Ich rede zu viel. Francis Rossi

Ich rede zu viel - Francis Rossi


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und Butter zu kaufen.

      Sogar die katholische Kirche dachte, Dad sei der ideale Typ für die Kollekte. Schließlich belieferte er sie mit Gratis-Eis für die sommerliche Kirchenfeier. Das eingenommene Geld behielten sie dann für ihre „guten Taten“. Man hatte uns als Katholiken erzogen, und wir verhielten uns entsprechend. Die Heilige Kommunion, die Firmung, die Beichte – wird man schon im zarten Alter von zwei oder drei Jahren indoktriniert, ist es beinahe unmöglich, den Rest des Lebens nicht in die Kirche zu gehen. Trotzdem konnte ich mich in meinen späteren Jahren davon befreien. Doch einen Großteil meines Lebens war es eine Art Wechselbad der Gefühle. Und man erlebte zahlreiche Menschen, die das Gleiche durchmachten. Sie lösten sich von der Kirche, mussten sich aber wieder geschlagen geben, als sie eigene Kinder hatten. Jungen und Mädchen feiern ihre Erstkommunion immer getrennt, doch ich musste mich wieder mal mit einer Mandelentzündung herumplagen, weshalb ich den Termin verpasste. So feierte ich meine Kommunion mit Mädchen aus einem Kloster. Freud würde möglicherweise postulieren, dass sich in dem Moment der Katholizismus und Spaß mit Mädchen in meinem Bewusstsein genussvoll verknüpft hätten. Und er hätte recht gehabt!

      Den Gläubigen unter den Lesern möchte ich Folgendes sagen: Ich habe überhaupt kein Problem, an ein allwissendes, allliebendes und allmächtiges höchstes Wesen zu glauben. Ich schreibe „höchstes Wesen“, um keine bestimmte Gottheit zu nennen, da dies für einige befremdlich erscheinen mag. Mich stellt auch eine „höhere Realität“ zufrieden oder „das Universum“, „Energie“, „das Leben an sich“ – alles okay. Man kann die Wahrheit überall finden. Sogar der Katholizismus hat seine positiven Seiten – die Bedeutung der Familie, das Arbeitsethos, die Übernahme der Verantwortung für seine Taten, all das grundlegende „Gut und böse“-Zeug. Doch für was steht der Rest von dem Mist, egal, ob katholisch oder eine andere Konfession? „Berühre das nicht! Du bist ein verdorbener Junge!“ Weißt du, was – das ist falsch! Sich zu berühren, ist wunderschön. Wir belügen die Kinder von Anfang an, maßregeln sie, dass diese Taten schlecht, falsch oder gegen Gott gerichtet seien. Doch tief im Innern spüren sie, dass die Erwachsenen danebenliegen. Verlässt man den Raum, spielen sie wie eh und je weiter. Mit dem Unterschied, dass sie sich von da an schuldig fühlen.

      Meine Mutter war sehr religiös, ein gutes katholisches Mädchen, und demzufolge darauf versessen, uns eine Art von Schuld einzutrichtern, wenn wir nicht in die Kirche gingen. Sie glaubte tatsächlich, ich sei eine unbefleckte Empfängnis, eine Perspektive, die sie mir oftmals mit Nachdruck aufzwang. Demzufolge benannte man mich nach Franz von Assisi. Während ich älter wurde, fand ich den Mut, sie herauszufordern. „Wenn ich also eine unbefleckte Empfängnis bin, was ist denn dann mein Bruder – der ‚Dreckige‘? Und wie fühlte sich Dad überhaupt dabei?“ Sie hasste das. Blasphemie! Doch die meiste Zeit war sie dennoch eine liebende, ziemlich normale Mum. Das änderte sich, als ich 19 war und sie einen schweren Zusammenbruch erlitt, einhergehend mit einem religiösen Wandel. Damals informierte sie mich und meinen Bruder: „Ich bin nicht eure Mutter. Ich bin Annie.“ Ich musste mich sehr beherrschen, doch regte mich im Laufe der Zeit zunehmend darüber auf, denn ich erkannte, meine Mutter verloren zu haben. Aber dieses Thema hebe ich mir für später auf.

      Dad war ein unglaublich netter Mann – in London geboren, doch immer noch ein Italiener. Ein Italo-Cockney. Wenn etwas nichts funktionierte, stampfte er immer herum und fluchte „Arschlöcher“, aber mit dieser ulkigen anglo-italienischen Stimme: „Aaarschlöcher! Blöööde Aaarschlöcher!“ Ich liebte es, die Zeit mit ihm zu verbringen. Doch ärgerlicherweise musste er ständig zur Arbeit, womit ich weniger mit ihm zusammen sein konnte, als mir lieb war. Es war toll, wenn es schneite oder regnete, denn dann musste er zuhause bleiben. Mit meinen ersten drei Kindern lief das ähnlich ab, denn ich war zu der Zeit noch in den Zwanzigern und musste wie mein Vater zur Arbeit immer auf die Straße raus – mit dem Unterschied, dass ich Wochen oder Monate nicht nach Hause kommen konnte. Das trifft natürlich auf alle im Showbusiness Tätigen zu, doch in meinem Fall bestand eine Verbindung zur Kindheit. Mir war das damals egal, doch heute erkenne ich ein Muster. Es stellte auch eine Art Entschuldigung dar, rauszukommen und der täglichen Routine zu entfliehen. Später, als älterer Vater mit mehr Freizeit, war das anders. Ich liebte es, mit den Kids zusammen zu sein. In meinem mittleren Alter ließen sich Mum und Dad scheiden, und ab dem Zeitpunkt lernte ich meinen Vater ein bisschen besser kennen. Er war ein gütiger und freundlicher Mensch, liebte Musik und war sehr stolz auf mich. Ich erinnere mich, ihm einmal den Shania-Twain-Song „You’re Still The One“ vorgespielt zu haben. Er hätte beinahe sein „Ding“ rausgeholt, so ekstatisch fühlte er sich. Ich reagiere ähnlich, wenn mir eine bestimmte Musik gefällt. Blöööde Aaarschlöcher! Ha, ha!

      Wegen Mutter besuchte ich als Kind jeden Sonntag die Messe. Das hörte erst in meinen frühen Zwanzigern auf, als Status Quo durchstarteten. Wenige Jahre später ging es wieder los. Dann hörte es auf und fing wieder an. Man könnte das Komponieren und Musikmachen als einen Akt der Schöpfung beschreiben und mit Gott in Zusammenhang bringen. Ich würde das allerdings nicht zwangsläufig so beschreiben. Ich kreiere keine religiösen Songs, doch empfinde manchmal eine Art von Ekstase, wenn ich großartige Musik höre. Ich kann dabei weinen.

      In meinen Vierzigern fand ich mich in der Sonntagsmesse meiner lokalen Kirche John the Baptist in Purley wieder. Ich habe sogar meine Kinder dort firmen lassen, so verwirrt und unsicher war ich immer noch bezüglich der ganzen Religion. Ich befand mich also eines Sonntags mit Eileen in der Kirche, als es mich schlagartig überkam – ich glaubte nicht mehr daran. Ich schaute mich um und dachte: Falls hier tatsächlich etwas Wahrhaftiges vor sich ginge, würde es die Kinder packen und fesseln. Kids haben besondere Antennen dafür. Sie können gar nicht anders. Wenn etwas vor sich geht, wissen sie es, auch wenn sie es nicht in Worte fassen können. Sie spüren, dass etwas Interessantes geschieht. Doch die Kids zeigten keinerlei Interesse. Eher das Gegenteil. Man konnte es an ihren Gesichtern ablesen. Sie dachten: Können wir endlich gehen?

      Durch meine Kindheit habe ich den Winter zu lieben gelernt, was mich heute noch berührt. Ich liebe es, wenn es grau und kalt ist, denn bei schlechtem Wetter fuhr Dad nicht mit dem Eiswagen raus. Mein Dad war der König des Augenblicks. Man nennt uns nicht „menschliche Macher“, sondern „menschliche Wesen“, die im Hier und Jetzt verwurzelt sind. Und das gelang Dad besonders gut. Ihn langweilte es nicht, einmal nichts zu tun zu haben, denn es stellte einen Luxus für ihn dar. Er konnte „sein“, einfach den Moment genießen – und das mit Brillanz. Natürlich liebte ich es als Kind, wenn er zuhause war. Wenn ich aus dem Fenster blinzelte und es schneite, fühlte ich mich glücklich, da ich wusste, dass er zufrieden und fröhlich den ganzen Tag über in der Wohnung weilte. Manchmal ging er auch im Haus herum und erledigte diese oder jene Aufgabe, doch er war wenigstens da. Meist fürchtete ich mich vor dem Sommer, da ich ihn dann kaum sah. Er war den ganzen Tag und sogar den Abend über weg und schuftete im Eiswagen. Sogar jetzt noch nervt mich der beginnende Sommer. Dazu kommt noch, dass es viel zu heiß wird, was ich auch nicht mag. Ich ziehe es vor, drinnen zu sein, mag den Regen, der gegen die Fenster prasselt – und die hochgezogene Zugbrücke.

      Noch vor seinem Tod erzählte ich das Dad. Seine Antwort verblüffte mich. „Auch ich habe es gehasst, zur Arbeit zu fahren, mein Sohn. Ich liebte es, zuhause bei deiner Mutter zu sein.“ Sein Arbeitstag begann mit einer Fahrt zu Großmutters Haus in Catford, jeden Morgen um 6.30 Uhr. Weiter ging es mit dem Beladen des Eiswagens. Um 9.30 Uhr kehrte er zurück, wusch sich und putzte sich heraus. Dann kam er herunter und frühstückte mit Mum, wonach er sich darauf vorbereitete, seine Runden zu drehen! Die Schulen, die Spielplätze, all die Straßen, wo sich die Kinder vielleicht draußen aufhielten. Er erzählte mir, dass Mum ihn oft bei seinem Job „behinderte“, da sie plötzlich in ihrem Babydoll-Nachthemdchen vor ihm gestanden habe. „Sie war ein gutes Mädchen und wusste, wie sie sich durchsetzen konnte.“ Ich hörte mir das an, unsicher, wie ich reagieren sollte, und fragte nach: „Wirklich?“ Dann strahlte sein Gesicht: „Yeah!“

      So war mein Vater, ein Ausbund an Leben. Die Leute dachten oft, er sei betrunken, weil er immer so gute Laune hatte. In Wahrheit rührte er aber nie einen Tropfen an. Es mag vereinfachend klingen, wenn ich mein Talent, auf der Bühne aus mir herauszugehen, meinem Vater zuschreibe. Die Freude daran, andere Menschen glücklich zu machen.

      Meine Mutter war anders. Sie hatte viele Freunde, Menschen, die


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