genossen, bin aber am nächsten Tag immer aufgestanden, bereit zu arbeiten. Jetzt erkenne ich, dass das alles in meiner Kindheit wurzelt.

      Als Resultat der Mixtur aus diversen Einflüssen (Italienisch, Irisch, Northern und Cockney) wuchs ich mit einem stark „durchgenudelten“ Akzent auf. Das traf auch auf meinen Bruder und zwei Cousins zu. Nicht, dass ich jemals den Akzent bemerkt hätte. Das geschah erst, als Leute wie Quos Alan Lancaster mich darauf hinwiesen. Von meiner Mutter stammte der im Norden wurzelnde Akzent. Man kann das bei „Paper Plane“ und einigen der frühen Quo-Tracks hören. Graben Sie bitte „I (Who Have Nothing)“ auf YouTube aus. Das Stück stammt noch aus der Zeit, in der wir uns The Spectres nannten, und ich klinge da wie ein waschechter Einwohner von Lancaster. Hinzu kommt noch, dass wir alle die Beatles hörten, deren Akzent beim Gesang genauso klang.

      Von Dad erbte ich dieses „Italienisch-Cockney-Ding“. Zuhause sprachen wir häufig Italienisch, doch außerhalb der Familie wollte jeder wie ein Engländer reden, weshalb wir so-äh-sprachen-äh-wie-äh. Und auch-äh-so-äh. Mindestens am Ende jedes Satzes artikulierte man einen Vokal-ähnlichen Ton. Ich wuchs tatsächlich als kleines Kind mit Italienisch als Muttersprache auf, was ungefähr bis zum Alter von sieben Jahren andauerte und sich dann mit zunehmendem Alter änderte. Als ich mit fünf oder sechs mit der Familie in Italien Urlaub machte, spielte ich dort mit meinen Cousins und Cousinen und unterhielt mich problemlos mit ihnen. In meiner Erinnerung redeten wir allerdings Englisch, weil wir uns perfekt verstanden. Wie mir jetzt klar wird, muss es jedoch Italienisch gewesen sein.

      Der beginnende Schulbesuch „tötete“ schließlich die Sprache. Kurzfristig redete-äh-ich-äh-in der Schule noch dieses Kauderwelsch und unterhielt mich zuhause auf Italienisch. Doch das änderte sich schnell in Richtung meines jetzigen Sprachgebrauchs. Um in den Fünfzigern in Südlondon zu überleben, musste ich mich dringend verändern. Rückblickend bedauere ich es zutiefst, kein Italienisch mehr zu beherrschen. Die Welt so zu bereisen, wie ich es das ganze Leben lang gemacht habe, und dabei zu entdecken, dass nahezu jeder Englisch spricht, bringt mich ein wenig in Verlegenheit, da ich nur eine einzige Sprache kann.

      Als Kind wollte ich mich immer anderen zugehörig fühlen. Ich musste mich nicht nur wegen meines Akzents sorgen, denn man konnte mich auch – so nannte man das damals – als „kränkliches“ Kind beschreiben. Ständig hatte ich etwas. Ich war ein spindeldürrer Junge, dessen Nase immer lief und der sich oft Abschürfungen zuzog. Ich stolperte sogar über meinen eigenen Schatten! Meine Mutter sagte immer: „Du hattest als Kind so einen großen Kopf.“ Da er so groß war, stürzte


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