Blutige Straßen. Kerrie Droban
Jetzt bloß nicht daran denken, dass Birds Team so gut wie nichts von der Reparatur und Wartung eines Motorrads verstand.
Bird verspürte zunehmende Übelkeit in seiner Magengrube. Die Hitze stellte einen Feind dar, den sie alle unterschätzt hatten. Auch wenn der getrocknete Schlamm auf ihren Gesichtern als Effekt aufgetragen wurde, waren der Schweiß und die Erschöpfung mehr als real. Da die Zusammenkunft ihre erste Operation war und damit die riskanteste, begleitete sie ein Überwachungsteam in Zivilkleidung mit kugelsicheren Westen und großkalibrigen Waffen. In der Luft zog ein Helikopter seine Kreise, und ein SWAT-Team konnte jede Sekunde abgerufen werden. Birds Angst schwand, als man ihn daran erinnerte, dass die Patches auf der Kutte eine Art Eintrittskarte darstellten, ihm sofortige Glaubwürdigkeit und Akzeptanz verleihen würden. Bird und das Team hatten sich Schlamm wie eine Art Kriegsbemalung ins Gesicht geschmiert und bereiteten sich auf die Fahrt zum „Too Broke For Sturgis“ wie erfahrene Outlaws vor. Die Erinnerung an die Tage der Vorbereitung schwand und wich Momenten voller Panik.
„Stell dir das Treffen wie eine normale Party vor“, hatte Beef den Beamten am vorhergehenden Abend eingetrichtert. „Schüttet mit den Angels ein paar Bier, labert irgendeinen Scheiß mit den Typen – zeigt euch einfach!“
Eine normale Party? Nicht unbedingt, denn mit der Feuerkraft der Hells Angels konnte man ein ganzes Gebäude hochgehen lassen. Bird verließ sich auf Rudy. Der sollte die Biker miteinander bekanntmachen, die Angels überzeugen, dass er und seine Gang Streuner waren, Einzelgänger, darauf versessen, ein eigenes Nomad Solo Angeles Chapter in Phoenix zu gründen. Sheila stellte ein authentisches Element in ihrem Erscheinungsbild dar, mit ihren Augen, die Schattenmenschen sahen. Da sie voll auf Drogen war, plagten Bird keine Sorgen, dass sie Scheiße quatschte oder das Team auffliegen ließ. Vielleicht hatte Rudy sogar Recht? Möglicherweise brauchten sie alle ein paar hübsche Accessoires? Eine Tour ohne Groupies erschien vielleicht verdächtig.
Sich unters Volk mischen – mit Miezen abhängen –, war das okay?
Oder riskierte man unwillkommene Fragen der Hells Angels und anderer Biker? Unnötige „Sex-Touren“ mit „Club-Muttis“? Eventuell hätte Bird darauf bestehen sollen, dass Beef ihm auch eine Mutti zukommen ließ?
Doch eventuell wusste er es besser!
Weibliche Begleitung konnte möglicherweise die Spannungen zu Hause verstärken. Bird musste schon genug Fragen abschmettern. „Wie oft willst du noch deinen eigenen Tod vortäuschen?“, hatte ihn seine Frau provoziert und den Finger auf die Narbe des Einschusslochs einer Kugel gelegt, das immer noch auf seinem Brustkorb zu sehen war. Darüber stand in tätowierten Buchstaben „DOA“6.
Seine Frau nahm ihm auch den Umzug nach Chicago übel. Wegen des letzten Undercover-Einsatzes hatte die Familie aus Sicherheitsgründen die Zelte abgebrochen und war in eine andere Stadt umgesiedelt. „Du hast Kinder. Was soll ich ihnen denn sagen?“ Ihre Augen schimmerten in der sich ausbreitenden Dunkelheit des Wohnzimmers, als er ihr die Nachricht beibrachte, dass das ATF ihn rekrutiert hatte, um die Hells Angels zu infiltrieren. „Das wurde bisher nie so durchgezogen“, meinte er enthusiastisch, den Einwand seiner Frau ignorierend. „Cops sind da noch nie reingekommen, nicht so, nicht indem sie die Identität einer echten Biker-Gang angenommen haben.“ Er redete selbstsüchtig weiter, bis ihn der wütende Gesichtsausdruck seiner Frau stoppte. Sie kümmerte die sich ihrem Mann bietende Chance nicht – sie war einzig und allein an seiner Sicherheit interessiert.
Sie wollte, dass Bird zu Hause blieb.
Sicher eingeschlossen!
Genug von dem Mist!
Bird verstand die Einwände und Bedürfnisse seiner Frau. Sie waren real, profund und nach 20 Jahren Ehe überaus willkommen, da sie zugleich ihre Liebe verdeutlichten. Doch seine Prioritäten standen an erster Stelle. Er verfügte über ungeschliffenes Talent und eine raue und harte Charakterseite. Bird hatte seinen Spaß, wenn er gegenüber Kriminellen den Spruch wiederholte: „Jesus hates a Pussy.“7
Autsch! Bird zuckte wegen seiner erschreckenden Gefühlskälte gedanklich zusammen. Er wollte seine Frau beschützen, nicht sie ausschließen. Weniger war mehr, gab er zu bedenken, als sie ihn während der unregelmäßigen Besuche auszuquetschen versuchte. Sie wollte nähere Details erfahren, doch Bird durfte sein Doppelleben nicht mit ihr teilen. Es war gefährlich, zwei voneinander getrennte Welten zu vermischen.
„Du kannst uns nicht so einfach ignorieren und so tun, als hättest du keine Familie!“, protestierte sie, die Hände in die Hüften gestemmt, die Augen vor Wut aufgerissen.
„Das ist kein glamouröser Job.“
„Ich will mir hier keine Geschichten anhören.“
„Ich bin aber eine Geschichte“, antwortete er kleinlaut, sich nicht sicher, ob seine Frau ihn hörte. Bird hatte sich eine Art Theater der Straße aufgebaut und sich selbst die Hauptrolle zugeschrieben. Es existierte eine Schar angeblicher Frauen, Ex-Knackis, Drogenterroristen, die ihn anriefen, ihm schrieben und ihn vergötterten. Barbara musste die Details nicht erfahren.
„Der Typ ist verrückt genug, um erfolgreich zu sein“, meinte Beef und rechtfertigte die Rekrutierung des Mannes gegenüber seiner Behörde. Die Sonne glitzerte auf Birds Gesicht, als er sich die verbleibenden Meilen über die Straße zum Campingplatz der Biker schlängelte. Der Fahrtwind kitzelte in seinem Spitzbart und strich über die rasierte Glatze.
Rudys Motor hatte keinen guten Sound. In Birds Vorstellung drängten sich Schreckensszenarien. Was wäre, wenn Rudy das Treffen versaute und so richtig Scheiße baute? Timmys Gesicht wirkte so verzerrt, dass man dachte, der arme Junge hätte seit Tagen nicht mehr geschissen. Bird fragte sich, ob sein Gesicht Angst oder Schmerz ausdrückte. Oder musste er kotzen? Nur Pops machte einen allzeit bereiten Eindruck. Der angegraute Bart wehte wie ein Tuch um seinen Hals. Aber er spielte ja keine Rolle: Er war ein waschechter Biker.
Rudy gab ein Zeichen, als sie langsam auf die Hunderte von Motorrädern zufuhren, die schon auf dem Platz parkten. Sich unbemerkt unter die Leute mischen! Okay! Bird und seine Gang fuhren in lockerer Formation hinter Rudy. Sie wirkten verloren – angesichts eines riesigen Maschinenparks und von Outlaws verschiedener Gangs, die Biere kippten und ihre Frauentrophäen wie preisgekrönte Tiere angafften.
Die Müdigkeit verflog im Nu. Adrenalin schoss durch die Adern. Sich unauffällig unters Volk mischen! Beefs Anweisung klang wie ein Pistolenschuss in Birds Kopf. Die Agenten stiegen von den Bikes, sich bewusst, Außenseiter zu sein – Hühner in einem Rudel Wölfe. Jeden Augenblick konnten sie verschlungen werden. Endlich entdeckte Rudy das Zelt der Angels, wo sie auf die beiden Wachen trafen – Dennis Denbesten (den man wegen seiner legendären Künste beim Meth-Kochen „Chef Boy Are Dee“ nannte), ein bedrohlich wirkender Kerl, der schon aufgrund von Verstößen gegen Betäubungsmittel- und Waffengesetze verurteilt worden war, und „Turtle“, Chefs fettleibiges Alter Ego.
Rudys Anwesenheit schmeckte den beiden Angels nicht. Wegen seiner Brutalität und Unberechenbarkeit kannte und fürchtete man ihn unter Bikern. Doch Rudy beruhigte Chef Boy Are Dee und versicherte dem Mann, dass seine Entourage nicht mitgekommen sei, um sich in das Drogengeschäft des Clubs einzumischen. Seine Männer hätten sich auf ein eigenes lukratives Geschäft spezialisiert – Waffenschmuggel von Arizona nach Mexiko. Zufrieden, dass das Team keine unmittelbare Bedrohung für das kriminelle Business der Hells Angels darstellte, akzeptierte Chef Rudys Aussagen, dass sie Gäste von Mesa Bob seien, und arrangierte ein Treffen mit dem Mesa-Club-Präsidenten, dessen bürgerlicher Name Robert Johnston Jr. lautete.
Nach nur wenigen Minuten Gequatsche hatte Rudy die Solo Angeles erfolgreich eingeführt. Sie waren drin. Bird konnte seine freudige Erleichterung kaum verbergen. Doch das Treffen mit Mesa Bob stand erst bevor.
3 Amerikanischer Slang für Cops.