Peter Gabriel - Die exklusive Biografie. Daryl Easlea

Peter Gabriel - Die exklusive Biografie - Daryl  Easlea


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herauskam, brachte Rolling Stone die Diskrepanz zwischen der amerikanischen und britischen Herangehensweise an die Gruppe ungewollt auf den Punkt: „Aufgenommen, lange bevor die Band ihr Handwerk beherrscht … Unstet, unausgegoren und manchmal richtig öde. Wirklich nur etwas für die fanatischsten Genesis-Jünger.“ Es war klar, dass es sich hier nicht um Musik handelte, die sich mit ihrer Bezugnahme auf die Klassik und der wunderlichen Wahl des Takts leicht definieren ließ.

      Peter Gabriel war damals schon besessen von Details und der genauen Optik einer Veröffentlichung. Tony Stratton-Smith hatte der Band Paul Whitehead, einen Grafikdesigner, den er durch John Anthony kannte, vorgestellt. Whitehead, einer der Gründer sowie der Art-Director der Londoner Ausgabe des Veranstaltungsmagazins Time Out, begann zunächst für Van Der Graaf Generator und in weiterer Folge für Genesis Artwork zu designen. Seine drei Albumcovers, die er für Genesis entwarf, sind legendär. „Für Genesis wurde ich zu so etwas wie einem ‚Art-Director‘“, erzählte er 1997 Jim Christopulos. „Ich lernte sie kennen und im Laufe der Zeit stellte ich ihnen verschiedene Künstler, unterschiedliche Stile und Bücher vor. Jedes Mal, wenn ich sie traf, hatte ich einen Stapel Bücher dabei und sagte: ‚Seht auch das an, ist das nicht hübsch?‘“ Nachdem er von der Gruppe mit der Gestaltung der Plattenhülle zu Trespass betraut worden war, entwarf Whitehead ein schmuckvolles, beinahe mittelalterlich anmutendes Design – ein Paar, das vor einem mit Säulen verzierten Fenster steht und den Blick über ein gebirgiges Panorama schweifen lässt. Aber durch „The Knife“ hatte sich die allgemeine Stimmung des Albums bedeutend geändert, was in Gabriel den Wunsch aufkeimen ließ, das Artwork entsprechend abzuändern. Whitehead reagierte mit einer schnellen, effektiven wie denkwürdigen Lösung. Er schlitzte die Leinwand mit einem Dolch auf und ließ ihn stecken, wie man auf der Rückseite des Gatefold-Covers gut erkennen kann. Der künstlerische Ansatz ist eindrucksvoll und fasste die Bedrohung, die sich hinter Genesis’ idyllischer Fassade verbarg, gut zusammen. Obwohl das Album in Großbritannien deutlich hinter den Verkaufserwartungen zurückblieb, bewertete es Gabriel im Rahmen seiner Neuveröffentlichung im Jahr 2007 wie folgt: „Ich denke, es war ein guter Start … es war die erste Sache, durch die wir uns abhoben.“

      ***

      Im selben Monat Ende 1970, in dem er sich mit Jill Moore verlobte, sah Peter Gabriel eine Kleinanzeige im Melody Maker: „Ideenreicher Gitarrist/Songwriter sucht Zusammenarbeit mit aufgeschlossenen Musikern, die gewillt sind, sich auch abseits der Stagnation der üblichen Musikformen zu betätigen.“ Der in Pimlico wohnende Gitarrist Steve Hackett hatte die Annonce in Auftrag gegeben.

      Hacketts Working-Class-Background war ein ganz anderer als der der Kernmitglieder, die sich an der Charterhouse-Privatschule kennengelernt hatten. Er, ein stiller und lernbegieriger Junge, wollte, seit er 16 war, in einer Band spielen und hatte sich, gleichermaßen beeinflusst von Blues und Beat sowie Bach und dem Barock, das Spielen autodidaktisch beigebracht. Nun suchte er nach einer Möglichkeit, seine musikalischen Vorlieben zu kombinieren. Zuvor hatte er bereits in den Bands Sarabande, Steel Pier und Canterbury Glass mitgewirkt. Seit einem Jahr gab er nun Anzeigen im Melody Maker auf. Zunächst hatte er sich der quasi-religiösen Formation Quiet World angeschlossen, die bei Pye unter Vertag stand und vom südafrikanischen Brüder-Trio John, Lea und Neil Heather angeführt wurde. Als diese Kollaboration allerdings zu nichts führte, gab Hackett seine Anzeige erneut auf.

      Gabriel rief Hackett an, und als er herausfand, dass dem Gitarristen Genesis unbekannt waren, empfahl er ihm, sich Trespass anzuhören, wobei er vor allem auf „Stagnation“ verwies – er sah in diesem Track das beste Beispiel für die von ihm angestrebte musikalische Ausrichtung. Hackett verspürte eine gewisse Synchronität, da sowohl er als auch Gabriel das Wort „Stagnation“ gebrauchten.

      Hackett und sein jüngerer Bruder John – beide ebenso glühende Anhänger von King Crimson – hörten sich Trespass an. Hackett fand es „interessant“. Banks und Gabriel organisierten ein Vorspielen in der Wohnung der Hacketts in Victoria, London, weit weg von den grünen Landstrichen Surreys. Hackett und sein Bruder spielten ein Duett mit Gitarre und Flöte, was dazu führte, dass ihm der Posten angeboten wurde. Gabriel sagte zu ihm: „Wenn du bei uns einsteigst, schließt du dich einem Kollektiv von Songwritern an.“

      „Ich weiß noch, dass Pete das Reden übernommen hat“, erinnert sich Hackett 2013 an das Treffen. „Tony wirkte nachdenklich. Ich spielte ihnen drei verschiedene Musikrichtungen mit meinem Bruder John an der Flöte und Gitarre vor – getragen idyllisch, dann atonal und abschließend bluesig. Zwischendurch wechselte ich schnell an die Mundharmonika. Pete gefiel eher die melodische, idyllische Musik. Wir beide liebten zwölfsaitige Gitarren.“

      Um zu demonstrieren, wie gern sie auftreten wollten, spielten Genesis am 16. Dezember dieses Jahres 1970 ein besonderes Konzert an der Aylesbury Grammar School: „Jedes Jahr an Weihnachten gab es eine Tanzveranstaltung für die Sechstklässler der Schule, die von einem Lehrer namens Robin Pike mit Hilfe von David Stopps auf die Beine gestellt wurde“, erinnert sich Kris Needs. „1969 demolierten Mott die Halle und verwirrten die feinen Pinkel. 1970 traten Genesis mit dem Rückenwind der Auftritte im Friars auf. Noch weiter weg von einer Schultanzband wäre gar nicht gegangen, aber sie begeisterten das Publikum so sehr, dass sich die meisten für die erste Hälfte des Sets sogar hinsetzten. Die Kulisse einer Schulaula brachte den Geschichtenerzähler in Gabriel noch mehr zu Tage. Ein paar der größten Fans aus dem Friars hatten sich ebenfalls hineingeschmuggelt, was zum interessanten Ambiente noch zusätzlich beitrug. Ich glaube, David hatte sie für 30 Pfund hereingelassen. Es war ein großer Erfolg. Gerappelt voll und die Band in guter Form.“

      Um die Festtage abzurunden, spielten Genesis am 28. Dezember 1970 noch im Lyceum. Es war eine der letzten Show mit Mick Barnard als Gastgitarristen. Hackett befand sich im Publikum und schloss sich der Band kurze Zeit später als Vollzeit-Gitarrist an. Gabriel erzählte ZigZag im Mai 1971: „Wir haben in den letzten Monaten mit zwei neuen Leadgitarristen gespielt und mussten sehr viel proben, aber der Letztere ist nun fest bei uns, wie wir hoffen … Wir haben ihn durch eine Anzeige im Melody Maker gefunden und er scheint gut zu uns zu passen.“

      Hackett wurde vielleicht nie im selben Maße wie Phillips respektiert, aber er trug einiges dazu bei, den Sound von Genesis mitzuformen.

      Mit der Zeit sollte er die Zuneigung aller Bandmitglieder gewinnen. Die ersten paar Proben fand Hackett allerdings sowohl verwirrend als auch amüsant: „Sie hatten definitiv eine eigene Sprache“, erzählte er dem Genesis-Biografen Alan Hewitt. „Irgendetwas zwischen Venusianisch, Vulcanisch und Charterhouse-Kauderwelsch. Ich wusste nicht, wovon sie sprachen. Alles, was ich wusste, war, dass ich die Struktur der Musik sehr interessant fand.“ Sein anfängliches Lampenfieber sowie seine mangelnde Bühnenerfahrung zwangen ihn, sich beim Spielen hinzusetzen. Nach ihrem ersten größeren gemeinsamen Auftritt im Lyceum im Januar 1971 musste Richard Macphail ihm von der Bühne helfen, als er nach Ende des Gigs immer noch dort saß. „Steve fokussierte sich so sehr auf die zwei Fehler, die er gemacht hatte“, gab Macphail an, „dass er, als die Show vorüber war, nicht wusste, was er tun sollte, also half ich ihm runter. Es war der Beginn einer goldenen Ära.“

      Während Hackett langsam Anschluss fand und Collins’ Präsenz dringend benötigte Auflockerung brachte, machte sich die Band wieder auf den Weg, um zu touren. „Phils Bodenständigkeit glich den Charterhouse-Aspekt ein wenig aus“, sagt Hackett. „Als sie mich erst einmal akzeptiert hatten, wurde ich eingeladen, die Nacht im Haus von Petes Eltern zu verbringen, wo wir uns gegenseitig unsere Lieblingsplatten vorspielten. Damit half mir Pete, mich zu entspannen. Obwohl er auf der Privatschule war, wirkte er nicht so, und es herrschte ein Gefühl gegenseitigen Verständnisses. Er war warmherzig.“ Hackett war genau einen Tag älter als Gabriel, was nicht das einzige war, das die beiden verband: „Wir liebten den Blues und Nina Simone. Wir hatten auch einen ähnlichen Humor. Wir wollten beide experimentieren und neue Wege gehen.“

      1970 war ein turbulentes Jahr gewesen, das in Ant Phillips’ Abschied seinen Höhepunkt gefunden hatte. „John Mayhew wurde in die Wüste geschickt und statt ihm stieß Phil dazu“, fasst Macphail zusammen. „Dann kam Steve und die klassische Genesis-Besetzung war komplett. Es ist absolut wahr, dass Tony und Peter das Herz und die Seele der Band waren, aber das soll nicht den großen Beitrag, den die anderen leisteten, schmälern. Die meisten Bands hatten einen


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