Ich rede zu viel. Francis Rossi

Ich rede zu viel - Francis Rossi


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immer wir waren, oder dachten zu sein oder eines Tages sein würden – unsere Eltern ließen uns machen. Sie gaben sich keine große Mühe, ihre Kinder in eine bestimmte Richtung zu drängen, sondern waren auf eine ruhige Art ungemein unterstützend. Das half mir viel mehr, als ich damals erkennen konnte. Es gab mir den Antrieb, weiterzumachen. Wäre es anders gelaufen, hätte ich möglicherweise das Gitarrenspiel aufgegeben. Obwohl Dominic zu dem Entschluss kam, dass seine Spielzeugeisenbahn viel mehr Spaß machte, finde ich es interessant, Jahre später bei Status Quo eine Art brüderlicher Beziehung mit dem Gitarristen und Sänger Rick Parfitt aufgebaut zu haben. Das war keine bewusste Entscheidung meinerseits, aber wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich die Parallelen nur allzu deutlich. Ich kann auch die Einflüsse der Everly-Hits wie „Wake Up Little Susie“ und „Bye Bye Love“ erkennen. Diese voluminösen Rhythmusgitarren-Akkorde finden sich in Quo-Hits wie „Caroline“ und „Down Down“. Der Stil, wie Rick und ich den Gesang überblenden, bis er beinahe wie eine einzelne Stimme klingt – das ist der pure Everly-Brothers-Sound.

      Weniger auffällig sind die anderen, tiefer verwurzelten musikalischen Einflüsse, die ins Spiel kamen. Ich erkenne sie erst jetzt. Da gibt es zum Beispiel ein altes italienisches Unterhaltungsstück mit humoristischem Unterton und dem Titel „Poppa Piccolino“. Es wurde schon von ganz unterschiedlichen Sängerinnen wie Petula Clark und Diana Decker und sogar dem Billy Cotton Orchestra gecovert. Erstmals hörte ich die Nummer, als Mum sie zu meiner Aufmunterung spielte, nachdem ich mal wieder die Treppe hinuntergefallen war. Ich habe immer gesagt, den Song nicht so sehr wegen seines fröhlichen und eingängigen Ausdrucks zu mögen, sondern viel mehr wegen des damaligen Trosts und der Zuneigung meiner Mutter. Ich machte mir einen Spaß daraus und „stürzte“ am nächsten Tag wieder die Treppe runter, da ich die Aufmerksamkeit so sehr genoss. Allerdings durchschaute sie meine Finte und drohte, mich eigenständig die Treppe hinunterzuwerfen, wenn ich nicht aufhörte, ihr auf die Nerven zu gehen.

      Die Platte blieb aber in meinem Gedächtnis haften – und wesentlich länger als gedacht. Eines Tages fiel es mir wie Schuppen von den Augen und mir wurde klar, wie sehr der gesamte Quo-Sound dem italienischen Shuffle-Rhythmus von „Poppa Piccolino“ glich. Diese bestimmte Art eines trillernden Stücks, ein Ta-Da-Di-Dah-Beat. Wenn man genau hinhört, wird man den Rhythmus bei beinahe allen Quo-Hits erkennen. Meist wurde angenommen, dass er von der Faszination für die durch den Blues beeinflussten britischen Sixties-Bands stamme, die diesen speziellen „Schrubber“-Shuffle propagierten. Er lässt sich auch im Herzen des amerikanischen Country-Sounds finden, der, wenn man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, von der traditionellen irischen Musik abgeleitet ist. Hello Oma!

      Wo auch immer die Ursprünge liegen – und wie bei allen Musikstilen lässt sich jeder letztlich weltweit nachweisen –, Tatsache war, dass ich mich in den Rhythmus verliebte. Man konnte behaupten, dass er mir im Blut lag.

      Im Alter von elf Jahren trat ich dem Schulorchester bei. Nicht als Gitarrist, sondern als Trompeter. Dort begegnete ich zum ersten Mal Alan Lancaster, mit dem ich dann Status Quo gründen sollte, und einem anderen Kind namens Alan Key, einem eher zurückhaltenden Jungen, der ebenfalls Trompete spielte. Lancaster spielte hingegen Posaune.

      Alan Lancaster war zwar ein Zwerg, aber der Obermacker. Das zeigte er gleich am Anfang. Er wusste ständig etwas Positives über sich zu erzählen. Eine geborene Führungsperson, könnte man meinen. Ich entwickelte mich schnell zum Anhängsel, war zwar von außen betrachtet der starke Typ, doch bei Alan handelte es sich um den tatsächlich „harten Hund“. Er sah die Gruppe wahrscheinlich als seine Formation an, und niemand wollte mit ihm darüber streiten. Um es mal so zu formulieren: Er war dafür bekannt, seine Fäuste „kunstvoll“ einzusetzen. Schließlich, als mein Selbstvertrauen zunahm, forderte ich ihn heraus und erinnerte ihn daran, dass niemand der Boss in einer Band sei, dass wir alle dazugehörten. Doch Alan war nicht der Typ, der bei einer Streitigkeit nachgab, woraufhin wir uns ständig über das Thema fetzten. Allerdings veränderte das nicht viel. Alan gab einfach niemals nach. Oftmals wird ja behauptet, dass Demokratie in einer Band nicht funktioniere. Man müsse Führungspersonen haben, denn sonst entwickle sich das Projekt nicht.

      Zuerst passte mir das in den Kram, denn ich war sicherlich nicht das typische Alphamännchen. Alan als Schulfreund an meiner Seite zu wissen, bedeutete Sicherheit vor den anderen Hooligans, denjenigen, die mich damit aufzogen, dass ich einen Mädchennamen trage und gekünstelt rede. Als ich Alan das erste Mal traf, meinte sogar er: „Du sprichst aber verdammt affig, oder was?“ Doch ich hing immer öfter bei ihm ab, mochte seinen Vater und seine Mutter sehr. Es gibt da die Redewendung „salt of the earth“ (rechtschaffene Leute) – und auf die beiden traf sie exakt zu.

      May, Alans Mutter, lässt sich als liebenswürdige und anständige Frau beschreiben. Ich nahm immer an, dass spanisches Blut in ihren Adern fließe, da sie einen dunklen Teint hatte und gleichzeitig leidenschaftlich sein konnte. Sie verhätschelte und verwöhnte mich. Harry, sein Vater, verhielt sich mir gegenüber immer nett. Er war ein Ex-Boxer, einer dieser Kerle, die jeden Abend von der Maloche kommen, sich das Hemd ausziehen und sich mit einem Netzunterhemd über der Küchenspüle für den Abend rasieren. Er hätte sich niemals für die Arbeit rasiert.

      Eines Tages wartete ich auf Alan, der sich noch zurechtmachte. Sein Dad meinte: „Auf den Jungen kannst du lange warten, echt.“ Wir schauten also fern, sahen einen Typen, der sich recht gut ausdrücken konnte, und Harry rief: „Hier, May. Schau mal, der im Fernsehen ist wie Ross!“ Sie nannten mich immer Ross. Sie kam in den Raum, schaute auf den Bildschirm und meinte: „Nee. Er ist jetzt einer von uns.“ Ich fühlte mich so stolz, ihnen immer mehr zu ähneln, wie einer dieser Kumpel aus der Südlondoner Arbeiterklasse zu werden. Ein Typ, der den anderen gehörig Angst einjagen kann. „Versuch nicht, mich anzumachen, Junge! Ich werd’s dir so richtig zeigen!“ Allerdings wusste ich auch, niemals wirklich so werden zu können, denn ich war viel zu weich, um jemandem Angst einzujagen. Es fühlte sich aber gut an, von ihnen akzeptiert zu werden.

      Auch wenn mich die anderen Kids in der Schule nicht mehr wegen meines Namens hänselten – ich hieß nun Mike oder Ross – oder wegen meines Akzents – nun voll mackermäßig –, fanden sie doch immer noch einen Weg, um mich aufzuziehen. Sie behaupteten, Italiener würden immer nach Knoblauch stinken und Würmer (Spaghetti) essen. Darum umgab ich mich auch mit der Fassade des harten Typen. Ich lernte, wie man ständig flucht, und täuschte eine Art Macho-Kumpel mit witziger Seite vor. Wie Alan Lancaster, mit der Ausnahme, dass er nicht witzig sein musste. Er war tatsächlich ein durch und durch brettharter Kerl. Ich hingegen musste immer witzig sein, denn das stellte meine beste Verteidigung dar. Doch ich fühlte mich niemals wie ich selbst, wusste, dass das alles nur eine Rolle war.

      Mein ältester Sohn Simon verhielt sich ähnlich, als er aufwuchs. Unter bestimmten Umständen konnte er die Rolle des „harten Hundes“ spielen, war jedoch ein hypersensibles Kind. Simon arbeitet nun beim Musical und in der Oper – er ist ein fantastischer Sänger. Seinen Erzählungen nach fühlte er sich erst glücklich, als er in diese Welt eintrat, da er das Genre entdeckt hatte, in dem er sich wirklich ausleben und aufblühen konnte. Ich hingegen musste mir jeden einzelnen Meter meines Weges erkämpfen, um das zu erreichen, was ich mir wünschte. Was also hieß: eine Maske aufsetzen, durch die ich insgeheim blinzelte, während ich darauf wartete, dass alles sicher ist, dass ich rauskommen und ich selbst sein kann.

      Unser Wohnort in Balham war in sozialer Hinsicht Welten entfernt von Forest Hill, wo wir noch bei Nonna lebten. Es war hart. Die Prostituierten warteten nicht auf die Dämmerung, sondern standen schon mitten am Nachmittag an den Straßenecken und lockten die vorbeikommenden Autofahrer, fragten, ob sie mit ihnen ein „Geschäft“ machen wollten. Mehr als einmal musste Mum nach draußen gehen, um einen Streit zwischen den „arbeitenden Damen“ zu schlichten, den sie direkt vor unserer Ladentür austrugen. Ich wusste, dass es „anrüchige Mädchen“ waren, doch auch wenn man mir genau erklärt hätte, was sie machten, hätte ich dem keine große Aufmerksamkeit geschenkt.

      Ich war elf Jahre alt, als wir nach Balham zogen, und obwohl ich schon eine Weile unter der Decke „herumspielte“, hatte ich der Welt des Sex noch keine großen Gedanken gewidmet. Für mich gab es noch keine schlüssige Formel, die eine Verbindung herstellte zwischen meinem „Herumspielen“ und tatsächlichem Sex


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